Profis 13.05.2016 - 14:40 Uhr

Der gelebte Traum

Christian Heidel und Mainz 05 – ein Vierteljahrhundert voller Emotionen.

Foto: rscp

Christian Heidel hat als Manager Mainz 05 zu der Marke gemacht, die sie heute ist. Nach dem Saisonfinale beendet der 53-Jährige seine „Lebensaufgabe“, wie er seinen Job bei seinem Lieblingsverein immer bezeichnete. Als Fan bleibt er seinem Fußball- und Sportverein selbstverständlich erhalten.

So genau wusste es Christian Heidel auch nicht mehr, wann genau der Zeitpunkt war, an dem er offiziell die Verantwortung für die Lizenzspielerabteilung des 1. FSV Mainz 05 übernahm. Es sei ein fließender Übergang gewesen, sagte Heidel. Damals, Anfang der Neunziger. Man einigte sich irgendwann wohl auf den 1. April 1992 und das war gewiss kein Aprilscherz. Seinen ersten Pflichttermin hatte er ein halbes Jahr früher. Im Herbst 1991 wurde der damals 28-Jährige erstmals zu einer Managertagung der Fußball-Bundesliga eingeladen. „Da saßen lauter Leute, die man aus dem Fernsehen kannte“, erinnerte sich Heidel. Uli Hoeneß und Rudi Assauer zum Beispiel. Und zwischendrin saß eben dieser junge Mann aus Mainz, der damals noch nicht ahnen konnte, dass er ein knappes Vierteljahrhundert später selbst der Dienstälteste dieses Gremiums sein würde und als Manager seines Lieblingsvereins, in dessen Fankurve er als Bub mit Fahne stand, auf zehn Bundesliga-Jahre inklusive dreier Europapokal-Teilnahmen zurückblicken würde. Anfang der Neunziger rief dann die Presse eben bei Christian Heidel an, wenn sie wissen wollten, was es Neues gibt am Bruchweg, „und irgendwann war ich dann für die Zeitungen der Manager.“

Die emotionale Geschichte des 1. FSV Mainz 05 ist auch die Geschichte Heidels. Begonnen hat alles am 22. April 1990. Da kaufte der 27-jährige Geschäfsführer für sein BMW-Haus die Oberliga-Partie der Nullfünfer gegen Saarwellingen am Bruchweg für 15.000 Mark komplett auf. „Nach holprigen Gesprächen mit den Verantwortlichen“, erinnerte sich Heidel später. Doch die Sache geriet zum Volksfest, 6000 Zuschauer kamen, einer davon gewann den Hauptpreis, einen funkelnagelneuen BMW, und die Mainzer siegten 4:1. Die Vermarktungsaktion brachte allen Beteiligten Geld ein. Der erste Schritt war gemacht – aufeinander zu und wenig später in eine gemeinsame Zukunft. Offiziell übernahm der ewige 05-Fan am 1. April 1992 die Leitung der Lizenzspieler-Abteilung – ehrenamtlich, das war kein Aprilscherz.

Christian Heidel hatte immer diesen Traum, „der Traum von Mainz als Fußballstadt“. Ein Stadion, voll mit Anhängern, die sich voll und ganz mit der Mannschaft identifizieren. Eine Marke in der Fußballlandschaft, „und kein Kleingartenverein mit zehn Fans, wovon ich früher einer war“. Dass die Nullfünfer heute vor den Toren der Stadt am Europakreisel in einer Arena spielen, in der 34.000 Menschen auf den steilen Rängen mitfiebern, auch das ist für ihn ein real gewordene Traum. Das war seine Vision. Heidel war es stets, der schon den Ausbau des Bruchwegstadions vorantrieb, genauso wie später den Bau der Coface Arena. Er sorgte dafür, dass die Mainzer Fans kostengünstig zu Auswärtsspielen kamen, unvergessen bleiben die Pokalspiele in Mönchengladbach und München als sich tausende Mainzer auf den Weg machten. Der Aufstieg des Fußball- und Sportvereins war aber auch eng verbunden mit den (Bauch-)Entscheidungen des Managers. Vor allem einer. An Fastnacht 2001, die Mainzer standen in der Zweiten Bundesliga wie so oft am Abgrund, beförderte Heidel den verletzten Spieler Jürgen Klopp zum Cherftrainer. Heidel sagte später: „Ich konnte ja damals nicht wissen, dass er einmal der Klopp werden würde, der er heute ist.“ Klopp wurde des Gesicht der Nullfünfer. Er führte den Verein in die Bundesliga 2004, später führte er Borussia Dortmund zweimal zum Meistertitel. Heute coacht er an der weltberühmten Anfield Road in Liverpool. Nur zweimal, sagte Heidel, habe er das gleiche Gefühl verspürt wie bei Jürgen Klopp. „Bei Wolfgang Frank und Thomas Tuchel, in die hatte ich ebenfalls grenzenloses Vertrauen.“ Frank sorgte für eine taktische Revolution, von der die Nullfünfer auch zwei Jahrzehnte später noch profitieren. Bei Tuchel wiederum entschied Heidels Bauch. Fünf Tage vor Saisonbeginn 2008 schenkte der Manager dem A-Jugend-Coach das Vertrauen und setzte Aufstiegstrainer Jörn Andersen vor die Tür. Unter Tuchel schafften es die Mainzer zweimal in die Europa-League-Qualifikation, spielten 2010/11 die beste Bundesliga-Saison ihrer Vereinsgeschichte und waren zur Winterpause Vizeherbstmeister - hinter Klopps BVB.

