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Profis 13.10.2016 - 10:23 Uhr

Comeback-Mentalität entwickelt

Trainer Martin Schmidt will mit den 05ern in Europa überwintern

Martin Schmidt hat unsere 05er in der vergangenen Saison auf Platz sechs der Bundesliga-Abschlusstabelle und damit erstmals in die Gruppenphase der Europa League geführt. Grund genug, nach den ersten beiden internationalen Auftritten, sechs Liga-Spielen und dem Einzug in die zweite Runde des DFB-Pokals ein Fazit zu ziehen. Im Interview mit mainz05.de spricht der Schweizer über die erste Saisonphase inklusive der Dreifachbelastung, die Entwicklung der Spieler und des Vereins sowie über die am Wochenende anstehende Aufgabe gegen Darmstadt 98. 

Nach dem ersten 7er Block der Saison ist es an der Zeit, ein Fazit zu ziehen. Wie zufrieden bist du nach der ersten Phase dieser Saison?

Martin Schmidt: Mit der Bilanz aus drei Siegen, drei Unentschieden und drei Niederlagen können wir gut leben. Wir haben die Wochen sehr solide abgearbeitet. Ich hätte natürlich gerne das eine oder andere Unentschieden vermieden, wenn wir beispielsweise an Hoffenheim oder St. Étienne denken. Gleiches gilt für die Niederlage gegen Leverkusen durch den späten Gegentreffer. Das schmälert unsere Ausbeute aber keineswegs. Wir haben viele Erfahrungen gesammelt und wollen das in den nächsten Block mit einfließen lassen.

Auch für dich als Trainer ist dieses Jahr eine vollkommen neue Erfahrung. Im Sommer wurde die Belastung durch einen entsprechenden Trainings- und Spielrhythmus bereits simuliert. Ist der Plan bislang aufgegangen?

Wir haben definitiv von den Erfahrungen des Sommers mit den dort eingebauten englischen Wochen profitieren können. Zum Reisestress und der nötigen Konzentration kamen damals aber sogar noch sehr intensive Trainingseinheiten hinzu. Die Spieler bestätigen das. Aus ihrer Sicht war die Zeit der Sommervorbereitung um einiges härter, als es jetzt in der Praxis tatsächlich gewesen ist. Dadurch haben wir auch ein Ziel erreicht. Während der Saison gibt es zwischen den Spielen naturgemäß weniger und vor allem weniger intensive Einheiten. Das ist für uns alle die größte Erkenntnis. Unser Trainingsplatz ist aktuell in einem Top-Zustand, quasi neu wie im Sommer. Es gibt auf der anderen Seit auch eine gefährliche Erkenntnis: Man kann nur noch wenig einstudieren bzw. nur noch an kleinen Stellschrauben drehen ohne Intensität. Die Erholungsphasen sind einfach extrem wichtig in dieser Phase. Die Länderspielpausen sind umso wichtiger, um sich auch immer wieder mit unseren Automatismen auseinandersetzen zu können.

Angesichts dieser Erkenntnis: Macht es die Wiedereingliederung verletzter Spieler schwieriger?

Nicht zwingend. Bei Spielern wie Jairo oder auch Leon Balogun geht es um routinierte Spieler, die unsere Abläufe und Prozesse kennen. Etwas schwieriger ist es hingegen für einen neuen Spieler wie André Ramalho. Für ihn gibt es sozusagen nur den Crashkurs im Spiel, da muss er lernen. Insgesamt sind wir aber trotz der bekannten Ausfälle zufrieden mit der Entwicklung. Statistiken zeigen, dass die Verletzungsanfälligkeit bei Teams, die am internationalen Wettbewerb vertreten sind, höher ist. Im Vergleich mit anderen Mannschaften liegen wir da in einem sehr guten Bereich. Ein Resultat der guten Arbeit der gesamten sportlichen und medizinischen Abteilung.

