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Profis 24.03.2020 - 19:30 Uhr

Bell: "Im Moment liegt alles auf Eis"

Das 05-Eigengewächs im Interview über das "Homeoffice", sein dramatisches letztes Jahr & mögliche Partien ohne Zuschauer

Der individuelle Trainingsplan der Athletikabteilung kann dieser Tage komplett unter freiem Himmel umgesetzt werden.

Nach seiner im August erlittenen Sprunggelenksverletzung im DFB-Pokal-Spiel beim 1. FC Kaiserslautern absolvierte 05-Eigengewächs Stefan Bell vor zwei Wochen erste Teile des Mannschaftstrainings gemeinsam mit den Teamkollegen. Die langersehnte, vollständige Wiedereingliederung stand kurz bevor, wurde aufgrund der anhaltenden Corona-Krise allerdings jäh gestoppt. Auch der 28-Jährige absovliert seither ein individuelles Trainingsprogramm und übt sich in Geduld.

Im Interview mit mainz05.de spricht er über seinen Umgang mit der Situation, über sein Vertragsende im Sommer und berichtet unter anderem, was der ruhende Spielbetrieb für einen Amateurklub wie den FV Vilja Wehr bedeutet.

Highlights aus seiner 05-Karriere sowie Einblicke ins Homeoffice findet ihr übrigens auf unserem Instagram-Kanal.

Stefan, wie geht es dir? Wie nimmst du die Situation wahr?

Bell: Ich war kurz vorm Wiedereinstieg ins Mannschaftstraining, körperlich geht es mir also sehr gut. Unglücklich ist für mich persönlich natürlich, dass ich mich sieben Monate auf diesen Moment vorbereitet habe und jetzt quasi fließend in diese Home-Office-Phase übergegangen bin. Aber vielleicht bietet mir das jetzt einfach noch mehr Zeit, im Ausdauerbereich aufzuholen. Beeinflussen kann ich das, was wir jetzt erleben, ohnehin nicht.

Wie sieht der durchschnittliche Tagesablauf derzeit aus?

Bell: Wir haben von unseren Athletiktrainern einen Plan bekommen, der den normalen Trainingsrhythmus so gut es geht simulieren soll. Das bedeutet, dass wir sechs Tage in der Woche trainieren, sowohl im athletischen als auch im läuferischen Bereich. Die Belastung steigern wir dabei jeweils im Wochenverlauf. Insofern nutze ich die Vormittage in der Regel für das Training und verbringe die Zeit ansonsten so wie viele andere sicher auch. Dazu gehören Terrassenarbeit, Dinge abarbeiten, die liegen geblieben sind, und auch mal nichts tun.

Die der Bevölkerung auferlegten Maßnahmen wurden zuletzt teilweise noch nicht vollumfänglich befolgt. Wie schwer fällt es, die Zeit weitestgehend zuhause zu verbringen?

Bell: Ich finde es zunächst einmal wichtig, dass wir weiterhin vor die Tür gehen können und uns alleine oder auch zu zweit draußen bewegen dürfen. Letztendlich ist frische Luft und Aktivität auch ganz wichtig für den Kopf. Was punktuelle Regelverstöße angeht: Ich denke, es wird viel darüber berichtet, dass ein kleiner Teil sich nicht an die Vorgaben hält. Aus meiner Sicht ist aber viel entscheidender, dass die ganz deutlich überwiegende Mehrheit alles umsetzt. Das darf nicht vernachlässigt werden.

Vor ziemlich genau einem Jahr hast du deinen Stammplatz vorübergehend verloren, ihn dir im Sommer zurückerkämpft, dich dann schwer verletzt. Vor zwei Wochen bist du ins Mannschaftstraining zurückgekehrt: Ein bewegtes Jahr für dich…

Bell: …, in dem sicher alles drin war an Dramatik, wenn ich diese zwölf Monate mit den sieben, acht Jahren meiner Karriere davor vergleiche. Die Verletzung war sehr bitter, das Zustandekommen auch irgendwo kurios. Die Zeit danach war lang, aber die Geduld hat sich ausgezahlt, weil ich mittlerweile wieder ein richtig gutes Gefühl habe im Sprunggelenk, alle Bewegungen ohne Probleme machen kann. Das Comeback ist jetzt einfach seltsam. Ich werde gezwungen noch länger zu warten, kann es aber nicht ändern.

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Wie war die Atmosphäre am vergangenen Dienstag, als ihr euch auf unbestimmte Zeit vom Bruchweg und aus dem Mannschaftskreis verabschiedet habt.

