Profis 22.03.2022 - 09:10 Uhr
Eigenwerbung auf wie abseits des Rasens
Fans und Verein erleben rund um die MEWA ARENA einen Nachmittag, der in Erinnerung bleiben wird. Der Cheftrainer sieht sein Team bei aller Zufriedenheit über das Erreichte aber längst nicht am Ziel.
Die Szenerie rund um die MEWA ARENA passte schon weit vor dem Anpfiff des Duells mit der Arminia zu den folgenden 90 Minuten: Der Familienspieltag hielt auf dem Stadionvorplatz reichlich Attraktionen bereit, 05-Fans sammelten für ukrainische Familien und die Sonnenstrahlen kitzelten die ersten Frühlingsgefühle aus allen Mainzerinnen und Mainzern auf dem Weg zur Partie des 27. Spieltags heraus. Der furiose Auftritt der Mainzer Profis sorgte schließlich dafür, dass die Stimmung sich auf hohem Niveau stabilisierte und bis lange nach dem Schlusspfiff dort hielt an diesem denkwürdigen Nachmittag. Alles in allem ein Stadionerlebnis, das künftig Mainzer Standard bleiben und werden soll.
Die Journalisten nutzen bei den Bundesliga-Spielen des 1. FSV Mainz 05 in der MEWA ARENA gewöhnlich den Eingang T2, betreten das Stadion durch die linke der beiden Türen und verlassen die Arena später wieder durch die andere Pforte. Am Samstagabend, mehr als eine Stunde nach dem elektrisierenden Auftritt der Mannschaft von Bo Svensson beim 4:0-Erfolg gegen Arminia Bielefeld, mussten alle diejenigen, die zunächst ihre Interviews in der Mixed Zone geführt und dann noch die anschließende Pressekonferenz verfolgt hatten, das Stadion durch dieselbe Tür verlassen, durch die sie ein paar Stunden zuvor eingetreten waren. Denn der Ausgang war förmlich belagert. Eine große Menge an Fans stand Spalier vor der Tür, in freudiger Erwartung der Spieler und des Trainerteams. Die Anhänger warteten geduldig, um den 05-Akteuren persönlich und mit einem Schulterklopfen das zu vermitteln, was schon nach dem Abpfiff von den Arena-Tribünen lautstark zu vernehmen war. Begeisterung, Anerkennung und Identifikation mit einer Mannschaft, die trotz aller Widrigkeiten durch Ausfälle und Sperren sowie der erst seit wenigen Tagen überwundenen Corona-Problematik im Augenblick für das Team und den gesamten Klub die beste Werbung betreibt, die man sich nur vorstellen kann.
Wie zu Bruchweg-Zeiten
Auch wenn diese Englische Woche mit einer ärgerlichen, weil unnötigen und unglücklichen 0:1-Niederlage gegen den BVB begann, sie endete mit einem beeindruckenden Erfolg gegen die Ostwestfalen und mit einer Entwicklung, die es in den vergangenen Jahren so nicht gegeben hat. Zweimal war die MEW ARENA mit 25.000 Zuschauern ausverkauft, und zweimal zeigten die Mainzer Zuschauer eine lange nicht mehr dagewesene Begeisterung für ihre Mannschaft, honorierten deren Spielweise, diese aufopferungsvolle Arbeit in einem zu einer "Jeder-für-jeden-Einheit" gewachsenen Kollektiv. Das erinnert stark an die erste Bundesliga-Zeit der Rheinhessen im alten Bruchwegstadion und unterstreicht die Philosophie, die der dänische Chefoach in etwas mehr als einem Jahr Arbeit mit prallem Leben gefüllt hat.
Der Vollgas-Fußball, den Svenssons Mannschaft offensiv genauso wie in der Defensivarbeit auf den Platz bringt, hat in Mainz dafür gesorgt, dass der FSV wieder "in" ist und die Fans gerne ins Stadion kommen, um das eigene Team zu sehen: "Ich fand es bemerkenswert, innerhalb von drei Tagen zwei Heimspiele unter diesen Bedingungen zu haben vor vollem Haus. So eine gute Stimmung vor dem Spiel, nach dem Spiel, während des Spiels, egal ob Niederlage oder Sieg. Als wir mit dem Mannschaftsbus ankamen, standen am Samstag so viele Fans da, wie ich es hier als Trainer noch nicht erlebt habe", sagte der 42-Jährige einen Tag nach dem 4:0. "Das war kein normales Fußballspiel, sondern ein echtes Mainz-05-Heimspiel. Nach dem Spiel sind wir rausgegangen, haben begeisterte Leute erlebt und waren genauso begeistert über diese Begeisterung. Unsere Fans haben normale Bundesliga-Spieltage zu besonderen Spieltagen gemacht. Klar sind die drei Punkte geil, aber das andere, was ich mit dem Verein verbinde und wofür wir stehen müssen, ist noch wichtiger", wiederholte Svensson einmal mehr, was für ihn seit seinem Amtsantritt im Vordergrund steht.