Kommen wir noch einmal zurück zur Sommervorbereitung. Eine Reise wie die nach Baku zu simulieren dürfte dennoch schwierig sein, oder?

Das muss man auf sich zukommen lassen. Es gehört zum Abenteuer dieser Saison, dass wir nahe der iranischen Grenze antreten mussten. Dieses Abenteuer siegreich zu gestalten, war dann die Krönung. Das Erlebnis dürfte für uns alle in diesem Jahr eines der prägendsten darstellen. Das kann man nicht simulieren, sondern muss das über Emotionalität und höchste Konzentration abwickeln. Mit Anderlecht und St. Étienne warten aber natürlich noch weitere spannende Herausforderungen auf uns.

300 Fans haben die Reise mit angetreten, um ihr Team zu unterstützen. Welche Rolle spielen die Anhänger der 05er für den sportlichen Erfolg?

Die Fans, die in Baku dabei waren, waren immens wichtig. Das hat man schon im Flugzeug auf der Anreise gespürt, als sie den erhofften ‚Auswärtssieg‘ lautstark besungen haben. Man hat ihre Vorfreude gespürt, muss aber auch die Strapazen bedenken, die sie auf sich genommen haben. Darauf können wir stolz sein. Großartig war im Stadion vor allem die Lautstärke, mit der die Anhänger uns unterstützt haben. Sie waren besser zu hören, als die über 6000 Heimfans. Insbesondere in der schwierigen Phase nach dem Rückstand haben sie nicht nachgelassen. Im Gegenteil, sie wurden noch lauter. Das hat mich überrascht. Sie haben gespürt, dass wir sie brauchen. Das Erlebnis in dieser Gesamtkonstellation mit dem gemeinsamen Rückflug danach und dem direkten Austausch war einmalig.

Die Mannschaft hat bislang nicht nur durch ihre Punktausbeute überzeugt, sondern auch durch taktische Flexibilität in verschiedenen Spielsystemen. Ist auch daran eine Weiterentwicklung erkennbar?

Ich denke schon. Diese Flexibilität kann jedoch Vor- und Nachteil zugleich sein. Zum einen werden wir weniger ausrechenbar, zum anderen kann in gewissen Situationen eine Destabilisierung die Folge sein. Wenn man seine üblichen Muster verlässt und die Spielphilosophie verändert, um beispielsweise dominanter zu agieren, ist das auch ein Lernprozess. Man trifft dann zudem häufig auf Gegner, die versuchen uns mit unseren eigenen Waffen der Vergangenheit zu schlagen. Dagegen muss sich meine Mannschaft wehren, wie sie es in Augsburg, Bremen oder gegen Qäbälä getan hat. Wir haben da eine Art Comeback-Mentalität entwickelt und strahlen das auch aus. Insgesamt wollen wir durch unterschiedliche Ansätze mehr Variabilität in unser Spiel integrieren und unsere Leistungen dadurch stabilisieren. Nur so können wir unberechenbar werden und unsere Gegner überraschen.

Der Kader wurde im Sommer sowohl aus qualitativer als auch aus quantitativer Sicht verstärkt. Wie zufrieden bist du mit der Integration der Neuzugänge auf und außerhalb des Platzes?

Wir haben den Kader bewusst breiter aufgestellt, um den eben erwähnten Weg gehen zu können. Gerrit Holtmann und Levin Öztunali zum Beispiel eröffnen uns ganz neue Möglichkeiten auf den Außenbahnen. Sie ergänzen Spieler wie Pablo De Blasis oder Jairo hervorragend, da es sie nicht so häufig in die Zentrale zieht. So können wir die Gegner überraschen oder unser Spiel auch mal dem Spielverlauf anpassen. Auch Jean-Philippe Gbamin oder Jonas Lössl harmonieren immer besser mit dem Rest des Teams und machen annähernd keine Fehler. Hier sind wir insgesamt sehr zufrieden, da jeder funktioniert hat, sobald er gebraucht wurde. Wir konnten Spiele durch Einwechslungen entscheiden, weil alle hellwach sind. Natürlich erlaubt uns der vergrößerte Kader auch die notwendigen Rotationen vorzunehmen und so den Belastungen Rechnung zu tragen. Da nimmt sich niemand persönlich zu wichtig, sondern hat das große Ganze immer im Blick. Insgesamt geht daher ein großes Kompliment an den gesamten Kader für die bisherige Bewältigung der Aufgaben.