Bell: Das war schon eine komische Situation. Man wird mit einem Laufplan nach Hause geschickt, auf unbestimmte Zeit. Es ist völlig anders als vor der Sommerpause, wo du ein Ziel und ein Zeitfenster vor Augen hast. Da weißt du, worauf du hintrainierst. Jetzt sind wir sozusagen im Standby-Modus. Von Woche zu Woche erfahren wir, wie es weitergeht, das ist natürlich eine völlig neue Erfahrung.

Viele Menschen, Branchen und Unternehmen leiden gerade unter der Krise. Du unterstützt deinen Heimatverein FV Vilja Wehr seit vielen Jahren: Was bedeutet diese Phase für einen Amateurfußballverein?

Bell: Auch bei uns in Wehr wurde der komplette Trainings- und Spielbetrieb eingestellt, dennoch haben wir natürlich weiter Ausgaben. Auf der Einnahmenseite hingegen fällt vieles weg. Wir hatten beispielsweise ein Ostercamp – übrigens auch wieder inklusive eines Heimspiels in der OPEL ARENA -  geplant, das wir jetzt in die Herbstferien verschoben haben. Ansonsten haben wir im Mai einen Wandertag und im Sommer die Kirmes. Die Einnahmen dieser beiden Fest machen rund 30 Prozent unserer Jahreseinnahmen aus. Ein anderer großer Punkt sind Bandenwerbungen bzw. Partner und Sponsoren. Die Rechnungen für die Banden gehen bspw. im April raus. Wir diskutieren gerade, ob wir damit noch warten. Denn letztendlich haben viele kleine und mittelständische Unternehmen jetzt große Probleme und stehen vor riesigen Herausforderungen, die sie bewältigen müssen.

Dein Vertrag läuft im Sommer aus. Was bedeutet die Situation für dich?

Bell: Ich denke, sowohl Verein als auch ich hätten das jetzt sehr gerne geklärt. Das betrifft aber gar nicht nur mich, sondern viele andere Spieler, deren Verträge auslaufen oder deren Verträge verlängert werden sollten. Im Moment liegt alles auf Eis. Ich bin sicher, das gilt auch für viele vorgesehene Transfers, weil niemand Planungssicherheit hat, Unklarheit hinsichtlich Budgets besteht. Es wird sicher ein interessanter Sommer, von dem noch niemand weiß, wie er abläuft. Ich muss die Situation jetzt so akzeptieren und abwarten, so wie alle im Moment warten müssen.

Empfindest du persönlich Angst?

Bell: Nein, aber auch wir erleben etwas völlig Neues, Unbekanntes. Glücklicherweise gibt es Experten, die hoffentlich die richtigen Entscheidungen treffen und uns Vorgaben machen in dieser Krise. Wir müssen das umsetzen. Wichtig finde ich, dass man aus dem Haus darf. Kritisch würde es aus meiner Sicht nur werden, wenn wir irgendwann wirklich für längere Zeit zuhause 'eingesperrt' wären.

Sollten wir wieder spielen, dann wohl sehr sicher ohne Zuschauer. Kannst du dir vorstellen, dass Spiele unter Wettbewerbsbedingungen so zustande kommen?

Bell: Das wäre natürlich für alle eine neue Erfahrung. Aber ich möchte es so sagen: Vor ein paar Wochen waren die sogenannten Geisterspiele sehr negativ behaftet. Und natürlich ist unser aller Wunsch vor unseren Fans zu spielen. Jetzt muss man aber sagen, dass wohl die Meisten glücklich wären, wenn es zu Spielen ohne Zuschauer käme. Aus Spielersicht kann ich mir vorstellen, dass man sich für den Moment darauf einstellen kann, auch wenn es nie das Gleich wäre, wie vor vollen Rängen. Im taktischen Bereich könnte es sogar von Vorteil sein, weil man sich plötzlich akustisch besser auf dem Spielfeld versteht. Ich denke, von der Tribüne aus unterschätzt man die Lautstärke auf dem Platz, da ist ein permanentes Grundrauschen. Die Spiele ohne Zuschauer könnten insofern mehr von Taktik geprägt und variabler sein, weil man auch von außen häufiger Einfluss nehmen könnte.

Lernt man die für den Moment abhanden gekommene Normalität in diesen Wochen noch mehr zu schätzen?

Bell: Ich kann das gerade jetzt mit meiner Verletzung vergleichen. Wenn du als Spieler, so wie auch ich viele Jahre, nie schwer verletzt bist, dann ist das irgendwann alles selbstverständlich. Jetzt wird auch mir viel bewusster, wie schön es ist, täglich ohne Beschwerden mein Programm absolvieren zu können. Ich denke, das verhält sich mit dem notwendigen Verzicht in der Gesellschaft jetzt sehr ähnlich.