Profis 18.05.2022 - 18:30 Uhr
Tempo & Variabilität als sportliche Waffen
Cheftrainer Bo Svensson über neue Spielerprofile & eine Entwicklung hin zu noch mehr taktischer Flexibilität
Eine Szene aus dem Duell mit Eintracht Frankfurt im letzten Heimspiel der Saison ist dem Cheftrainer des FSV in besonderer Erinnerung geblieben. Es geschah in der druckvollen Mainzer Startphase, als Jonny Burkardt nach einem gut getimten Pass durchs Mittelfeld unterwegs war zum Eintracht-Tor und möglicherweise zum 1:0 für den FSV. Doch, als sich der 05-Stürmer dem Kasten von Kevin Trapp näherte, stürmte Eintracht-Verteidiger Almamy Touré heran, lief Burkardt ab und klärte die Situation souverän. Nun ist der 05-Torjäger nicht unbedingt der langsamste, Burkardt hat einen guten Antritt und ist auf den ersten Metern schnell mit dem Ball weg vom Mann, doch das Tempo des Eintracht-Franzosen (35,53 km/h Höchstgeschwindigkeit) hat der U21-Europameister nicht.
Im Tempo-Vergleich mit der Eintracht unterlegen
Bo Svensson hat sich die Szene genau angeschaut und auch gesehen, dass Touré nicht der einzige im Frankfurter Team war mit prächtiger Geschwindigkeit in den Beinen. In der abschließenden Medienrunde sinnierte der 05-Tainer jedenfalls über Profile, die mögliche Neuverpflichtungen mitbringen müssten. Der Däne kam zu einem klaren Bild: Geschwindigkeit soll es sein.
"Ich glaube, in Ergänzung zu dem, was wir schon haben, wird das Thema Tempo wichtig für uns", erklärte der Coach. "Wenn wir vergleichen, und nur das Spiel gegen die Eintracht nehmen, sehen wir direkt, dass in der Frankfurter Fünferkette fünf schnelle Spieler stehen. Unsere Spieler kriegen es gut hin. Wir haben da aber bis jetzt nur einen richtig schnellen Spieler mit Moussa Niakhaté. Also ist es schon ein Thema, das uns helfen könnte. Der Bello ist nicht der schnellste, er hat andere Waffen. Das haben wir gegen Frankfurt wieder gesehen, da hat er ein sehr gutes Spiel gemacht, aber du kannst natürlich dein Spiel anders gestalten, wenn du dieses höhere Tempo hast. Deshalb war Jeremiah so wertvoll für uns, in der letztjährigen Rückrunde zum Beispiel. Doch auch in der offensive ist das Tempo ein Thema. In den Umschaltphasen. Dass wir auch dann nicht mehr eingeholt werden, wenn wir schon hinter der gegnerischen Kette sind", sagte er.
"Wir schauen viel auf das Tempo bei potenziellen Zugängen. Denn die Geschwindigkeit in der Offensive wird wichtig sein für die Art und Weise, wie wir künftig spielen wollen. Wenn du hohes Pressing spielen oder deine Umschaltgefahr nutzen willst, dann brauchst du entsprechende Spieler, die diese Qualität haben." Im 05-Offensivbereich erfüllte zuletzt vor allem Karim Onisiwo mit seiner Wucht diesen Anspruch.
Doch der FSV hat noch einen dieser Sprinter mit fußballerischer Qualität in seinen Reihen. Und in dieser Woche auch fest an sich gebunden, nachdem die Kaufoption für Delano Burgzorg gezogen wurde, der im Winter auf Leihbasis von Heracles Almelo gekommen war. Der schnelle Angreifer hat in seinen drei Einsätzen bereits seine Gefahr angedeutet mit einem Treffer und etlichen selbst herausgearbeiteten Chancen, bevor den Holländer dann eine Corona-Infektion ausbremste, in deren Folge sich Burgzorg eine Herzmuskelentzündung zuzog.