Trotz der regelmäßigen Rotation hat sich in den vergangenen Wochen eine Achse um Jonas Lössl, Stefan Bell, Fabian Frei, Yunus Malli und Jhon Cordoba herauskristallisiert. Ist das eher eine Momentaufnahme oder ein Fingerzeig für den gesamten Saisonverlauf?

Rotation macht nur Sinn, wenn man eine zentrale Achse hat, die eine Konstante darstellt. So einen Block benötigt man, um um ihn herum auf den noch laufintensiveren Positionen immer wieder Veränderungen vornehmen zu können. Die angesprochene Achse kann im nächsten Block natürlich auch schon wieder ein Stück weit anders aussehen. Nicht umsonst haben wir den Kader im Sommer vergrößert. 

Im bisherigen Saisonverlauf hat Mainz 05 einen ungewöhnlich hohen Torumsatz erzielt. Worin siehst du die Hauptgründe für diese Entwicklung?

Die Torflut wollen wir natürlich in erster Linie defensiv eindämmen. Das 0:0 in Wolfsburg war für den gesamten Verbund daher auch unheimlich wichtig. Dennoch ist das in meinen Augen eine Momentaufnahme und eine Phase, wie wir sie im vergangenen Oktober beispielsweise auch erlebt haben. Wir sollten das nicht überbewerten, auch wenn wir das natürlich im Blick haben und uns immer kritisch mit unseren Leistungen auseinandersetzen. Hier und da mal ein 2:2 oder ein 3:3 ist aber doch letztendlich auch das, was die Fans sehen wollen, nämlich attraktiven Offensivfußball.

Nach der Länderspielpause kehren gleich mehrere Spieler ins Mannschaftstraining zurück. Ist das für einen Trainer eher Luxus oder vielmehr die Qual der Wahl, die auf dich zukommt?

Keine Frage, es wird den einen oder anderen Härtefall geben. Aber der Kader braucht den Konkurrenzkampf. Gegen Qäbälä sind wir mit dem allerletzten Aufgebot angetreten, hatten nur 16 fitte Spieler zur Verfügung. Ab dem Spiel in Bremen konnten wir nicht mehr so rotieren, wie geplant. Auch so kamen dann einige der Verletzungen zustande. Insbesondere im Zentrum ist es gut, dass die Situation sich jetzt etwas entspannt, um die Belastungssteuerung optimal im Griff zu haben. Das wird zu einem gesunden Konkurrenzkampf führen. Für mich als Trainer ist das keinesfalls tragisch, sondern tatsächlich eine Luxussituation.

Rouven Schröder ist seit dem Sommer unser neuer Sportdirektor und hat die Nachfolge von Christian Heidel angetreten. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Ich konnte Christian Heidel nach den letzten Jahren sehr gut einschätzen. Umso wichtiger war es, in der Nachfolge eine funktionierende Lösung zu präsentieren. Rouven Schröder bringt unheimlich viel Erfahrung aus dem Scouting-Bereich oder im Rahmen von Spielbeobachtungen mit. Er kennt im Grunde alle Spieler auf nationale Ebene aber auch aus den relevanten Ligen in den Nachbarländern. Das zeigt seine hohe Fachkompetenz. In Mainz macht er nun den nächsten Schritt, der auch Führungsqualitäten erfordert. Nach einem halben Jahr kann man sagen, dass er das sehr gekonnt und galant ausübt, viel kommuniziert und mit sehr viel Empathie und Sympathie rüberkommt. Gleichzeitig fährt er eine klare Linie. Mit das wichtigste, was er darüber hinaus mitbringt, ist der Humor. Das gehört hier zur Arbeit dazu. Rouven ist somit ein absoluter Volltreffer.

