Profis 17.09.2022 - 13:15 Uhr
Belohnung für den Glauben
Svensson: Vorteil für beidfüßigen Torschützen zum 1:1
Exakt drei Minuten und 25 Sekunden der vom Schiedsrichter verordneten Nachspielzeit von vier Minuten waren vorbei, als das passierte, mit dem in der MEWA ARENA kaum noch jemand gerechnet hatte. Dass Karim Onisiwo zentral vor dem Tor ein Kopfballduell mit Hertha-Verteidiger Peter Pekarik gewann, der Ball vom Kopf des Berliners halblinks in den Laufweg von Antony Caci flog und der eingewechselte Linksverteidiger volley mit rechts zum 1:1 vollstreckte. Frank Willenborg pfiff die Partie gar nicht mehr an und auf dem Rasen, auf der Mainzer Trainerbank sowie auf den Rängen, wo die 05-Fans ihre Mannschaft unaufhörlich angefeuert hatten, entlud sich die Anspannung in unbändige Freude.
Die Mainzer feierten dieses Unentschieden wie einen Sieg. Als so etwas ähnliches zumindest empfanden die Gastgeber diesen so spät noch gelungenen Punktgewinn im Heimspiel vor gut 25.000 Zuschauern gegen Hertha BSC. Denn allen, die es mit dem 1. FSV Mainz 05 hielten, war klar, dass eine weitere Heimniederlage, ein weiteres Negativerlebnis nach dem 1:4 von Hoffenheim angesichts dieses unrunden, sich schwierig und unbefriedigend gestaltenden Auftritts gegen die Berliner ebenso ungemütliche 14Tage der Auf- und Verarbeitung in der nun beginnenden Länderspielpause zur Folge gehabt hätte.
"Heute war es sehr schwierig", musste Martin Schmidt in der Mixed Zone zugeben. "Wir kamen mit ihrer Aggressivität nicht ganz klar. Wir haben gefühlt die Hälfte aller Zweikämpfe verloren. Wir kamen oft nicht mal richtig in die Zweikämpfe. Die Momente mit Ball waren auch zu wenig gut. So lief das Spiel dahin, die Zeit verrann, ohne dass wir uns Chancen herausspielen konnten. Zum Schluss muss man sagen, dass Bo sehr gut gewechselt hat. Auch dass er auf Viererkette umgestellt hat, so dass wir vorne einen mehr hatten, das hat uns gutgetan. Wir wurden danach wenigstens auf zweite Bälle aggressiver. Das Tor in der Nachspielzeit, war dann das Spielglück, das wir lange Zeit nicht hatten. Wir hatten so richtig keine Chancen. Es waren so viele halbe Dinge in der Box, bis zu diesem Super-Tor für und von Caci“, sagte der Sportdirektor des FSV.
Schwarz: "Einfach brutal"
"Er hat lange warten und viel Geduld haben müssen. Heute hat er die Chance genutzt und uns zum Schluss den Punkt geliefert. Ich glaube, für das Gefühl war es ein unheimlich wichtiges Tor, ein wichtiger Punktgewinn. Jetzt überwiegt die Freude über den Punkt, aber es gibt viel aufzuarbeiten. Mit dem 1:1 ist es einfacher, eine kritische Analyse zu machen, die Dinge nachzujustieren. Mit zwei Niederlagen hintereinander wäre es sehr bitter gewesen im Hinblick auf die zwei Wochen Länderspielpause“, erklärte der Schweizer.
Für Sandro Schwarz dagegen fühlte sich dieses Last-Minute-Tor, das ihm bei seiner Rückkehr wenige Sekunden vor Schluss den Sieg kostete, "einfach brutal an", wie der Hertha-Trainer eingestand. Sein Team habe aber in der zweiten Halbzeit wenig Entlastung geschafft, "auch weil wir uns auf diesen Ringkampf eingelassen haben, im Kampf um die zweiten Bälle."