Der frühere Innenverteidiger wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass es für ihn darum geht, die eigene Philosophie und Strategie nach vorne zu bringen und das umzusetzen, wofür man stehe in Verein und Mannschaft. "Der Fußball hat die Fähigkeit, eine Stadt zu prägen und für den Verein einzunehmen", hat er mal in einem Interview gesagt. Die Art und Weise, wie die Mainzer in dieser Saison zu Hause ihre Spiele bestreiten, bestätigt das nachdrücklich.
Begeisterung allenthalben
Als der 05-Trainer in der Pressekonferenz nach dem Erfolg über die Arminia gefragt wurde, ob die nun erreichten 37 Punkte gleichbedeutend seien mit dem Klassenerhalt, sagte Svensson: "Das kann so sein", er habe sich darüber keine Gedanken gemacht. "Ich selbst und die Gruppe haben das so auch nie explizit formuliert", betonte er. "Unser Ziel war immer, gute Leistungen auf den Platz zu bringen. Die Liste unserer Ziele ist lang, aber ganz oben stand bei mir nicht der Klassenverbleib." Und dann schob der Coach noch hinterher: "Das soll nicht überheblich rüberkommen, aber es ist so: Wir haben uns nicht so viel damit beschäftigt."
Entwicklung im Vordergrund
Für Svensson ist wichtig, wie seine Mannschaft in Training und Spiel auftritt, dass in allen Bereichen das Kollektiv im Vordergrund steht. Der ehemalige Jugendtrainer will seine Spieler Schritt für Schritt weiterentwickeln, besser machen, so, wie Jonathan Burkardt, der nach längerer Torpause gegen Bielefeld wieder einen Doppelpack erzielte. Oder wie Anton Stach, dessen Potenzial Bundestrainer Hansi Flick nicht verborgen geblieben ist, der den Mittelfeldspieler für die bevorstehenden Länderspiele nominiert hat. Mit der Spielweise, dem körperlich engagierten, taktisch fein gesponnenen Spielstil, verbunden mit der auffälligen Entwicklung einzelner Akteure, hat das Team sein Publikum längst für sich eingenommen.
"Ich sehe diesen Stil nur positiv", hat der Däne in einem anderen Mediengespräch mal betont. "Kräfte zu verwalten, das passt nicht zu Mainz 05. Der Ansatz muss immer sein, das Maximale rauszuholen, egal wie es steht. Weil das am meisten Spaß macht. Und weil man durchschnittlich bleibt, wenn man das Gas rausnimmt. Das wollen wir nicht."
Auch auswärts anknüpfen an die Heimauftritte
Spielweise und Philosophie sind für den Trainer die Grundbausteine der eigenen Fußball-DNA. Dazu gehört aber auch die Arbeitsatmosphäre, die von den Verantwortlichen am Bruchweg etabliert worden ist. "Die Kultur innerhalb der Gruppe, innerhalb der Kabine, aber auch im Umgang innerhalb des ganzen Vereins. Das sorgt am Ende nachhaltig dafür, dass Mainz auch Mainz bleiben kann, wenn es nicht 57 Punkte verspricht", so hat es Svensson zum Ende der Vorrunde gesagt.
Mindestens acht Profis des FSV sind aktuell mit ihren jeweiligen Nationalteams unterwegs. Die Übrigen arbeiten am Bruchweg für die nächste Herausforderung nach der Liga-Unterbrechung: Die Englische Woche mit dem Auswärtsspiel in Mönchengladbach, dem Nachholspiel in Augsburg und der Partie in Köln. An die vor heimischer Kulisse gezeigten Auftritte auch auswärts anzuknüpfen, lautet schließlich eines der nächsten Ziele von Svensson und seinem Team.