Profis 19.11.2021 - 20:30 Uhr
Dauerbrenner auf der "Erfolgswelle" - Widmer: "Lust auf mehr"
Sowohl mit der Schweiz als auch am Bruchweg läuft es für den Schweizer blendend. Von der Entwicklung im Klub zeigt er sich indes eher überrascht als von der direkten WM-Qualifikation.
Mit seinem Transfer hat die sportliche Leitung mehr als nur ein glückliches Händchen bewiesen. Nach nur vier Monaten als Mainzer beackert Silvan Widmer den rechten Flügel, als gehöre er seit Jahren zum 05-Inventar. Mit seiner Dynamik, Leidenschaft und Einstellung hat der Schweizer den in der vergangenen Rückrunde auf hohem Niveau performenden Danny da Costa fast schon vergessen lassen als Dauerbrenner im Spiel der Rheinhessen. Doch nicht nur auf nationaler Ebene läuft es prächtig für den Familienvater.
Die ersten Abgesänge auf die Schweizer "Nati" waren bereits angestimmt Mitte Juni nach einem 0:3 gegen den späteren Europameister Italien. Das EM-Aus schien für viele besiegelt. Wenige Wochen später schieden die Eidgenossen dann tatsächlich aus dem Turnier aus - erhobenen Hauptes nach einer bitteren Niederlage im Elfmeterschießen gegen Spanien. Zuvor hatten sie Frankreich ausgeschaltet und kehrten als Helden zurück in die Heimat. Widmer, der kurz darauf seinen Vertrag am Bruchweg unterschreiben sollte, war mittendrin und hat sich mit der Schweizer Auswahl vor wenigen Tagen auf direktem Wege für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr qualifiziert, Italien zuvor ein entscheidendes 1:1 abgetrotzt und in die PlayOffs geschickt. Der Torschütze für die Gäste bei der kleinen Revanche in Rom? Silvan Widmer, dem somit nach dem seinem ersten Bundesliga-Treffer gegen Mönchengladbach eine Woche zuvor sein zweites Traumtor binnen sieben Tagen gelang. Das "volle Risiko" habe sich angesichts seines Selbstvertrauens eben ausgezahlt. Ein 4:0 über Bulgarien machte Platz eins in Gruppe C letztlich perfekt. Die stolzen Schweizer feierten ihr Team in Luzern, von Abgesängen längst keine Spur mehr. "Eine Wahnsinns-Erfahrung", erinnert sich Widmer.
"Bei der EM haben wir beim 0:3 gegen Italien unser schlechtestes Spiel gemacht, aber daraus gelernt. Das war so eine Art Startschuss für uns, seitdem wir uns kontinuierlich gesteigert haben", sagt der 28-jährige Außenverteidiger im besten Fußballeralter am Freitag. Bo Svensson hatte Widmer bis Ende der Woche frei gegeben, um zu regenerieren. Das sei gelungen, trotz Siegesfeier, erzählt der Schweizer: "Ich habe mich sehr gut erholen können, vor allem im Kopf, was bei mir fast wichtiger als die Beine. Ich habe neue Energie tanken können und freue mich riesig auf die kommenden Spiele, bin heiß und hoffe, dass ich weiter zum Einsatz kommen werde." Von Letzterem darf ausgegangen werden.
Den Moment ausgekostet
Widmers Antwort auf die Frage, ob man sich die direkte Qualifikation denn zugetraut habe nach der Auslosung, fällt indes etwas überraschend aus: "Wir haben uns nach der Auslosung das Ziel gesetzt, den ersten Platz zu holen und haben definitiv daran geglaubt." Eine mutige Zielsetzung, für die sie schlussendlich belohnt wurden.
Gefeiert wurde nach der gelungenen Mission zunächst in der Kabine und anschließend mit den Familien im Hotel. "Alles im Rahmen", berichtet der 05-Profi. "Nach ein paar Siegerbier in der Kabine habe es später noch eine Flasche Rotwein gegeben. "Es ist nicht völlig aus dem Ruder gelaufen, aber wir haben den Moment gemeinsam genossen." Man muss die Feste eben feiern wie sie fallen. Schließlich geht für den 05ER - dass er verletzungsfrei bleibt vorausgesetzt - ein Traum in Erfüllung, hatte er doch bei der WM 2018 eine Nominierung noch knapp verpasst. "Das ist nochmal größer als die EM, und dass wir uns jetzt so auf direktem Weg qualifizieren konnten, ist schon eine Top-Leistung. Ich hoffe, dass ich fit bleibe und nächsten Winter – in ziemlich genau einem Jahr – dabei sein werde", freut sich der Schweizer schon heute.