Bis dahin erlebten Heidel und seine Nullfünfer rasante Jahre in der emotionalen Achterbahn. Zig Abstiegskämpfe in der Zweiten Bundesliga, die gescheiterten Aufstiegsdramen 2002 und 2003. Heidel versuchte dabei immer, das Beste für seinen Verein herauszuholen. Wo andere früher ein Buch lasen, beschäftigte sich der junge Heidel mit Vertragsrecht und Statuten der Fußballverbänden. Heidel las dort, wo andere aufhörten - im Kleingedruckten. Auf der Suche nach Lücken. „Um einen Verein mit wenig Geld hochzuführen, muss man immer auf dem neuesten Stand sein.“ Als an das Internet noch nicht zu denken war, profitiert Heidel auch von seinem Archiv seit 1990. Alles, was es in Europa an Fußball-Nachschlagewerken, Spielerstatistiken, Jahrbüchern und Sonderheften von Sportmagazinen gibt, hat der Manager gesammelt. Auch, um den internationalen Spielerberatern nicht auf den Leim zu gehen. Dieses Wissen, gepaart mit großer Fachkompetenz in Sachen Verträge und seinen Visionen, hat den Mainzer zu einem der anerkanntesten Leuten im Fußballterrain gemacht. „Wenn ein Berater kam und einen Spieler angeboten hat, der sieben U21-Spiele für Mazedonien absolviert haben soll, konnte ich das anhand meiner Bücher schnell nachprüfen.“ Heute reicht freilich ein Knopfdruck, früher war das nicht so einfach. „80 Prozent der Angaben dieser besagten Berater stimmten nicht. Das gipfelte darin, dass uns einer einen angeblichen Stammspieler und Torjäger angeboten hatte, der aber nur zwei Spieler absolviert hatte.“ Bei seinen Verpflichtungen (und später Vertragsverlängerungen) bewies Heidel in den meisten Fällen ein gutes Händchen. Hungrige Spieler günstig kaufen, zu gestandenen Bundesliga-Profis „weiterbilden“ und teuer verkaufen - so funktioniert das Mainzer Geschäftsmodell. So konnte sich der Verein Stück für Stück weiterentwickeln, strukturell und sportlich.

Der Manager hat Mainz 05 zu der Marke gemacht, die sie heute ist. Und nach einem Vierteljahrhundert sucht der Mann, der vor zwei Wochen von der Stadt Mainz für seine Verdienste um Stadt und Verein mit der Gutenberg-Stauette geehrt wurde, nach einer neuen Herausforderung für sich. Er hat sie in Gelsenkirchen gefunden. Heidel: „Ich habe intensiver über mein Leben nachgedacht und kam - auch für mich - zu dem etwas überraschenden Entschluss, doch noch einmal etwas anderes machen zu wollen.“ Nach dem Saisonfinale gegen Hertha BSC beendet Christian Heidel seine „Lebensaufgabe“, wie er sie immer bezeichnete. Ein Nullfünfer bleibt er trotzdem. Einmal Mainzer, immer Mainzer. „Wenn es meine Zeit in der Saisonvorbereitung von Schalke erlaubt, fahre ich auf jeden Fall zum ersten Qualifikationsspiel in der Europa League mit. Selbst, wenn es in Sibirien ist.“ Dann nur noch als 05-Fan. So wie damals, als er mit zehn anderen in der staubigen Fankurve stand.