Profis 17.10.2022 - 12:00 Uhr
Bungert über Lübeck 2009: Turbulenzen & der Beginn einer Ära
Vor 13 schieden die 05ER im DFB-Pokal beim VfB Lübeck aus. Niko Bungert erinnert sich zurück an sein Tor, das Aus sowie den folgenden Trainerwechsel von Jörn Andersen zu Thomas Tuchel - "Okay, der U19-Trainer, was wird denn das werden?"
Wenn der 1.FSV Mainz 05 am Dienstag um 18 Uhr im Stadion Lohmühle in Lübeck zur zweiten Runde im DFB-Pokal antritt, dann werden Erinnerungen wach. Erinnerungen an das denkwürdige Erstrundenmatch an jenem Freitagabend im Juli 2009, in dem der frischgebackene Bundesligist beim damals, wie heute in der Regionalliga beheimateten VfB Lübeck auf die Nase fiel (1:2 n.V), und damit etwas auslöste, was dem FSV bis heute medial noch immer Aufmerksamkeit garantiert. Wenige Tage nach der Niederlage an der Ostsee trennte sich der Verein von Aufstiegstrainer Jörn Andersen, der den Klub nicht lange vor diesem Pokal-Aus ins Pokal-Halbfinale und dann zurück in die Bundesliga geführt hatte. Nach der Niederlage in Lübeck war Schluss für den Norweger, dessen Demission bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Bo Svensson, der aktuelle Mainzer Cheftrainer, saß damals auf der Ersatzbank und wird diese Partie wohl ebenso wenig jemals vergessen können, wie Christian Heidel, damals 05-Manager und heute Sportvorstand, der nach vielen Krisensitzungen und internen Gesprächen schließlich die Entlassung Andersens öffentlich erklären musste und der dann zügig eine bis heute vielbeachtete Lösung präsentierte: Heidel beförderte bekanntlich den soeben mit der U19 des FSV Deutscher A-Jugend-Meister gewordenen Nachwuchstrainer Thomas Tuchel zum Bundesligacoach. Wie man heute weiß, keine schlechte Entscheidung, denn Tuchel prägte fortan eine neue Ära in Mainz, die anschloss an die erfolgreiche Zeit unter Jürgen Klopp.
Der Beginn einer Ära
"Dadurch, dass man als Abwehrspieler nicht allzu viele Tore schießt, und ich da damals eins geschossen habe, bleibt das Lübeck-Spiel mir allein aus dem Grund schon in Erinnerung"“, erinnert sich Niko Bungert, damals Innenverteidiger, heute Vereins-Botschafter der Rheinhessen. "Ein Pokal-Aus gegen eine unterklassige Mannschaft ist auch etwas, was hängen bleibt. Und der dritte, vielleicht wichtigste Fakt dieses Spiels, ist das, was daraus resultierte", sagt der langjährige Mainzer Profi, der in einer Woche seinen 36. Geburtstag feiert: "Der Startschuss der Ära Thomas Tuchel. Mit dieser Niederlage ist etwas losgestoßen worden. Deshalb bleibt das Spiel generell in Erinnerung." Die Partie sei zunächst recht planmäßig verlaufen. „Wir sind in Führung gegangen durch mein Tor", so Bungert, der noch weiß, dass er einen Eckball von Florian Heller zum 1:0 eingeköpft hat.
"Wir haben kaum etwas zugelassen, waren aber auch nicht drückend überlegen. Wir haben das Spiel vernünftig kontrolliert, aber das Ganze ist mit dem Gegentor komplett zusammengebrochen. Dass er selbst es war, der an der Mittellinie den Ball verlor und den Konter zum 1:1 auslöste, "muss falsch übermittelt worden sein. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern", sagt er lachend. "Jedenfalls wurde es dann ein typisches und klassisches Pokalspiel. Auf einmal wurde das Stadion zum Hexenkessel, die Jungs von Lübeck sind über sich hinausgewachsen, haben an sich geglaubt. Und wir waren dort eine Woche vor dem Bundesliga-Saisonstart, nach einer Vorbereitung, in der nicht alles nach Plan gelaufen war, zu schlecht. Und so kam es, wie es kommen musste. Dass wir in der Verlängerung das 1:2 bekommen haben und tatsächlich nicht mehr viel entgegenzusetzen hatten."