Überrascht von sich selbst
Die Voraussetzungen dafür, topfit in die das Turnier zu starten, möchte er am Bruchweg schaffen, wo er bis mindestens 2024 unter Vertrag steht und nach nur wenigen Monaten kaum noch wegzudenken ist aus dem Team, alle Pflichtspiele absolviert und dabei neben einem Tor zwei Assists beigesteuert hat. Wobei die jüngsten Ereignisse ein kleines (vorläufiges) i-Tüpfelchen gesetzt haben dürften: "Ich bin sehr zufrieden mit den letzten Wochen und den Toren. Das gelingt mir ja nicht so oft und macht Lust auf mehr."
Dass es auch national, im neuen Klub in einer neuen Liga, so gut läuft, hat er indes selbst nicht in der Form für möglich gehalten, wie er zugibt: "Ich habe mir eigentlich schon eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestanden, weil ich bisher in meiner Karriere immer ein bisschen gebraucht habe, mich in eine neue Mannschaft einzufügen und den Fußball zu verstehen, den der Trainer spielen will. Dass es so schnell ging, kam insofern auch für mich ein bisschen überraschend. Es ist mir hier in Mainz mega leicht gefallen, mich einzugliedern. Ich konnte sofort meine Leistungen abrufen. Das ist super, ich bin happy", so Widmer, der mittlerweile mit seiner Frau und den beiden Töchtern eine gemeinsame Bleibe gefunden hat am Rhein. Die Familie ist es auch, die ihm hilft runterzufahren und das enorme Pensum, das er seit Sommer fährt, zu bewältigen. Neben der richtigen Ernährung und ausreichend Schlaf stehe "geistige Erholung und Entspannung" für ihn ganz oben auf der Liste: "Das kann ich mir beispielsweise holen, wenn ich mit den Kids zusammen sein und mit ihnen spielen kann. Ich versuche alles dafür zu tun, verletzungsfrei zu bleiben, fühle mich richtig gut und möchte versuchen auf dieser kleinen Erfolgswelle weiter zu reiten", so der Rechtsfuß.
Vorfreude auf den Kampf gegen Köln
Anknüpfen an die jüngsten Erfahrungen will er mit dem FSV dabei gleich am Sonntag (17.30 Uhr, live auf DAZN & 05ER.fm) in der MEWA ARENA im Duell mit dem 1. FC Köln: "Ich glaube, es wird ein ganz spannendes Spiel, weil beide Mannschaften im Mittelfeld auf Intensität aus sind und schnell umschalten wollen. Insofern geht es darum, nach Ballverlusten die Räume schnell zu schließen bzw. die Konter zu unterbinden und genauso nach Ballgewinnen, unsere Stürmer schnell zu bedienen. Das hat in den letzten Spielen gut funktioniert. Es wird ein umkämpftes Spiel, in dem ich gute Chancen für uns sehe, wenn wir auftreten wie in den letzten Wochen."
Es wären gute Voraussetzungen, um den Lauf fortzusetzen, die Fans des FSV erneut zu begeistern und von deren Rückenwind zu profitieren. Ein wichtiger Faktor, wie Widmer unterstreicht: "Ich glaube, wenn ich irgendwo auf der Tribüne ein Fan wäre, dann würde ich mir auch wünschen, dass die Mannschaft Leidenschaft zeigt, ein Kämpferherz. Vielleicht auch schönen Fußball, klar. Aber das kommt dann an zweiter Stelle. Das Wichtigste ist, dass die Spieler sich zerreißen für den Verein – alle zusammen, nicht einer mehr, einer weniger. Ich glaube, wir spüren, dass die Fans genau das sehen wollen und wir sie so mitreißen können. Es ist natürlich ideal, wenn so die Elf auf dem Platz, die ganze Bank und die Fans auf der Tribüne gemeinsam an einem Strang ziehen."
Optimistisch in die Zukunft
Die Basis für eine erfolgreiche, bestenfalls sorgenfreie Saison haben die 05ER in den ersten Monaten gelegt, nahtlos angeknüpft an den famosen Aufwärtstrend der vergangenen Rückrunde und gleichzeitig unter Beweis gestellt, dass sie mit Rückschlägen umzugehen wissen. Die Zusammenstellung des Kaders, dessen Mentalität in Verbindung mit der Arbeit des Trainerteams lässt auch Widmer positiv nach vorne schauen:
"Wenn etwas Negatives passiert auf dem Platz, braucht eine Mannschaft klare Abläufe und Prinzipien, an denen sie sich festhalten kann, um Vertrauen und Sicherheit zurück zu gewinnen. Das haben wir und können uns darauf besinnen, wenn wir mal ein Gegentor kassieren oder eine Phase durchlaufen, in der wir keinen Zugriff haben. Dann wissen wir einfach, was wir zu tun haben, um zurück ins Spiel zu finden. Das ist in den letzten Spielen sehr gut gelungen. Eine gemeinsame Idee und ein paar Leader sind dabei immens wichtig", weiß Widmer. Auf dem Weg zum Leader und mitten hinein in die Herzen der 05-Fans ist der sympathische Schweizer selbst längst. Und hat dennoch "Lust auf mehr".