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Profis 01.09.2021 - 15:00 Uhr

"Ich bin fast in den Fernseher gesprungen"

Beim Auftakt in der MEWA ARENA hatte Anderson Lucoqui Quarantäne-bedingt noch passen müssen, dafür aber umso mehr mitgefiebert. Sein Bundesliga-Debüt im 05-Trikot dürfte entschädigt haben & seiner Mutter eine Lehre sein. "Jeder hat Bock auf diesen Weg", ist der Außenverteidiger rundum glücklich, ein 05ER zu sein. Als "bemerkenswert" bezeichnet der 24-Jährige die Arbeit von Bo Svensson & gibt sich lernwillig.

Moment der Glückseligkeit beim Debüt: "Ich konnte es natürlich nicht fassen", sagt Lucoqui, während seine Mutter wohl nie wieder verspätet im Stadion erscheinen dürfte.

"Es gibt hier keinen Welpenschutz, und es wird auch nicht applaudiert, weil du den Ball mal gut triffst. Es wird knallhart gesagt, was von mir erwartet wird. Nämlich, dass ich mich einbringen und Akzente setzen soll auf dem Platz", sagt Sommerneuzugang Anderson Lucoqui. Mit dem Schritt an den Bruchweg zeigt sich der Außenverteidiger drei Tage nach seinem Bundesliga-Debüt als Mainzer gegen Greuther Fürth rundum zufrieden, hat erste Akzente setzen können und im ersten Pflichtspiel in der MEWA ARENA seinen ersten Treffer bejubeln dürfen. Ein nur fast perfekter Tag, denn das Tor verpasst hat ausgerechnet seine Mutter.

Im Testspiel gegen Genua, erinnert sich der 24-Jährige zurück, habe er in einer ähnlichen Situation noch das Tor verpasst. Nach einem Angriff über die rechte Seite in der vierten Minute hatte seinerzeit ein Abwehrbein den Einschlag soeben noch verhindern können. "Ádám hat danach zu mir gesagt, dass ich in solchen Situationen etwas weiter innen stehen soll, um den Winkel zu verbessern", berichtet Lucoqui. Nun ist der erhoffte Lerneffekt eingetreten: "Ich habe mir vor dem Spiel schon ein paar Gedanken gemacht, wie es wäre, wenn ich heute ein Tor schieße. Dann kam der Ball über rechts - eine Situation, die wir trainiert haben - und ich habe mit etwas Glück die zweite Chance bekommen und ihn reingemacht.

Ich konnte es natürlich nicht fassen, weil es der Traum jedes Einzelnen und ein unbeschreibliches Gefühl ist. Um solche Gefühle zu haben, arbeitet man und steht jeden Morgen auf. Das pusht einfach noch mehr, weiter hart zu arbeiten." Zusätzlich motivieren dürfte eben die Tatsache, dass seine Mutter den Treffer verpasste, weil sie "etwas später" in der MEWA ARENA, die der Sohn und dessen Teamkollegen zu diesem Zeitpunkt längst zum Beben gebracht hatten, eingetroffen war. "Das war natürlich schade. Unsere Verbindung ist sehr eng. Dafür werde ich jetzt alles tun, dass es nicht das letzte Tor war und sie das nächste auch live miterleben kann. Zu spät kommt sie jedenfalls nicht mehr, das haben wir ausdiskutiert", so der stets gut gelaunte 05-Profi lachend.

65 Prozent seiner Zweikämpfe entschied Lucoqui gegen Fürth für sich.

05-Anhänger verleihen Flügel

Für gute Laune beim Sommerneuzugang hatte am Wochenende neben seinem Treffer und drei Punkten gegen den Aufsteiger auch die Atmosphäre unter den 11.500 Zuschauern gesorgt, wie er gesteht: "Das war Wahnsinn. Ich muss sagen, dass ich den Unterschied gar nicht bemerke, ob es jetzt 30.000, 15.000 oder 10.000 sind. Es war für mich einfach ein volles Haus, die Stimmung war da und hat uns getragen. Nach dem ersten Tor hat man es gemerkt: Wir sind energisch dran geblieben und haben gleich das Zweite nachgelegt, da hatten die Fans auf jeden Fall einen Anteil."