Es war der Beginn einer turbulenten Woche mit der Trainer-Entlassung, mit Pressekonferenzen, der Vorstellung Tuchels als neuer Trainer. Und zu allem Überfluss riss sich Dimo Wache, der 05-Kapitän und die Nummer eins im Tor, im ersten Training unter Tuchel die Patellasehne und erlitt noch vor dem ersten Bundesligaspiel das Saison-Aus. Über die Geschichte von Andersens Aus in Mainz will Bungert, der zusammen mit Aristide Bancé und dem Trainer ein Jahr zuvor aus Offenbach nach Mainz gewechselt war, nicht mehr groß reden.
Ereignisreiche Tage rund um den Bruchweg
"Lübeck war ein Tiefpunkt, der aber im Nachhinein etwas ausgelöst hat", sagt er rückblickend. "Wir waren erst einmal down nach dieser Niederlage. Wir sind ein Jahr lang auf der Erfolgswelle geritten in der Zweiten Liga und im Pokal bis ins Halbfinale gekommen, haben dabei vorher zwei Bundesligisten ausgeschaltet. Deshalb war die Stimmung nach dieser Erfahrung schlecht. Trotzdem haben wir nicht gedacht, dass ein Aufstiegstrainer noch vor dem ersten Bundesligaspiel seinen Job verlieren könnte. Das war für uns durchaus überraschend, obwohl wir die Gründe nachvollziehen konnten. Es war eine turbulente Woche. Der Bruchweg war voll mit Journalisten, Kamerateams und Ü-Wagen. Es war sehr kurios. Mein erster Gedanke war: 'Okay, der U19-Trainer, was wird denn das werden?' Ich konnte mir naiverweise nicht richtig vorstellen, dass da jetzt jemand vor uns steht, der direkt eine Bundesliga-Mannschaft auf den Platz führen kann", erinnert sich der Verteidiger.
"Alle Zweifel waren jedoch komplett weggewischt, als Thomas Tuchel zum ersten Mal unsere Kabine betrat und einen solchen Optimismus, eine solche positive Energie mitbrachte, mit der ersten Ansprache die ganze Mannschaft sofort mitgerissen hat. Ab diesem Zeitpunkt ging es erst mal für eine ganze Weile aufwärts mit uns. Für mich war das ein Riesenglück, Thomas in einer frühen Phase meiner Karriere so lange als Trainer haben zu können, speziell jemand wie ich, der nicht davon lebt, dass er das ganz große Talent mit sich rumträgt in den Füßen und im Körper. Dann von ihm so viele inhaltliche Sachen mitzubekommen, und aufzusaugen, hat mich unglaublich nach vorne gebracht und die Voraussetzung geschaffen, dass ich mich überhaupt zehn Jahre in der Bundesliga halten konnte. Ich bin Thomas sehr dankbar, der Verein ist ihm dankbar, weil er es geschafft hat, Mainz so zu etablieren in der Phase nach Kloppo, mit einem Fußball, der Hand und Fuß hatte."
Warnung vor dem Hexenkessel
So etwas, wie vor 13 Jahren, soll den Mainzern am Dienstagabend in Lübeck natürlich nicht noch einmal passieren: "Die Rollen sind klar verteilt. Dass wir Spieler in unseren Reihen haben mit einem höheren Niveau als Lübeck, ist klar. Das Schöne aber ist, das man es im Fußball und im Pokal trotzdem über 90 Minuten mit ganz viel mannschaftlicher Geschlossenheit, die Lübeck mitbringen wird, schaffen kann, gegen ein Bundesligateam gut auszusehen. Das wird eine heiße Kiste. Da braucht keiner denken, dass wir auf einer Arschbacke entspannt gewinnen. Das wird wieder ein Hexenkessel, das wird sicher das Spiel des Jahres sein für Lübeck. Ich denke, Bo ist da genau der richtige, um die Jungs darauf einzustellen. Dass da von der ersten Minute ein Fight auf uns wartet, der nur erfolgreich sein kann, wenn wir ihn sofort und bedingungslos annehmen."