Profis 01.04.2022 - 09:30 Uhr
Heidel: "Das war die Ausgangslage"
Vor 30 Jahren stieg Christian Heidel in die Führungsriege von Mainz 05 ein. Der Sportvorstand im Interview über die Anfänge beim FSV und die aktuelle Lage
Die Meldung, die am 18. März 1992 in den Mainzer Tageszeitungen erscheint, ist zwölf Zeilen lang und gibt in knapper Form das wider, was die Vorstands-Mitglieder zwei Tage zuvor in ihrer turnusmäßigen Sitzung beschlossen hatten: "Neu im Vorstand des Fußball-Zweitligisten 1. FSV Mainz 05 ist Christian Heidel, Geschäftsführer eines Mainzer Autohauses. Bei den Neuwahlen im September soll er von den Mitgliedern bestätigt werden."
Der Rest ist 05-Geschichte. Heidel, heute 58 Jahre alt und seit Dezember 2020 bekanntlich als Vorstand Strategie, Sport & Kommunikation zu seinem Heimat- und Herzensverein zurückgekehrt, ist im Frühjahr vor 30 Jahren in die Führungsriege am Bruchweg eingestiegen. Zunächst kommissarisch, nach der Mitgliederversammlung im Herbst dann als ordentliches, ehrenamtliches Vorstandsmitglied. Zu seinem 20-jährigen Dienst-Jubiläum richtete der Klub in der Arena 2012 eine große Feier aus für Heidel, dem zu diesem Zeitpunkt dienstältesten Manager der Bundesliga. Eine bis heute unvergessene Fete, auch dank der Redebeiträge ehemaliger Weggefährten und Heidels Trainer-Entdeckungen Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Wie sieht es aus Christian, gibt es nun eine Jubiläumsfeier zum 30.?
Heidel: "Nein, da ist nichts geplant. Man muss fairerweise sagen, dass ich mal viereinhalb Jahre nicht da war. Somit war ich keine 30 Jahre lang hier, sondern nur 25,05 Jahre. Ich weiß gar nicht, ob das so passt."
Gehen wir trotzdem mal zurück ins Jahr 1992. In einem Protokoll ist festgehalten, dass "Harald Strutz als Vorsitzender vorgeschlagen hat, Christian Heidel soll als Nachfolger für den ausgeschiedenen Hans-Günter Mann in den 05-Vorstand berufen werden. Die Abstimmung war einstimmig."
Heidel: "Das weiß ich gar nicht mehr (lacht)."
Im Protokoll steht, du sollst zuständig sein für die Amateure. der Vorstand schlägt zudem vor, die A-Jugend und die Amateure in einen Bereich und die Jugendmannschaften von der F- bis zu B-Jugend in einen anderen Bereich aufzuteilen.
Heidel: "So kam es aber nie."
Das wäre dann so etwas wie ein Vorläufer des NLZ gewesen.
Heidel: "Das kam später nach dem Desaster bei der EM in Holland und Belgien. Die Idee war die, soweit ich mich erinnere, unsere zweite Mannschaft nach vorne zu bringen. Die hat damals im Mittelfeld der B-Klasse gespielt. Niemand hat sich richtig um diese Mannschaft gekümmert. Bernhard Schwank war Trainer und hat sich vor allem darum kümmern müssen, dass irgendwie ein kompletter Satz Trikots da war. Ich habe Spiele gesehen, da hatten unsere Spieler unterschiedliche Hosen an. Einer eine blaue, der nächste eine rote. Weil ich im Amateurfußball zu Hause war, hat man mir zugetraut, dass ich mich um dieses Team kümmern kann. Das war die Ausgangslage."
Und dann ging es steil nach oben?
Heidel: "Ich kann mich noch an meine erste Sitzung erinnern. Ich habe die ganze Mannschaft in dem Häuschen hinter der Haupttribüne, wo früher die Kabine war, zu einer Besprechung zusammengetrommelt. Viele kamen zu diesem Treffen in dem Glauben, dass ich mit ihnen über Prämien rede - in der B-Klasse! Ich habe ihnen aber fairerweise gesagt, dass sich alle einen neuen Verein suchen müssten, weil wir das alles neu machen würden."
Und dann?
Heidel: "Dann kam der Plan mit Manni Lorenz, der nicht nur ein guter Freund von mir ist: Ich wusste auch immer, dass er ein guter Trainer ist, der aber ein paar Klassen höher bei Fontana Finthen beschäftigt war. Er kam jedenfalls, wir sind einkaufen gegangen. Und haben innerhalb von drei Monaten eine komplett neue Mannschaft zusammengestellt. Aus Jugendfußballern, die alle aus der Region Mainz kamen. Wir haben versucht, das Beste zu holen, was wir da zusammenbringen konnten. Das hat auch drei Euro gekostet. Wir hatten zudem einen Sponsor, der das bezahlt hat. Ich will aber nicht sagen, wer das war (lacht). Wir sind dann wieder in die B-Klasse eingestiegen und hatten sofort ein Problem."
Und das war?
Heidel: "Es gab den TSV Wackernheim mit einem großen Mainzer Sponsor, der mindestens eine Verbandsliga- Mannschaft an den Start brachte. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir am Ende fünf Minuspunkte und die vier. Wir haben dann das entscheidende Spiel am Bruchweg vor 800 Zuschauern mit 1:2 verloren. Da war richtig Remmidemmi. Wackernheim ist aufgestiegen. Wir mussten den Aufstieg um ein Jahr verschieben."
Dann ging’s aber wirklich los, oder?
Heidel: "Ja, wir sind in der nächsten Saison ohne Verlustpunkt Meister geworden. Und sind wir innerhalb von sieben Jahren sechsmal aufgestiegen."
Es gibt Zeitungsberichte, in denen es heißt, du wärst am 1. April 1992 Leiter des Lizenzspielerbereichs bei Mainz 05 geworden.
Heidel: "Das stimmt so nicht. Ich kam dazu und nahm an den wöchentlichen Vorstandssitzungen teil, wo zu 80 Prozent über die erste Mannschaft gesprochen wurde. Man hat mir ziemlich schnell abgenommen, dass ich mich auch im Profibereich verhältnismäßig gut auskenne. Es war aber ein fließender Übergang, so dass ich das zunächst mit Peter Arens zusammen gemacht habe. Einen Titel hatte ich aber nicht. Der Begriff des Managers war kaum geläufig. Ich wurde Transferchef genannt, Leiter der Abteilung, was auch immer. Fakt ist, ich habe es ungefähr noch ein Jahr mit Peter Arens zusammen gemacht, bis man mir irgendwann den Job übertragen hat und ich die Profi-Abteilung allein übernommen habe."
Die Zeitungen haben dann Manager geschrieben?
Heidel: "Man muss die Zeit sehen. Den Begriff kannte man kaum. Als ich anfing, gab es drei Manager in der Bundesliga: Hoeneß, Lemke und Calmund. Es kam erst mit der Zeit, dass bestimmte Leute für die Profi-Abteilungen zuständig waren. Der Begriff Manager kam also eher aus den Medien, als dass wir das auf die Visitenkarten gedruckt hätten. Ich war bis 2005 noch ehrenamtlich tätig, aber irgendwann hat man zu mir Manager gesagt. Das war einfach so. Man muss dazu sagen, dass ich irgendwann für vieles zuständig war im Verein – vom Marketing bis hin zum Stadionbau. Deshalb hat der Begriff Manager vielleicht sogar gepasst. Unser Verein war aber komplett anders aufgestellt. Im Vorstand war jeder für etwas zuständig und die Fäden sind irgendwann bei mir zusammengelaufen. Ich war aber im Gegensatz zu anderen Managern damals nicht hauptamtlich tätig, sondern bin immer ins Autohaus zurückgegangen."
In diesem Büro in der Saarstraße hat sich alles abgespielt. Viele Jahre lang.
Heidel: "Das hatte nichts damit zu tun, dass ich das so wollte. Es gab kein Büro bei Mainz 05. Es gab keine Räumlichkeit. Die Geschäftsstelle war im Container am Bruchweg, wo heute die Medien-Abteilung sitzt. Wenn du mit einem Spieler verhandelt hättest in einem Container-Nebenraum, ich weiß nicht, ob wir allzu viele Spieler bekommen hätten. Deswegen hat sich alles in meinem Büro im Autohaus abgespielt. Dort sind alle Trainer und Spieler durchmarschiert."
Blicken wir noch einmal zurück auf die Anfänge: Du warst 26 Jahre alt, als du 1990 als Auto-Händler das Oberligaspiel gegen den FSV Saarwellingen "gekauft" hast…
Heidel: "Es gab über 5000 Freikarten und es waren gut 4400 zahlende Zuschauer da. Ich habe dafür, dass ich alle Eintrittskarten gekauft habe, rund 15.000 Mark bezahlt und habe dafür das Recht an der Vermarktung dieses Spiels erworben. Es war eine sehr kommerzielle Veranstaltung, um das Autohaus bekannter zu machen, aber auch um den Leuten etwas zu präsentieren. So haben wir uns kennengelernt. Harald Strutz und Peter Arens kannte ich zuvor flüchtig. Es war dann in der Tat so, dass sie mich einen Tag nach diesem Event angerufen haben, ob ich nicht Interesse hätte, im Verein aktiv mitzuarbeiten. Ich habe aber selbst noch gekickt beim FV Budenheim, deswegen habe ich es abgelehnt und erst, als sie nicht lockergelassen haben, 1992 zugesagt."
Und wie war das mit dem Auto, das es bei diesem Spiel zu gewinnen gab?
Heidel: "Jemand musste von der Mittellinie ins leere Tor schießen, aber ohne, dass der Ball vorher aufdotzte. Es wurden Fußbälle ins Publikum verschossen, und wer so einen Ball gefangen hatte, durfte mitmachen. Es wurden sechs Leute ausgewählt und der Allererste hat den Ball reingemacht. Der Mainzer Polizei-Präsident war der Richter und hat den Treffer gültig gegeben. Der junge Mann hat bei Moguntia Mainz in der zweiten Mannschaft gespielt und so einen neuen Dreier-BMW im Wert von 30.000 Mark gewonnen."
Ein ziemliches Verlustgeschäft?
Heidel: "Ich hatte diesen Worst Case über eine Versicherung in England abgesichert. Deshalb musste der Polizei-Präsident auch der Torrichter sein. So hat die Versicherung alles übernommen."
Volltreffer?
Heidel: "Für das Autohaus, aber auch für Mainz 05 war es eine großartige Sache. Wir hatten die zehnfache Zuschauerzahl als normal. Wir haben auch 4:1 gewonnen - das hat alles gepasst."
Über die Jahre danach könnte man ganze Bücher mit den Erzählungen füllen, aber wir müssen langsam mal in die Gegenwart kommen.
Heidel: "Klar, die Trainer, die Aufstiege, der Stadionbau, das sind die Meilensteine. Denn wer hätte Mainz 05 in den 80er Jahren zugetraut oder Mitte der 90 er Jahre, dass wir irgendwann so lange in der Bundesliga spielen würden? Allein, dass wir in dieser Liga damals spielten mit dem Stadion, mit der Bezirks-Sportanlage, mit dieser Tribüne und den Stehplätzen, das war doch alles undenkbar eigentlich. Ich bin sicher, wenn man jemand von den Leuten, die damals dabei waren, gesagt hätte, dass Mainz 05 2022 Bundesliga spielt, die hätten den Krankenwagen gerufen. Ich habe früher immer nur gehört: Mainz ist keine Fußballstadt. Und ich habe immer, wenn ich in der Stadt für das neue Stadion geworben habe, gesagt, dass jede Stadt eine Fußballstadt ist. Weil es überall viele Leute gibt, die sich für Fußball interessieren. Es geht nur darum, sie für einen Verein zu begeistern. Unser Job war und ist es, Emotionen und Begeisterung zu wecken."
30 Jahre Mainz 05 mit Christian Heidel
Bo Svensson hat kürzlich gesagt: Der Fußball hat die Fähigkeit, eine Stadt zu prägen und für den Verein einzunehmen. Das passt dazu. Oder?
