Profis 10.08.2022 - 19:00 Uhr
Bell: "Viele unterschätzen, wie schön das sein kann"
Beim Auswärtssieg in Bochum hat der 30-Jährige sein 250. Pflichtspiel als FSV-Profi absolviert. Gemeinsam mit "Bello" blicken wir zurück und voraus.
Als etwa eine Stunde vor Beginn des Bundesliga-Auswärtsspiels beim VfL Bochum die Aufstellung öffentlich gemacht wurde, war klar: Stefan Bell wird am ersten Spieltag der Saison 2022/23 sein 250. Pflichtspiel als Profi für den 1. FSV Mainz 05 absolvieren. Ein Meilenstein, der ihn in der Riege der Rekordspieler aus der mittlerweile 117-jährigen Geschichte der Rheinhessen auf Platz 16 zu Christian Hock aufschließen lässt. Bell ist der dienstälteste Spieler im aktuellen Kader. Unterbrochen von zwei kurzen Leihen ist der Innenverteidiger seit 2007, als er von der TuS Mayen ins Nachwuchsleistungszentrum am Bruchweg wechselte, für die Rheinhessen aktiv.
An sein erstes Spiel als Profi kann sich "Bello", wie er von allen genannt wird, noch gut erinnern. Am ersten Dezember 2012 wechselte ihn der damalige Trainer Thomas Tuchel in der Nachspielzeit des Heimspiels gegen Hannover 96 für Nicolai Müller ein. "Wir waren nach einem Platzverweis in Unterzahl, Ádám Szalai hat das 2:1 geköpft. Ich bin auf der Sechserposition für die langen Bälle eingewechselt worden. Einen Freistoß habe ich rausgeholt und dann war es gefühlt auch schon vorbei", erzählt Bell. Trotz der kurzen Spielzeit sei das Debüt mit einem überragenden Gefühl verbunden gewesen. "In dem Moment ist es wie im Film, man funktioniert dann einfach. Was es bedeutet, begreift man erst mit etwas Abstand."
Es war der erste kleine Meilenstein in einer Karriere, die den 30-jährigen Innenverteidiger beim FSV schnell zur Stammkraft und zu keinem anderen Klub mehr führen sollte. Das erste Tor kann Bell direkt im Kopf abrufen ("2:2 gegen Freiburg", Hinrunde der Saison 2014/15, Anm. d. Red.), den ersten Doppelpack im April 2015 gegen Schalke 04 sowieso ("Freitagabendspiel, das war Wahnsinn") und auch die Partie, als er die 05ER im April 2016 gegen Augsburg das erste Mal als Kapitän auf den Platz führen durfte. Zunächst vertrat er den etatmäßigen Kapitän Niko Bungert, wenn dieser verletzt war oder nicht von Beginn an auf dem Platz stand. Obwohl Bell schon zu Zeiten im NLZ immer Führungsaufgaben übernahm, war ihm diese Rolle auf dem Platz eigentlich nicht auf den Leib geschneidert. "In der zweiten Reihe fühle ich mich fast wohler. Aber ich schaue, dass viele Sachen laufen in der Kabine und bin lange im Verein." Als jüngerer Spieler empfand Bell es als Auszeichnung, die Binde zu tragen. "Ich hatte aber manchmal das Gefühl, dass es mich ablenkt von meiner Aufgabe. Ich suche mir meine Schlachten lieber selbst aus, als Kapitän kann man das nicht immer."
Spuren hinterlassen bei einem Verein
Dass es 250 Pflichtspiele in Bundesliga, DFB-Pokal und Europa League für einen einzigen Verein werden, ist im Profifußball zur Ausnahme geworden. Der 30-Jährige Familienvater hatte in der langen Zeit aber nie das Gefühl, etwas zu verpassen. "Die Hemmschwelle, wegzugehen, ist hoch. Auch außerhalb des Vereins habe ich hier mein ganzes Umfeld. Ich bin drei Jahre in Mainz zur Schule gegangen und habe mir deshalb einen großen Freundeskreis aufgebaut." Auch die Nähe zur Heimat, Bell kommt gebürtig aus Andernach und ist Vorsitzender seines Jugendklubs FV Vilja Wehr im Landkreis Ahrweiler, ist ein Argument mit Gewicht. "Viele Spieler unterschätzen, wie schön das sein kann, wenn man auf seine Karriere zurückschaut und 'nur' bei einem Verein war." Was Sprachen und Lebenserfahrung angehe, sei das Ausland sicherlich reizvoll, er wollte und will lieber Spuren beim FSV hinterlassen.
In vielen Partien hat er das bereits, einige davon sind auch ihm in besonderer Erinnerung geblieben: "Der Doppelpack gegen Schalke, das war etwas besonderes für mich als Innenverteidiger", so Bell, der auch das für den Klassenerhalt entscheidende 4:2 nach 0:2-Rückstand gegen Eintracht Frankfurt am 33. Spieltag der Saison 2016/17 hervorhebt. "Das ist eigentlich das krasseste Spiel im Gesamtpaket. Ein Alles-oder-nichts-Spiel, wir liegen 0:2 zurück. Totenstille im Stadion und auf einmal schießen wir noch vier Tore. Wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, findet man aus jeder Saison großartige Partien", betont der 30-Jährige, der sich auch an "Dortmund 2018" oder "letzte Saison gegen Leipzig" gerne zurückerinnert.
Pflichtspiel Nummer 251 steht vor der Tür
Zahlreiche Spieler hat Bell kommen und gehen sehen. Aus Mannschaftskollege Bo Svensson wurde sein heutiger Trainer, mit "einer Handvoll“ haben sich Freundschaften gebildet. "Mit denen bin ich regelmäßig in Kontakt. Es ist schön, dass damit etwas bleibt aus der Karriere.“
Eindrucksvoll zurückgekämpft hat sich Bell nach seiner schweren Verletzung im Pokalspiel in Kaiserslautern 2019 unter Bo Svensson und sich zu einer Stütze der defensiven Dreierkette und der gesamten Mannschaft entwickelt. Bis 2023 läuft sein Vertrag bei Mainz 05 noch, zu den 250 Pflichtspielen sollen noch viele weitere hinzukommen. Möglichst schon am Sonntag im Heimspiel gegen Union Berlin (15.30 Uhr, live auf DAZN und 05ER.fm, Tickets im Online-Shop). Dann wollen Bell und seine Teamkollegen den ordentlichen Auftakt in Aue und Bochum bestätigen, sich aber auch in einigen Bereichen weiter steigern. "Es wird ein enges Spiel, wie auch in der letzten Saison. Union ist eine stabile, erfahrene Mannschaft. Beide Mannschaften werden von Beginn an Vollgas geben."