"Das hat es gebraucht“
Das Publikum erlebte an diesem Freitagabend ein Spiel, in dem bei den Mainzern lange Zeit wenig funktionierte, in dem vieles auf Zufall aufgebaut war, in dem die Gastgeber eine klare Linie suchten gegen die unbequemen und robusten Berliner, die kaum Freiräume boten und ihre erste Chance zum Führungstreffer nutzten. "Wir hatten immer Druck", sagte Schmidt. "Wenn wir den Ball hatten, waren wir immer unsauber. Diese Unsauberkeit im Passspiel, auch in die Spitze, hat dazu geführt, dass wir unsicher wurden. Und das hilft dir nicht, mit dem eigenen Ballbesitz umzugehen. Du kommst aus diesem Strudel nicht raus, und deshalb brauchte es am Ende das Matchglück. Aufs gesamte Spiel gesehen, ist das Unentschieden gerecht, denn es war kein Team klar besser. Sie waren aggressiver, robuster, aber sie haben uns nicht an die Wand gespielt." Für den Sportdirektor war klar, dass Svenssons Einwechslungen, die Umstellung auf die Viererkette der Schlüssel für den Punktgewinn war. "Das hat es gebraucht.“ Damit habe der Coach dem Team signalisiert: "Wir wollen, wir müssen nochmal alles versuchen. Das ist ein wichtiges Zeichen an die Mannschaft. Deshalb muss ich dem Trainer ein Kompliment machen."
Bo Svensson ist nach solchen Leistungen bekannt dafür, recht schonungslos zu analysieren "Wir freuen uns über den Punkt, aber wir gehen kritisch mit uns um", sagte der Cheftrainer. "Inhaltlich war das nicht gut genug. Man kann nicht erwarten, dass wir ein ganzes Spiel dominieren, aber wir hatten heute keine Phase, in der wir besonders gut waren", sagte der 43-Jährige. Es habe auch nicht daran gelegen, von der Berliner Spielweise überrascht worden zu sein. "Der Druck war zu erwarten", sagte er. "Hertha ist eine andere Mannschaft als voriges Jahr. Und weil Sandro Schwarz deren Trainer ist", sei absehbar gewesen, was auf sein Team zukomme. Dem habe jedoch die letzte Power, die Intensität und auch der Mut gefehlt, hoch anzulaufen, wie es der Trainer geplant hatte.
Haben es der Hertha sehr einfach gemacht
Warum das so war, und was fehlte, darüber machte sich nicht nur der Coach seine Gedanken. "Ich würde es nicht unkontrolliert nennen", sagte Danny da Costa, dessen Comeback im Team mehr Schwung, mehr Klarheit in die Aktionen und Zweikämpfe gebracht hatte. "Es war schon so, dass wir von Anfang an einen klaren Plan hatten, was wir machen wollten, aber es ist dann immer die Frage, wie man es umsetzt, dass dann auch das richtige Spieltempo gegeben ist, dass die Positionierungen passen. Und da muss man sagen, das hat nicht gestimmt. Über die gesamten 90 Minuten gesehen muss man leider sagen, dass wir zu selten in den richtigen Positionen waren, dass wir die Räume, die wir hatten, wirklich ausgespielt haben", erklärte der Rechtsverteidiger, der nach langer Verletzungspause offenbar wieder auf einem guten Weg ist. "Klar, Hertha hat viel investiert, hat gekämpft, hat sich in alles reingeworfen, ich glaube aber, dass wir es ihnen sehr einfach gemacht haben", sagte er. "in der zweiten Halbzeit war es klar, dass wir eine Reaktion zeigen müssen. Die haben wir in kämpferischer Hinsicht auf jeden Fall gezeigt. Mit dem Ausgleich in allerletzter Sekunde hat man gesehen, dass wir wirklich auch die ganze Zeit noch dran geglaubt haben."
Anthony Caci sorgte dafür, dass die Geschichte noch glimpflich ausging. "Super", sagte der Franzose, "ich freue mich sehr darüber. Das Tor war gut für mich und für die Mannschaft. Ich denke, ich habe heute den Auftrag gut erledigt“. Mit seiner Dynamik habe Caci es gut gemacht, lobte Svensson. "Das Tor hat gezeigt, dass es ein Vorteil ist, beidfüßig zu sein."
Testspiel gegen den KSC
Warum die Mannschaft derzeit zu selten den eigenen Ansprüchen gerecht wird, will Svensson mit dem Team und seinem Stab analysieren. Die Ligapause bietet dafür etwas mehr Zeit als sonst. Am Donnerstag (14 Uhr) gibt es zudem das Testspiel gegen den Karlsruher SC im Bruchwegstadion.