• Home
  • News
  • Bungert vor Bayern: "Wir wollen so nah wie möglich ans Maximum"

23.04.2025 - 20:00 Uhr

Bungert: "Wollen so nah wie möglich ans Maximum"

Im Interview spricht der langjährige Kapitän & heutige Sportdirektor über die Ausgangslage im Kampf um Europa, seine eigenen Europa-League-Erfahrungen sowie die Stimmungslage rund um den FSV

Im August 2024 übernahm Niko Bungert die Rolle des 05-Sportdirektors von Martin Schmidt und verantwortet seither alle Geschicke rund um den Profi-Kader des FSV. Nachdem seine Premieren-Saison in neuer Funktion bis zum jetzigen Zeitpunkt kaum erfolgreicher hätte laufen können, erklärt der 38-Jährige im Gespräch, mit welchen Ambitionen die 05ER den Saisonendspurt angehen, blickt auf die Herausforderung Bayern München voraus und betont, dank welcher Eigenschaften Bo Henriksen "genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort" ist.

Niko, vor einem Jahr warst du Co-Trainer und mit der Mannschaft mitten im Abstiegskampf. Lässt sich die Situation damals mit der aktuellen Ausgangslage vergleichen?

Bungert: Die Anspannung war deutlich intensiver, weil ein Abstiegsszenario etwas ganz anderes ist. Das ist extremer, heute ist das Gefühl deutlich positiver und geprägt von der Lust etwas zu erreichen. Beides eint die positive Energie, weil man ansonsten keinen Erfolg haben kann, unabhängig von den jeweiligen Zielen.

Gegen Wolfsburg mussten wir am Wochenende ein spätes Remis wegstecken. Wie gehen wir die letzten vier Partien an?

Bungert: Wolfsburg war enttäuschend und unglücklich, keine Frage. Grundsätzlich gehen wir in jedes Spiel rein, um es zu gewinnen. Wir hatten uns in den letzten Wochen generell mehr vorgenommen. Aber Haken dran, wir wollen nicht in der Vergangenheit kramen, sondern freuen uns auf ein spannendes Restprogramm. Dabei haben wir die große Möglichkeit, wieder etwas Besonderes zu schaffen, so wie uns das auch im letzten Jahr gelungen ist. Wir schauen jetzt nur auf Bayern München, den wahrscheinlichen Deutschen Meister, das Stadion wird voll sein, mehr als 7.000 Mainzer begleiten uns. Es geht gegen einige der besten Spieler Europas beziehungsweise der Welt. Darauf haben die Jungs Bock und wollen versuchen – Mainz-05-typisch – den Großen ein Bein zu stellen. Um die Frage zu beantworten: Gegen die Top-Mannschaften Punkte klauen, beim schweren Spiel in Bochum bestehen und am Ende schauen, was herauskommt. Wir wollen so nah wie möglich ans Maximum. 

"Wir hatten uns in den letzten Wochen generell mehr vorgenommen"

15. September 2016: Als Kapitän markierte Bungert gegen St. Etienne den historischen ersten Mainzer Treffer in der Gruppenphase eines europäischen Wettbewerbs.

Tut es gut, erstmals seit vielen Wochen nicht der Favorit zu sein?

Bungert: So geht es letztendlich jedem Team, dass in der Allianz Arena ranmuss. Ich persönlich habe dort Höhepunkte (Anm. d. Red.: Zwei Auswärtssiege), aber auch Tiefschläge erlebt. Es kann in jede Richtung gehen, und ich weiß, dass die Mannschaft an ihre Chance glaubt, dazu noch die Fans im Rücken hat. Wir sind der Underdog, das hat Mainz 05 aber immer schon stark gemacht. Ich freue mich sehr auf das Spiel, zum ersten Mal seit mehreren Wochen stehen uns voraussichtlich wieder alle Jungs zur Verfügung, die uns gemeinsam in diese Ausgangslage gebracht haben. 

Welchen Ansatz hast du als Spieler gegen die Bayern bevorzugt? 

Bungert: Die Siege der letzten zehn, 15 Jahre haben alle ihre eigenen Geschichten. Voraussetzung ist immer eine Top-Vorbereitung und ein guter Plan. Natürlich kann es gegen Bayern dennoch immer mal in die Hose gehen. Dafür hat uns nie jemand den Kopf abgerissen, und das wird auch in der Zukunft nicht passieren. Insofern bin ich überzeugt, dass Mut der Ansatz sein muss. Das hat uns in dem einen oder anderen Spiel positive Ergebnisse beschert. Dieser Mut ist aus meiner Sicht alternativlos, im vollen Bewusstsein, dass am Ende ein Scheitern stehen kann und darf. Ich wünsche mir am Wochenende ganz einfach von jedem Spieler die Überzeugung, eine Chance zu haben. Diese Gier wollen wir in ihren Augen sehen. Ich habe keinen Zweifel, dass Bo und das Trainerteam der Mannschaft genau das vermitteln werden.

Mutig beziehungsweise offensiv haben wir in der vergangenen Woche auch offiziell das Ziel Europa ausgerufen…

Bungert: Es ließ sich nicht mehr wirklich vermeiden. Man merkt generell einfach, dass bei uns alle sehr viel Bock darauf haben. Wir versuchen nach wie vor in erster Linie fokussiert auf die nächsten 90 Minuten zu sein. Wir haben uns aber eine gewisse Ausgangssituation erarbeitet, in der es der völlig falsche Weg wäre, keine Ziele mehr zu haben. Wir wollen in den letzten Spielen für einen besonderen Erfolg für den gesamten Verein sorgen. 