Unterschiedliche Profile bei Burgzorg & Ingvartsen
Der Niederländer habe seine Fähigkeiten als variabler Vollblutstürmer bereits andeuten können, erklärte Martin Schmidt, der den Stürmer nun in einer Entwicklungsphase hin zum nächsten Level sieht. Und auch Svensson ist davon überzeugt, dass der 23-Jährige, wenn er gesund ist, in Mainz durchstarten kann: "Delano ist ein Typ Spieler, den wir sonst nicht im Kader haben. Ein schneller Eins-gegen-Eins-Spieler, der auch auf dem Flügel spielen und in der kommenden Saison sein volles Potential bei uns ausschöpfen kann."
Auf die Frage, ob ein langer Mittelstürmer der 1,95 Meter hoch ist, beispielsweise wie Ádám Szalai es war, im Team fehle, sagte der 05-Trainer, er wisse spontan nicht exakt, wie groß Marcus Ingvartsen sei. Man sehe aber, dass der dänische Nationalspieler seine Qualitäten als Zielspieler habe. Die Saison sei für den Doppeltorschützen aus dem Bundesligafinale insbesondere aufgrund von Verletzungen keine einfache Zeit gewesen. "Dass er trotzdem sieben Tore beigesteuert hat, zeigt, was für ein Potential in ihm steckt. Marcus verfügt über andere Qualitäten als seine Konkurrenten bei uns im Sturm, und wir sind davon überzeugt, dass er in der kommenden Saison eine noch größere Rolle bei uns spielen wird", sagte Svensson.
Das ist möglich, weil der Klub nun auch den Dänen fest verpflichtet hat. Der 26-Jährige, der seit Beginn der abgelaufenen Saison mit Kaufoption von Union Berlin ausgeliehen war, erhält am Bruchweg ebenfalls einen Vertrag bis 2025.
"Es wäre natürlich gut, wenn wir vorne auch einen langen 1,95-Meter-Mann hätten, aber es muss halt immer passen. Wir holen nicht jemanden nur deshalb, weil wir so einen Typ Spieler gebrauchen können." Er habe zudem immer die Möglichkeit, die Herangehensweise anzupassen, betonte der 05-Trainer.
Taktische Überlegungen & Anpassungen im Spielverlauf
Svensson hatte zuletzt mit einer Spitze und zwei hängenden Halben gespielt, davor jedoch auch häufig auch mit zwei Stürmern. Und was gefällt dem Coach besser?
"Wir haben oft in Spielen in der Struktur mit dem Ball mit einem Stürmer und zwei halben gespielt, die in die Halbräume gefallen sind. Denn wir haben gemerkt, dass uns das eine bessere Raumaufteilung gibt. Wenn du drei stürmer vorne hast, gibt es bessere Optionen miteinander zu spielen. Im 3-5-2 hat uns teilweise die Unterstützung für unsere Stürmer da vorne gefehlt. Die konnten eigentlich nur miteinander spielen, weil die Wege von der acht zu weit waren, und die Unterstützung von den Außenspielern war auch zu weit entfernt. Die vorne standen dann allein da und mussten vieles selbst unternehmen, um für Gefahr zu sorgen. Das haben die teilweise gut gemacht. Du bist aber variabler, wenn du einen zusätzlichen Spieler im Halbraum hast, mehr Unterstützung von mehr Leuten bekommst. Gegen den Ball können wir in mehreren Grundordnungen spielen. Manchmal war es direkt gut, manchmal haben wir im Spielverlauf umgestellt. In Berlin haben wir beispielsweise im 5-4-1 oder 3-4-3 gegen den Ball angefangen. Das hat gegen Hertha nicht so gut gepasst, da haben wir nach 20 Minuten umgestellt, in ein schnelleres 3-5-2 - und plötzlich hatten wir Zugriff", ging der Ex-Profi ins Detail.
"Das ist halt die Idealvorstellung, dass wir zwischen diesen Positionierungen wechseln können, variabler sind und innerhalb kürzester Zeit umstellen können. Was mir lieber ist, kommt darauf an, welche Spieler auf dem Platz stehen, welche Aufgaben wir vor uns haben“, so der Cheftrainer weiter. "Unser Ziel bleibt es, dass wir mehrere Systeme und die unterschiedlichsten Aufgabenstellungen verlässlich beherrschen."