Die Qualifikation für die Europa League war für einen Klub wie Mainz 05 schon fast ein sensationeller Erfolg. Wie gelingt es, sich nach dieser Erfahrung weitere Zielmarken zu setzen?

Die Erwartungshaltung ist naturgemäß groß nach einer Euro-League-Qualifikation. Aber ich denke, dass jedem bewusst ist, dass die Champions League nicht das nächste Ziel sein darf. Nicht, weil ich nicht auch gerne träume oder meinem Team das nicht zutraue, sondern weil wir der Dreifachbelastung zwangsläufig Tribut zollen. Wir machen uns nicht kleiner als wir sind, aber ein solider Klassenerhalt mit einem Platz zwischen Rang acht und zwölf ist ein absolut lohnenswertes und auch realistisches Ziel. Mainz und die OPEL ARENA brauchen den Bundesliga-Fußball genauso wie die sich daraus ergebenden finanziellen Mittel. Das ist unser übergeordnetes Ziel. Wir haben uns in den letzten Jahren von einem Ausbildungs- zu einem Weiterbildungsverein entwickelt, was eine tolle Leistung ist. Dazu gehört aber auch von Jahr zu Jahr ein kleiner Neuanfang. Dennoch wollen wir die internationale Bühne in diesem Jahr auskosten. Teamintern haben wir den Slogan des Vereins ‚Mehr als nur EIN Spiel‘ daher weiterentwickelt und für uns die Zielsetzung ‚Mehr als sechs Spiele‘ formuliert.

Du bist seit mehr als sechs Jahren im Verein, seit gut 1,5 Jahren als Cheftrainer der Profis. Was macht Mainz 05 aus deiner Sicht zu einem besonderen Verein?

Hier gilt es zunächst einmal die Leistungen in der Bundesliga sowie die Weiterentwicklung im Gesamtverein hervorzuheben. Mainz 05 gelingt es, mit wenigen Mitteln das Maximale zu erreichen, Spieler besser zu machen und sich als attraktiver Standort für Profis zu präsentieren. Spieler, die uns in den letzten Jahren verlassen haben, sind jetzt in Dortmund, Leverkusen oder Leicester gelandet. Das sagt auch viel über die Arbeit am Bruchweg aus. Auf der anderen Seite macht den FSV die Menschlichkeit aus, der Spaß an der Arbeit und das Lebensgefühl der Region. All das wurde immer beibehalten. Mainz 05 muss Mainz 05 bleiben, insbesondere in den internen Abläufen. Solange diese Faktoren erhalten bleiben, mache ich mir um den Klub überhaupt keine Sorgen.

Am Sonntag steht das nächste Heimspiel gegen Darmstadt 98 an. In der vergangenen Saison gab es gegen die Lilien zwei umkämpfte Spiele. Was für eine Begegnung erwartest du dieses Mal?

Es wird ein schweres Spiel, wie es das auch bereits im letzten Frühling war. Da haben wir bis zur 60. Minute ein gutes Spiel gemacht und sind dominant aufgetreten. Dann kam es zum Platzverweis gegen Giulio Donati, danach war die Partie ausgeglichen. Wir erwarten Darmstadt sehr stark in der Arbeit gegen den Ball und im Umschaltspiel. Die Kontersicherung muss passen. Dennoch erwarte ich von meinem Team, dass wir die Begegnung als Heimspiel annehmen und dominant angehen wie gegen Hoffenheim oder auch gegen Leverkusen. Diese Auftritte stimmen mich auch bezüglich Sonntag sehr positiv.