Verein 30.01.2022 - 11:10 Uhr
Die erste Meisterschaft
Vor 101 Jahren feierte der FSV seinen ersten Titel: Heute blicken wir zurück
Vor 100 Jahren war der deutsche Fußball völlig anders organisiert, war an die Bundesliga noch lange nicht zu denken, spielten auch die Spitzenteams im Alltag in lokalen Ligen. In diesem Umfeld feierte der FSV 1921, vor genau 101 Jahren, den ersten Titel seiner noch kurzen, heute fast 117-jährigen Vereinsgeschichte: die Hessenmeisterschaft.
"Kreisliga Hessen", das klingt heute nach Amateurfußball auf überschaubarem Niveau. Im Ligasystem der 1920er gab es allein im Süddeutschen Fußballverband, dem die 05ER angehörten, zehn dieser Kreisligen, deren zehn Sieger den Süddeutschen Meister ausspielten. Dieser wiederum begegnete den Vertretern der übrigen sechs Regionen in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Die Mainzer waren demnach 1921 erstmals (und bis 1933 weitere drei Male) bei der Süddeutschen Meisterschaft dabei, dort wie immer chancenlos, zählten aber neben renommierten Teams wie Eintracht Frankfurt, dem 1. FC Nürnberg, den Stuttgarter Kickers und SV Waldhof Mannheim zu den zehn besten Mannschaften der Region, die bis auf kleine Teile Nordhessens und Oberfrankens um Kassel und Coburg die kompletten heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg umfasste.
Rettende Fusion
In seiner damaligen Form war der FSV beim Titelgewinn keine drei Jahre alt. Der Erste Weltkrieg hatte den bereits in der höchsten lokalen Liga etablierten 1. Mainzer FV 05 nahe an den Zusammenbruch geführt: Von einer improvisierten Sonderrunde 1915/16 abgesehen hatte vier Jahre lang kein Spielbetrieb stattgefunden; erst 1918/19 wurde dieser wieder vorsichtig aufgenommen. Fast alle der 128 Vereinsmitglieder waren an der Front gewesen, jeder fünfte 05ER hatte dort sein Leben verloren. Das 1910 eröffnete Stadion auf dem heutigen Schott-Betriebsgelände war nicht mehr vorhanden; ob es aufgegeben oder beschlagnahmt wurde, war nach dem Krieg Thema einer jahrelangen fruchtlosen Auseinandersetzung zwischen Stadt und Verein. Alleine wäre der MFV nicht überlebensfähig gewesen. Die Fusion mit dem Mainzer SV 08, einem unterklassigen Nachbarklub, mit dem der FSV ohnehin bereits im Krieg eine Spielgemeinschaft gebildet hatte, zum 1. Mainzer Fußball- und Sportverein 05 verlieh dem Spitzenfußball der Stadt wieder die nötige Stabilität.
Im ersten Jahr der Kreisliga Hessen spielten die 05ER jedoch noch keine gute Rolle. Zwölf Punkte aus 18 Spielen ergaben den vorletzten Platz in einer Zehner-Liga, deutlich zwar vor dem FC Egelsbach, aber weit hinter dem rechtsrheinischen Stadtkonkurrenten Kastel 06 und den Wiesbadener Spitzenklubs, Meister Germania und Vizemeister SVW. Die Heimspiele fanden (nach einem kurzen Intermezzo auf dem Schützenfestplatz oberhalb des Rosengartens) auf einem ehemaligen Militärgelände am Fort Bingen statt, wo bis Sommer 1920 größtenteils durch Darlehen dreier Mitglieder (darunter Ex-Präsident Eugen Salomon) ein Stadion mit 12.000 Plätzen entstand. Heute befindet sich dort das Forum der Mainzer Universität.
Ries, die Gebrüder Freitag & Co
Der deutliche Aufschwung in der zweiten Nachkriegssaison ist in hohem Maße Hugo Ries zu verdanken. Dieser hatte bereits 1904, kaum zehnjährig, eine Schülermannschaft mitbegründet und war bald Nachwuchsspieler des FC Viktoria Mainz, der Ende 1908 geschlossen dem FC Hassia beitrat. Von 1912 bis 1925 spielte Ries in der ersten Mannschaft der 05ER, mit Ausnahme seiner Militärzeit und des ersten Nachkriegsjahres, in dem er in Berlin hängengeblieben war und beim dortigen BFC Alemannia gespielt hatte. Als Ries an Weihnachten 1919 wieder nach Hause kam, brachte er eine Reihe von Berliner Fußballern mit, unter anderem den ersten der beiden in Mainz später zur Legende gewordenen Gebrüder Freitag: Der beim Debüt für die Mainzer 22-jährige Otto war bis zu einer schweren Verletzung im Sommer 1930 Leistungsträger in der Abwehr und führte anschließend jahrzehntelang das Vereinsheim. Sein zwei Jahre älterer Bruder Willi kam ein Jahr später vom VfR Köln und war ebenfalls bis zu einer Verletzung im hohen Fußballalter von fast 38 Jahren ein fleißiger und taktisch überdurchschnittlich geschulter Abwehrchef und zeitweise Kapitän.
Die Routiniers aus dem intensiven, auch in der Breite hochklassigen Berliner Fußball, wenige alte Mainzer Haudegen und eine Reihe junger lokaler Talente bildeten 1920/21 eine regionale Spitzenmannschaft. Nach dem 0:1 zum Saisonauftakt gegen den Vizemeister SV Wiesbaden setzten sich die 05ER mit einer Serie von fünf Siegen - darunter ein 6:1 gegen den Vorjahresmeister Germania Wiesbaden - an die Tabellenspitze. Mit einem 2:1 beim punktgleichen Verfolger TG Höchst wurden sie im letzten Hinrundenspiel den bis dahin ärgsten Konkurrenten los, verloren im Dezember wiederum durch ein Unentschieden gegen Alemannia Griesheim und ein 3:4 bei Germania Wiesbaden die Tabellenführung an Alemannia Worms. Ein 2:0-Sieg im Rückspiel gegen Höchst entschied schließlich am letzten Spieltag die Meisterschaft und brachte dem jungen FSV seinen ersten Titel.
Frühes Aus in der Süddeutschen Meisterschaft & Abstieg 1923
Die Süddeutsche Meisterschaft war für die Mainzer dann allerdings eine Nummer zu groß: Dem 2:1 gegen Borussia Neunkirchen im Auftaktspiel der Gruppe West am 20. März folgte fünf Tage später ein 1:3 beim Saarmeister, der anschließend auch gegen den FC Phönix Ludwigshafen verlor. Der Gruppenfavorit aus der damaligen Fußballmetropole schlug auch den FSV zweimal 2:1 und erreichte das Finale um die Süddeutsche Meisterschaft. In Stuttgart unterlag der FC Phönix erst in der Verlängerung dem alten und kommenden Deutschen Meister 1. FC Nürnberg.
Die 05ER vermochten ihren ersten Titel zunächst nicht in eine Erfolgsära zu verlängern. Im folgenden Jahr der umorganisierten Kreisliga wurden sie Dritter von acht Vereinen, 1923 stiegen sie als Sechster ab. Die erste große Ära des Mainzer Fußballs mit drei weiteren Hessenmeisterschaften und dem Entstehen der großen Rivalität mit der Wormatia begann schließlich mit dem Wiederaufstieg 1925.