Profis 07.04.2021 - 20:00 Uhr

Neu gewonnene Freiräume

Unter Bo Svensson ist Leandro Barreiros Rolle im 05-Spiel offensiver ausgerichtet: Der Luxemburger überzeugt sowohl mit Laufwerten- wie auch mit für den Gegner unbequemen wegen, und schüttelte unlängst auch die Stipvisite zum Nationalteam in kürzester Zeit aus den Knochen

Drei Torschüsse gab Barreiro gegen Bielefeld ab, verpasste seinen zweiten Bundesliga-Treffer aber jeweils knapp.

Der Ärger ist auch am Mittwochnachmittag noch nicht ganz verflogen bei Leandro Barreiro. Sowohl mit dem FSV als auch mit der luxemburgischen Nationalmannschaft hat der Mittelfeldspieler jüngst Punkte liegen lassen. "Es war mehr drin", betont er. Mit den Rheinhessen im Duell mit Arminia Bielefeld (1:1), mit seinem Heimatland im Aufeinandertreffen mit Portugal und seinem Idol Cristiano Ronaldo (1:3 nach zwischenzeitlicher Führung). Bewegte Zeiten, dennoch stimmt das 21-jährige 05-Eigengewächs der eingeschlagene Trend in beiden Fällen durchweg positiv. Nicht zuletzt, weil er mit seiner eigenen Entwicklung einen wichtigen Beitrag leistet und die neu gewonnene Freiheit im Zentrum des Spiels schätzt.

Mit zwei EM-Qualifikationseinsätzen gegen die Portugiesen und Irland (1:0) über jeweils 90 Minuten in den Beinen kehrte Barreiro im Vorfeld der Partie gegen Bielefeld zurück an den Bruchweg. Belastungsproben, die ihn keineswegs daran hinderten, gegen die Ostwestfalen mehr als zwölf Kilometer Laufstrecke abzuspulen und immer wieder offensive Akzente zu setzen. Von Müdigkeit keine Spur. Wirklich anstrengend beziehungsweise teils "nervig" an Reisen in Corona-Zeiten sei für ihn ohnehin lediglich das permanente Tragen der obligatorischen Gesichtsmaske. "Wenn man aber dafür Fußball spielen darf für sein Land, ist es das wert", so der Mittelfeldmann. Und zwar für ein Land, das vor nicht allzu langer Zeit noch als Fußballzwerg galt und mittlerweile selbst große Nationen des Sports zu ärgern weiß. So erscheint der Traum des 05-Profis und seiner Landsleute aus heutiger Sicht gar nicht mehr allzu verwegen: "Die letzten Jahre waren sehr positiv, wir können gegen große Teams mithalten. Jeder sieht es als Traum, mal bei einem großen Turnier dabei zu sein. Es ist aber noch ein langer Weg, wir sind in einer Entwicklung und ein junges Team. Wenn es diesmal nicht klappt, habe ich hoffentlich noch viele weitere Chancen."

Noch längst nichts erreicht

Bis Ende Mai gilt der Fokus nun aber selbstredend ausschließlich dem Tagesgeschäft bei seinen Mainzern, mit denen er an den Trend der ersten Monate des Jahres anknüpfen möchte - und muss, wie er betont. "Es tut gut zu sehen, wo wir stehen, aber der Abstand ist sehr klein. Ich persönlich gehe genauso an die Sache ran wie zuvor. Wenn wir weiter punkten wollen, müssen wir genauso auftreten wie zuletzt. Wichtig ist nur, wo wir am 34. Spieltag stehen, nicht jetzt oder nächste Woche. Unser Ding durchzuziehen, unseren Weg weiterzugehen, ist entscheidend."