Dass Lucoqui erst am dritten Spieltag in den Genuss seiner ersten Humba kam, lag indes an der Quarantäne, die ihm und zehn weiteren Profis vor dem Bundesliga-Auftakt verordnet worden war. Eine Situation, aus der er mittlerweile persönliche Konsequenzen gezogen und seine erste Impfung erhalten hat. "Ich rede nicht gerne öffentlich darüber, denn jeder muss für sich entscheiden. Ich habe aber gesehen, dass ich meinen Job nicht ausüben, zwei Wochen nicht Fußball spielen konnte", sagt der Ex-Bielefelder, der den furiosen Heimsieg über Leipzig noch aus dem heimischen Wohnzimmer hatte verfolgen müssen - und dabei einen nervenaufreibenden Nachmittag erlebt hatte, wie er berichtet:  "Ich habe die ganze Nachbarschaft zusammen geschrien, weil ich voll dabei war. Ich bin fast in den Fernseher gesprungen. Ich hatte Gänsehaut, die Fans zu sehen und wie die Jungs sich aufgeopfert haben, in jeden Ball reingesprungen sind und alles gegeben haben, um diesen Sieg zu holen", sagt er nicht ohne Stolz. "Es war einfach geil zu sehen, dass es egal ist, wer bei uns auf dem Platz steht, weil wir als Mannschaft stark sind. Wenn die Fans noch dazu kommen, wächst etwas zusammen. Dann ist es für jeden Gegner schwer, gegen uns zu gewinnen", ist Lucoqui überzeugt von Stärke und Zusammenhalt in seinem neuen Klub.

Aus seiner Sicht ist der Teamspirit, diese Einstellung, auch in noch so ausweglosen Situationen an sich zu glauben, nicht zuletzt eine Folge der historischen Rückrunde der vergangenen Saison, in der sich die 05ER entgegen aller Wahrscheinlichkeit noch souverän den Klassenerhalt hatten sichern können.

"Man spürt einfach, dass jeder mit der Haltung an Herausforderungen herangeht, dass alles möglich ist. Wie vor dem Spiel gegen Leipzig. Es war nie so, dass wir gesagt haben: 'Das Spiel ist schon verloren.' Denn gerade anhand der Rückrunde sieht man, dass Unmögliches möglich ist, dass man jeden Gegner schlagen kann, wenn man diszipliniert ist und an seine Stärken glaubt. Diese Einstellung wurde auch mir schnell vermittelt."

"Bemerkenswerte" Spielvorbereitung

Neben dem Team profitiert Lucoqui indes auch von Trainer Bo Svensson und dessen Methoden, die er schätzt und überzeugt ist, dass die Trainingsarbeit und Spielvorbereitung ihn besser machen. Die Intention, mit dem ligainternen Wechsel neue, persönliche Reize zu setzen, scheint voll aufzugehen. "Ich finde, dass der Trainer einen klaren Plan hat, den man in jeder Trainingseinheit sieht. Jeder weiß, was von ihm verlangt wird. Es gibt einen Matchplan für jeden Gegner. Wie gut wir eingestellt werden, finde ich bemerkenswert, zumal ich mich auch individuell weiterentwickle. Die Disziplin hier ist immens. Jeder hat Bock auf diesen Weg und ich freue mich auf das, was kommt", so Lucoqui.

Die nun anstehende Länderspielpause möchte der gebürtige Zweibrücker mit deutschem und angolanischem Pass nun nutzen , die Quarantäne-bedingten Defizite aufzuarbeiten und topfit in die anstehenden Partien bei der TSG 1899 Hoffenheim (11. September) und genau eine Woche später in der MEWA ARENA gegen den SC Freiburg zu gehen. Schließlich, so sagt er ganz offen, könne das Spiel gegen Fürth nur ein Anfang gewesen sein: "Es ist gut gelaufen, war aber noch weit entfernt von einem sehr guten Spiel. Das habe ich selber gemerkt, sowohl defensiv als auch offensiv muss ich mich steigern. Hier und da tue ich mich beispielsweie noch schwer, den richtigen Moment zu erkennen, in dem ich anlaufen muss. Da muss ich manchmal noch früher dran, zudem immer anspielbar sein und bereit, die Innenverteidiger zu entlasten. Ich werde aber gut gecoacht und versuche so schnell wie möglich dazu zu lernen."