Profis 22.09.2016 - 11:54 Uhr

Extremsituationen

05-Trainer Martin Schmidt: "Davon lebt das Team das ganze Jahr"

Gerrit Holtmann bereitete bei seinem Bundesliga-Debüt den Siegtreffer der 05er vor. ©rscp

Dass in dieser Saison Extremsituationen zu meistern sein würden für den 1. FSV Mainz 05, es war absehbar. Die Vielzahl an Grenzerfahrungen innerhalb der ersten Saisonwochen hatte aber wohl dennoch kaum jemand vorhersehen können. Am Mittwochabend beim SV Werder Bremen sorgten die Ereignisse der Schlussminuten allerdings nicht für Ernüchterung auf Seiten unserer 05er, sondern vielmehr für ganz besondere Glücksgefühle. Nach der Flut an späten Gegentoren in DFB-Pokal, Bundesliga und Europa League durfte in Bremen der FSV jubeln – über einen 2:1-Auswärtssieg dank Toren von Yunus Malli und Pablo De Blasis in den Minuten 87 und 93. "Wenn du so ein Spiel drehst wie heute, davon lebt ein Team das ganze Jahr. Wir haben Nehmerqualitäten gezeigt", freute sich 05-Trainer Martin Schmidt im Anschluss an die Begegnung, in der unsere Profis lange Zeit wie der unglückliche Verlierer einer nach der Pause überlegen geführten Partie ausgesehen hatten.

Nicht zuletzt der Eingebung des Trainers war es letztendlich zu verdanken gewesen, dass das Spiel am Ende die kaum noch für möglich gehaltene Wendung nahm. Mit sechs Offensivspielern und im 3-5-2 statt im vorher praktizierten 4-1-4-1-System absolvierten die Mainzer die Schlussphase der Begegnung, in der sie den bis dato punktlosen Tabellenletzten zunehmend unter Druck setzten. "Der Plan sah vor, aus der Defensive spielstärker zu agieren und das Flügelspiel zu beleben", erklärte Schmidt seine Maßnahme. Doch nicht einzig der Systemumstellung, sondern gleichzeitig Schmidts glücklichem Händchen bei der Wahl seiner Joker war der dreifache Punktgewinn am Ende zu verdanken. Denn dank der Einwechslungen von Pablo De Blasis, Yoshinori Muto und Bundesliga-Debütant Gerrit Holtmann kamen die offensiven Impulse ins Spiel des FSV, an denen es zuvor noch gemangelt hatte. Impulse, mit denen die Defensive der Werderaner am Ende überfordert war. Die Bilanz von 14:2 Ecken und 60 Prozent Ballbesitz nach 90 Minuten zugunsten der Gäste sprachen eine deutliche Sprache.

Systemumstellung zeigt Wirkung

Nach dem Ausgleichstreffer zum 1:1, mit dem sich beide Seiten zunächst noch abzufinden schienen, war es in der Nachspielzeit dann Holtmann, der sich auf dem linken Flügel durchsetzte, maßgenau für De Blasis servierte und dem Argentinier so seinen dritten Saisontreffer ermöglichte. Das Drama für Werder war perfekt, alle 05er im Weser-Stadion im Freudentaumel. "Gerrit ist prädestiniert für das 3-5-2-System. Wir wussten um sein Tempo im eins gegen eins. Heute war der Tag gekommen, um ihn reinzuwerfen", so Schmidt. Die neue Qualität in der Breite des Kaders war zuletzt häufig betont worden und wurde in Bremen einmal mehr unter Beweis gestellt. Sie ermöglichte das Comeback von der Weser. "Dass wir am Ende in den letzten Minuten noch zwei Tore machen, das zeigt die Mentalität von uns", verwies Torschütze Malli auf einen weiteren Pluspunkt der 05er. Mentalität, Willenskraft und Widerstandsfähigkeit – Faktoren, die die 05er durch die lange Saison tragen können und müssen.

"Im Moment trainiere ich mein Team auch im Bereich der Resilienz, also im Bereich der psychischen Widerstandskraft", hatte Schmidt während der Sommervorbereitung zu Protokoll gegeben. "Das zu simulieren, was dann in ein, zwei oder drei englischen Wochen in Serie im September und Oktober blüht." Eine Vorbereitung auf die zwangsläufigen Extremsituationen, die sich bezahlt macht. Mit sieben Punkten aus vier Bundesliga-Partien ist der Bundesliga-Auftakt gelungen, in der Europa-League haben unsere 05er gegen St. Étienne bewiesen, dass sie auch auf der internationalen Bühne mehr als konkurrenzfähig sind.

"Komplette Klaviatur der Gefühle"

Werder-Interimstrainer sprach auf der Pressekonferenz nach der Niederlage gegen den FSV von der "Brutalität des Sports", die er beim Debüt auf der Trainerbank erlebt hatte. "Da wurde die komplette Klaviatur der Gefühle bedient." Die 05er bedienen in dieser Saison bislang die ganze Bandbreite ebendieser Klaviatur und haben gelernt mit Extremsituationen umzugehen, im negativen wie im positiven Sinne. In Bremen kompensierte das Team nach einer schwierigen Anfangsphase selbst den Ausfall von fünf der sechs nominellen defensiven Mittelfeldspieler bestens. Möglich gemacht durch ein in sich gefestigtes Team und die im Sommer vermittelte Resilienz – die Voraussetzung für sportlichen Erfolg im Rahmen der Dreifachbelastung aus Bundesliga, Europa League und DFB-Pokal.