Die im Januar begonnene Aufholjagd hat den FSV inzwischen auf einen Nichtabstiegsplatz geführt und das Team von Woche zu Woche mehr zu einer verschworenen Einheit werden lassen, die auch nach Rückschlägen an sich glaubt. "Wir wissen, dass wir zurückkommen können. Erfolgserlebnisse helfen enorm. In der Hinrunde hatte man oft das Gefühl, dass ein Tor uns völlig aus der Bahn geworfen hat. Wenn man zusammen so geile Spiele erlebt wie in diesem Jahr, ist bei jedem im Kopf drin, dass wir es schaffen können, es zum Positiven zu wenden. Das spricht für unsere Rückrunde, aber erreicht haben wir trotzdem noch nichts."

"Man arbeitet viel und hart für verschiedene Momente. Das Tor gegen Leipzig war so etwas wie die Erfüllung eines Kindheitstraums."

Persönlich hat Barreiro zumindest sein Ziel erreicht, es auf mehr Einsatzzeit zu bringen als im Vorjahr, in dem er häufiger auf der Bank Platz nehmen beziehungsweise sich mit der Jokerrolle hatte anfreunden müssen. Zuletzt zählte der Luxemburger acht Mal in Folge zur Startelf, 15 Punkte fuhren die 05ER dabei ein. "Ich entwickle mich weiter, lerne von Spiel zu Spiel, habe mehr offensive Aktionen." Zwar wartet er seit seiner Tor-Premiere gegen Leipzig auf Treffer Nummer zwei, genießt aber dennoch die neuen Freiheiten unter Cheftrainer Bo Svensson, der seine Qualitäten auf der Achterposition schätzt, wo er als wichtige Anspielstation fungiert, die Tiefe sucht und Angriffe mitinitiiert. "Er kannte mich eben schon und weiß, dass offensive Laufwege eine meiner Stärken sind, dass ich Wege gehe, die nicht immer leicht zu verteidigen sind. Deswegen spiele ich eine etwas offensivere Rolle. Dort habe ich immer wieder Freiräume. Das hat bislang ganz gut geklappt, und wir verbessern uns als Mannschaft im Erspielen von Torchancen." Gelegenheiten, bei denen es zuletzt immer mal wieder an Kaltschnäuzigkeit oder Präzision fehlte, wie Barreiro auch mit Blick auf sein eigenes Tun zugibt. Hier, so unterstreicht er, müsse man an Effizienz zulegen. "Neues Spiel, neues Glück", sagt Barreiro beiläufig und strahlt dabei Ruhe und Zuversicht aus.

Das größte Manko der aktuellen Situation sieht der 21-Jährige so auch gar nicht im sportlichen, sondern vielmehr im atmosphärischen Bereich während der Partien vor leeren Rängen. "Die ganze Zeit merkt man, dass es nicht das Gleiche ist. Das tut jedem weh, den Fans vielleicht sogar noch mehr als uns, dass sie uns nicht unterstützen können. Es fühlt sich anders an, wenn man ein Tor schießt und jubelt. Ich hoffe, dass es so schnell wie möglich wieder mit allen gemeinsam geht." Im besten Fall natürlich auch in der kommenden Saison auf erstklassigem Terrain, wofür Barreiro und seine Teamkollegen am Sonntagabend (18 Uhr) in Köln weitere Argumente sammeln wollen. Die Schwere der Aufgabe in diesem Duell sei allen bewusst. "Es wird ein sehr aggressives Spiel mit vielen Zweikämpfen. Im Abstiegskampf geht es einfach um Zweikämpfe, um Intensität. Ich erwarte ein enges Spiel, das durch Kleinigkeiten entschieden wird. Wir müssen defensiv so stabil stehen, wie zuletzt und offensiv noch bessere letzte Bälle spielen, genauere Bälle, zuschlagen, wenn sich die Chance bietet." Angesichts seiner offensiveren Ausrichtung im 05-Spiel nicht ausgeschlossen, dass Barreiro dieser Forderung nach eiskalten Vollstreckerqualitäten in dieser nächsten wichtigen Partie selbst nachkommen muss.