Verein 30.06.2017 - 12:01 Uhr
„Ein Vorsitzender für alle Mitglieder“
Johannes Kaluza will Faninteressen in den Mittelpunkt rücken
Mainzer Unternehmer, Ruheständler in spe – und plötzlich Vorsitzender eines Bundesligisten. Johannes Kaluza (62) hat in der Mitgliederversammlung des 1. FSV Mainz 05 die Chance der Stunde genutzt und als Außenseiter die Wahl zum Vorsitzenden gewonnen. Jetzt ist er eines der neuen Gesichter der 05er. Im Interview spricht er über seine ersten Tage im Amt und über seine Pläne.
Herr Kaluza, die erste Woche ihrer Amtszeit als Vereinsvorsitzender des 1. FSV Mainz 05. Wie haben sie die Zeit erlebt?
Kaluza: Die Tage rund um die Mitgliederversammlung waren natürlich turbulent. Ich bin als Außenseiter in die Wahl gegangen und hatte nur zwei Wochen, um auf mich und meine Ideen aufmerksam zu machen. Das war schon eine intensive Zeit. Offenbar habe ich dabei aber den Nerv vieler Mitglieder getroffen. Der Wahlausgang kam für mich dennoch völlig überraschend. Geplant war, dass ich nach der Übergabe der Geschäftsführung bei meinem Unternehmen Speyer & Grund gemeinsam mit meiner Frau Urlaub mache. Daraus wird jetzt natürlich erst einmal nichts. Die vergangenen Tage waren bereits vollgepackt mit Gesprächen und Terminen.
Mit wem haben Sie sich bisher ausgetauscht?
Kaluza: Ich habe sehr schnell mit den Geschäftsführern zusammengesessen, um sie kennenzulernen, über die gemeinsamen nächsten Schritte zu sprechen und mir ein Bild vom Verein zu machen. Am Dienstag habe ich mich den Mitarbeitern vorgestellt, am Mittwoch haben wir mit dem Aufsichtsrat getagt. Diese direkte interne Kommunikation ist wichtig. Für den Verein ist eine komplett neue Situation eingetreten. Mainz 05 hat erstmals einen Aufsichtsrat und in mir einen neuen Vorsitzenden. Da entstehen völlig neue Prozesse, die erst einmal gelernt werden müssen.
Der Aufsichtsrat hat seine konstituierende Sitzung absolviert. Die Benennung ihrer Vorstandskollegen steht noch aus. Wann dürfen wir hier mit Vollzug rechnen?
Kaluza: Die Benennung der hauptamtlichen Vorstandsmitglieder obliegt dem Aufsichtsrat. Ich kann und möchte dessen Entscheidungsprozess nicht vorgreifen. Was ich sagen kann, ist, Mainz 05 ist vollumfänglich handlungsfähig. Die weiteren Schritte wird der Aufsichtsrat definieren.
Was betrachten sie als erste Aufgaben und wo sehen sie für ihr persönliches Tätigkeitsfeld erste Ansatzpunkte?
Kaluza: Zunächst will ich Mainz 05 wieder vereinen, aufgeworfene Gräben zuschütten. Auch deswegen habe ich beispielsweise mit den anderen Bewerbern um den Vereinsvorsitz gesprochen. Ich will ein Vorsitzender für alle Mitglieder und Fans sein. Ich bin mir bewusst, dass ich mich in das Arbeitsumfeld eines Bundesligisten erst einarbeiten und dafür auch zuhören und lernen muss. Aber ich bringe als unbelasteter Einsteiger auch eigene Ideen mit und möchte Prozesse anstoßen. Im Zentrum meiner Überlegungen stehen dabei die Mitglieder und das Erlebnis unserer Heimspiele in der OPEL ARENA. Wir wollen unsere 17 Heimspiele wieder zu emotionalen Festtagen machen.
Eine Frage, welche die Mitglieder gespalten hat, sind die Spekulationen über ihre Beziehung zu den Ultras im Raum, die eine Wahlempfehlung für Sie ausgesprochen und Ihre Wahl mit Jubelgesängen kommentiert haben. Was sagen Sie dazu?
Kaluza: Von der Reaktion war ich selbst überrascht. Die Ultras hatten mich wenige Tage zuvor zu einem Gespräch eingeladen um mich kennenzulernen. So wie ich andere Fangruppen auch getroffen habe. Sie haben mir von ihrer Gruppe erzählt und mir viele Fragen gestellt, auch unangenehme, die ich versucht habe zu beantworten. Und ich habe ihnen geschildert, was mir auf dem Herzen liegt. Mehr ist aber nicht passiert. Ich habe niemanden Versprechungen gemacht und bin auch niemandem etwas schuldig.
Auch nicht beim Thema Pyrotechnik?