Du warst 2016 Kapitän der einzigen 05-Mannschaft, die in Europa eine Gruppenphase bestreiten durfte. Welche Erinnerungen sind geblieben?

Bungert: Das Besondere war damals, sich überhaupt zu qualifizieren, denn wir waren zuvor zweimal als Fünfter und Siebter in der Qualifikation gescheitert und waren wir jeweils brutal enttäuscht. Es dann im dritten Anlauf zu schaffen, war eine extreme Genugtuung, ein riesiger Erfolg. Das war so ein bisschen wie die Meisterschaft für Bayern München. Als Mainz-05-Spieler wirst du nicht Erster werden. Es einmal in der Dekade geschafft zu haben, in der Gruppenphase europäisch aufzulaufen, war für mich das Größte, was es zu der Zeit zu erreichen gab. Meine Erinnerungen sind deswegen ausnahmslos positiv, auch wenn wir die K.o.-Runde unglücklich verpasst haben. Die Spiele und Reisen waren Highlights in meinem langen Fußballer-Leben bei Mainz 05. Das erste Tor gegen St. Etienne werde ich nie vergessen. Bilder davon stehen heute in meinem Büro. Es ist einfach besonders, die Stadien sehen anders aus, man trainiert am Vortag dort, das Mannschaftsbild. Das war schon einmalig in meiner Karriere. 

"...für mich das Größte, was es zu der Zeit zu erreichen gab"

Wenige kennen Mainz 05 so in- und auswendig wie du. Wie definierst du deine Rolle rund ums Team abseits der Spieltage, wie intensiv ist der Austausch?

Bungert: Ich bin letztendlich mit allen im regelmäßigen Austausch. In erster Linie mit dem Trainer, aber auch immer wieder mit den Jungs. Manchmal wird es inhaltlich und detailreicher, manchmal einfach nur Smalltalk, um zu hören, wie es läuft. Ich war hier lange als Spieler, kenne jeden Einzelnen und stehe jederzeit zur Verfügung, wenn ich gefragt bin. Ich bringe meine Meinung oder Gedanken ein, wobei ich sagen kann, dass hier jeder einen hervorragenden Job macht. 

Der frühe Klassenerhalt dürfte die Kaderplanung auf der einen Seite erleichtern. Inwieweit erschwert auf der anderen Seite eine mögliche Qualifikation für Europa die Arbeit?

Bungert: Natürlich arbeiten wir alles durch und bereiten jedes Szenario vor. Das gehört zu unseren Hausaufgaben. Grundsätzlich sind wir aber entspannt, weil der aktuelle Kader fast ausnahmslos auch im kommenden Jahr unter Vertrag steht. Hinzu kommen noch diverse Leihrückkehrer. Wir haben keinen Handlungsdruck, der Kader gibt her, dass wir uns wenig Sorgen um die neue Saison machen müssen. Dass immer eine Dynamik reinkommt nach der Saison, ist normal. Wir wollen uns aber freimachen von diesem „Was wäre, wenn?“ Viel wichtiger sind unsere aktuellen Ziele als Gruppe, die richtig Lust hat, gemeinsam erfolgreich Fußball zu spielen. Die Jungs sind hungrig und überzeugt von ihren Stärken.

Bo Henriksen begrüßte am Mittwochmittag nach dem Training am Bruchweg Kinder der 05ER Fußballschule.

Der Verein hat gerade heute die Lizenz für die kommende Saison erneut ohne Auflagen und Bedingungen erhalten, die MEWA ARENA ist Woche für Woche ausverkauft, die Mitgliederzahlen schießen in die Höhe: Wie erlebst du Mainz 05 ganz allgemein gerade als Sportdirektor, Ex-Spieler und am Ende auch als Fan?

Bungert: Es macht total Spaß. Man merkt, dass die ganze Stadt Lust auf Mainz 05 hat. Das war nie und ist nicht selbstverständlich. So euphorisch war es rund um den FSV wahrscheinlich noch nie, das haben wir uns alle gemeinsam erarbeitet und müssen dranbleiben. Die Unterstützung aktuell ist fast grenzenlos, gerade in der bitteren Phase letztes Jahr, als wir am Boden waren und das Ding dann gedreht haben war sie ein Faustpfand. Ohne den Support wäre das so nicht machbar gewesen. Ich habe das Gefühl, dass sehr viel zusammenpasst, dass wir alle hier unglaublich viel Spaß haben, für Mainz 05 zu arbeiten. Genauso wie die Fans Bock darauf haben und stolz sind, den FSV zu supporten. Die Spieler, genauso wie die Mitarbeiter, geben jeden Tag Vollgas. Das merken auch die Leute da draußen, das schweißt zusammen.

Nicht ganz unbeteiligt an der jüngsten Entwicklung ist der Cheftrainer…

Bungert: Ganz klar, ja. Er ist ein ganz wichtiger Faktor. Bo merkt man an genau das an, was ich eben gesagt habe. Dass er Spaß hat, mit dieser Mannschaft zu arbeiten, gerne in Mainz ist und das es einfach von Herzen kommt, diesen Job zu machen. Er strahlt das aus und lebt das vor. Der Sprint zu den Fans vor den Spielen ist authentisch, er hat Lust, es gemeinsam anzugehen und nie als One-Man-Show. Ich denke, er ist genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Sein Sohn trainiert hier gerade mit der 05ER Fußballschule, die waren heute beim öffentlichen Training. Bo ist rein in die Gruppe und hat seinen Sohn in den Arm genommen, nahbarer geht es nicht, finde ich.