Heidel: "Ich habe auch immer gesagt, dass Mainz 05 und Mainz eins werden müssen. Nicht jeder kommt zum Spiel, aber die Leute, die nicht ins Stadion gehen, müssen ein Interesse haben, fünf Minuten nach Spielende zu wissen, wie Mainz 05 gespielt hat. Dann kriegst du das Wir-Gefühl. Dieses Gefühl war ein bisschen verloren gegangen, aber ich glaube, wir sind auf einem ganz guten Weg, es zurückzugewinnen. Das heißt nicht, das alle kommen müssen. Es sollten so viele kommen, dass die Bude voll ist und die anderen sollten mitfiebern. Das hatten wir insbesondere in den ersten Jahren nach dem Aufstieg oder mit dem Umzug vom Bruchweg in die Arena. Das sind Sachen, die vergisst du nicht."
Nach den Spielen gegen Dortmund und danach gegen Bielefeld schien dieses Gefühl zurückgekommen zu sein.
Heidel: "Das ist der Punkt. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch weit entfernt davon, dass man sagen könnte, wir hätten das Ziel erreicht. Im Moment ist es wohl so, dass sich die Leute wieder mit dieser Mannschaft identifizieren. Da entsteht wieder was. Es ist trotzdem noch harte Arbeit. Das kriegst du nicht nach einem guten Jahr zurück. Jetzt sind wir im zweiten ganz guten Jahr. Man setzt wieder Vertrauen in die Mannschaft. Das hat uns früher stark gemacht, auch nach Niederlagen. Und das kommt natürlich nur ganz langsam zurück."
Da sind wir wieder beim Trainer. Ist es so, dass das große Ganze in Mainz mit dem Trainer verbunden sein muss?
Heidel: "Wir sind keiner der großen Vereine in der Bundesliga, Wir werden auch in Zukunft immer davon leben, dass wir außergewöhnlich gute Trainer haben. Du brauchst also gute Trainer. Das ist die wichtigste Person in einem Fußballverein. Warum steht Freiburg da, wo sie stehen? Weil sie einen überragenden Trainer haben. Wir hatten das Glück, dass wir in zwölf Jahren zwei Trainer hintereinander hatten, die heute zu den drei Besten der Welt zählen. Und dass wir jetzt wieder das Glück haben und vielleicht auch etwas Verstand, dass wir wiederum einem unerfahrenen jungen Trainer Bo Svensson die Möglichkeit gegeben haben. Es war nicht so, dass wir Bo damit was Gutes tun wollten, wir wollten uns was Gutes tun. Wie das jetzt aussieht, passt das alles wieder zusammen. Das ist ursächlich der Grund dafür, dass wir wieder erfolgreich Fußball spielen."
Wie siehst du den Trainer Bo?
Heidel: "Er verkörpert Mainz 05. Als ich ihn Heiligabend 2020 angerufen und ihm berichtet habe, was wir vorhaben, hat er gesagt, wir müssen Mainz 05 dahin zurückführen, wo wir mal waren, und wie er es als Spieler erlebt hat. Dass eine ganze Stadt hinter der Mannschaft steht. Das war sein Ansatz. Und so sind wir das Thema angegangen, weil wir uns einig waren über den Weg, denn im Verein gab es Dinge, die nicht in die richtige Richtung gelaufen sind, auch wenn sie gut gemeint waren. Wir wollten auf moderne Art back to the roots und uns zeitgemäß anpassen an die Gegenwart. Dass wir die Uhr nicht einfach zurückdrehen konnten, war uns allen klar."
Ist das ein Weg für die nächsten Jahre?
Heidel: "Das weiß ich nicht. Weder Martin noch Bo und ich sowieso nicht denken in Vertragslaufzeiten. Ich bin sicher: Solange Bo das Gefühl hat, dass wir den gleichen Weg zum Ziel suchen, müssen wir mit ihm auch nicht darüber reden. Er wird irgendwann vielleicht in den großen Fußball gehen, aber im Moment ist er hier überglücklich, weil er merkt, wir entwickeln etwas gemeinsam. Und er selbst kann sich hier entwickeln. Das genießt er. Er ist der König der Kabine. Das ist sein Territorium. Ich glaube, er wird so lange bei Mainz 05 bleiben, wie er das Gefühl hat, dass er sich hier ausleben, seine Dinge machen kann."
Dieses Interview ist Teil des am Samstag erscheinenden "Nullfünfer", der dem Mainzer Wochenblatt beiliegt. Hier geht es zur gesamten Ausgabe als digitale PDF-Version.