Kaluza: Nein. Mir ist bewusst, dass Pyrotechnik ein viel diskutiertes Thema ist. Ich habe in der Mitgliederversammlung auf die Frage nach meiner Einstellung zum Einsatz von Pyrotechnik geantwortet, wie es in meiner Natur liegt, wenn ich kein Experte in einem Thema bin, nämlich, dass mir davon erst ein klares Bild machen möchte. In der Mitgliederversammlung habe ich diesen Gedanken nicht gut vermittelt. Denn der Einsatz von Pyrotechnik im Stadion ist verboten, da gibt es keine zwei Meinungen.
Sie sprachen nach Ihrer Wahl von einem demokratischen Aufbruch. Wie definieren Sie diesen?
Kaluza: Wir sind ein von unseren Mitgliedern getragener Verein. Wir sollen uns nicht anmaßen automatisch zu wissen, was unsere Mitglieder oder unsere Fans wollen, wir sollten sie fragen. Durch die Fanabteilung rücken die Fans schon näher an den Verein. Konkret können wir das aber auch über Befragungen ermitteln. Wir sollten zunächst eine Zielsetzung ausgeben, was wir erreichen wollen, dann Ideen sammeln, wie wir es erreichen können, und schließlich mit denen, die es betrifft, abschätzen, was umgesetzt werden kann oder nicht.
Welche Ideen meinen Sie konkret?
Kaluza: Ich habe in der Mitgliederversammlung ja ein gemeinsames Training von Profis und Mannschaft vorgeschlagen. Mag sein, dass es bessere Vorschläge gibt. Mir geht es auch nicht darum, Recht zu haben, sondern Prozesse anzustoßen, indem ich einen Stein ins Wasser werfe. Es gibt darüber hinaus im Verein bereits viele Gedanken zu diesem Thema. Die werden wir jetzt gemeinsam ordnen und priorisieren. Wenn wir in Zukunft als einzigartiger Verein wahrgenommen und empfunden werden wollen, dann müssen wir auch einzigartige Dinge tun.
Im Wahlkampf haben Sie auch übergeordnete Probleme angesprochen. Zwei davon würden uns konkreter interessieren: eine mögliche Ausgliederung und die in Ihren Augen Grenzen überschreitende Kommerzialisierung im Profifußball. Könnten Sie Ihre Position an dieser Stelle noch einmal konkretisieren?
Kaluza: Eine Ausgliederung des wirtschaftlichen Betriebs einer Bundesligamannschaft ist in meinen Augen ein logischer nächster Schritt für Mainz 05. Allerdings unter der Prämisse, dass der Verein 100 Prozent der Anteile behält. Die Ausgliederung wäre also nicht mehr als ein formaler Akt. Ich bin ein klarer Gegner von Mehrheitsbeteiligungen von Investoren. Das über Jahrzehnte gewachsene Vereinswesen hat unseren Fußball geprägt und überhaupt erst so populär gemacht. Durch immer größere Kapitalströme in den Fußball koppeln wir die wirtschaftliche Entwicklung von der gesellschaftlichen ab, das ist ein großes Risiko für den Fußball. Diese Bedenken sind in der Fußballbranche schon präsent, zuletzt haben sich Oliver Bierhoff, Hans-Joachim Watzke und Christian Streich diesbezüglich geäußert. Durch die Ungleichverteilung der Gelder, die wachsende Kluft zwischen reicheren und weniger begüterten Klubs ist zudem der Wettbewerb in Gefahr. Es ist nicht gut für die Bundesliga, wenn der Deutsche Meister eigentlich schon vor der Saison feststeht. Es ist ein weiter Weg, diese Entwicklung zu bremsen, und es gibt kein Allheilmittel dagegen. Aber auch hier können Prozesse angestoßen werden.
Was bedeutet das für Mainz 05?
In unserer Mitgliederversammlung habe ich an den Reaktionen der Fans gespürt, dass sie meine Sorgen teilen. Natürlich benötigen auch wir bei Mainz 05 Kapital und müssen Gewinne erwirtschaften, damit wir uns im Wettbewerb behaupten können. Aber wir müssen den Fußball und die Interessen von Mitgliedern und Fans stärker in den Mittelpunkt rücken. Das wäre ein kleiner Anfang.
Wie schnell wird man dies an konkreten Maßnahmen ablesen können?
Kaluza: Im Verein laufen aktuell zwei verschiedene Prozesse. Einerseits ordnen sich die Gremien und stimmen sich die neuen Führungspersönlichkeiten ab, andererseits beginnen nun bereits die inhaltlichen Überlegungen, was wir anpacken können. Es ist mir ein großer Wusch, dass man uns 100 Tage Zeit gibt uns in die neuen Strukturen zu finden und Maßnahmen zu entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch!