Profis 02.04.2023 - 13:00 Uhr
Nah an der Perfektion
Begeisterung allenthalben über historischen Erfolg in Leipzig
Der Blick in die Gesichter, die Umarmungen, Freudenausbrüche und Gesten, die Trainer, Betreuer und sämtliche Spieler nach dem Abpfiff auf dem Rasen vorführten. Die innige Begeisterung, mit der Martin Schmidt seinem Trainer um den Hals fiel, zeugten vom Stellenwert, den alle Beteiligten des 1. FSV Mainz 05 dieser überragenden Vorstellung beimaßen. Den krassen Gegensatz dazu lieferten die Gastgeber, die sich mit betretenden Mienen ihrem Anhang stellten. Die Leipziger Arena, die schon im Laufe der zweiten Halbzeit eine anhaltende Aufbruchstimmung der RB-Fans erlebte, war nahezu leer, als vor dem mit rund 650 mitgereisten Anhängern aus Rheinhessen gefüllten Gästeblock eine spontane Siegerparty begann, die Mainzer ausgelassen eine der besten Leistungen der ganzen Saison feierten, die am Ende in einen verdienten und auch in dieser Höhe verdienten 3:0-Erfolg bei RB Leipzig mündete. Mit einer taktischen, fußballerischen und mentalen Meisterleistung gelang Bo Svensson und seiner Mannschaft ein beeindruckender Auftritt beim großen Favoriten und der erste Auswärtssieg überhaupt bei diesem Gegner. In einer Partie, die der 05-Cheftrainer vorher als eines der schwierigsten Spiele überhaupt bezeichnet hatte. Und die das nunmehr seit sieben Spielen ungeschlagene 05-Team mit Bravour meisterte.
Schmidt: "Eine Riesenleistung"
"Heute kann man nur sagen: einwandfrei. Unglaublich", schwärmte der Sportdirektor von der Vorstellung der Mannschaft. "Es war eine geschlossene Teamleistung. Von Anfang an sehr kompakt, aggressiv gegen den Ball, immer wieder mit kleinen Nadelstichen. Die Basis war wieder hinten. Wir haben in der Defensive knallhart und gut verteidigt. In der zweiten Halbzeit haben wir zum richtigen Zeitpunkt die Tore geschossen und das Spiel kontrolliert. Wenn man gegen ein Champions-League-Team auswärts 3:0 gewinnt und das so verdient, muss man die Leistung schon hoch ansiedeln. Es war eine Riesenleistung“, erklärte der 55-Jahre alte Schweizer.
Marco Rose, der ehemalige 05-Profi, hatte kein Problem damit, das Resultat ähnlich einzuordnen. "Mainz war uns in fast allen Belangen überlegen. Es ist ein sehr verdienter Sieg für Mainz 05 mit einer starken Leistung. Ich will meiner Mannschaft nie den Willen absprechen, Dinge umsetzen zu wollen, aber wir waren unterlegen, sagte der Leipziger Trainer. "Ich finde, dass die Statistiken das auch sehr gut ausdrücken. Mainz hatte mehr Torschüsse bei uns im Stadion, hat mehr Tore geschossen, mehr Zweikämpfe gewonnen, mehr Ecken." Rose hätte noch anführen können, dass die Gäste zudem rund acht Kilometer mehr gelaufen waren (mehr als 125). Die Mainzer kamen zwar nur auf 31 Prozent Ballbesitz, doch der Gegner wusste mit seinen 69 Prozent nicht viel anzufangen, weil die 05ER kaum einmal ein geordnetes Aufbauspiel zuließen. "In diesem Zusammenhang ist Ballbesitz, wenn man das Spiel gesehen hat, völlig unwichtig", sagte Rose.
Absolutes Topspiel
Svensson sprach von einer sehr guten Leistung seiner Mannschaft. "Wir haben mutig nach vorne gespielt, sehr intensiv gespielt, haben gute Lösungen mit Ball gefunden. Darauf bin ich sehr stolz. Wir haben schon oft Probleme hier gehabt, aber die Mannschaft hat heute den Plan extrem gut umgesetzt", betonte der 05-Coach. "Ich finde, dass wir, außer vielleicht in den letzten zehn Minuten vor der Pause, ein absolutes Topspiel hier gemacht haben. Großes Lob dafür." Auf die Frage, ob er es einen perfekten Auswärtsauftritt nennen würde, antwortete der Däne: "Vielleicht nicht perfekt, aber sehr nahe dran. Die Gruppe hat ausgestrahlt, dass hier etwas möglich sein kann. Wir wussten, dass die Geschichte von Mainz 05 in Leipzig nicht so gut ist. Darüber haben wir gesprochen. Deshalb habe ich auch vorher gesagt, dass der Glaube, hier etwas möglich zu machen, ein ganz entscheidender Faktor sein werde. Und deswegen bin ich am meisten glücklich darüber, dass wir auch in der zweiten Halbzeit nicht versucht haben, nur zu verteidigen. Wir haben nochmal versucht, hoch zu pressen und den Plan durchzuziehen. Nicht nur, auf das 2:0 zu spielen. Darum ging es nicht. Es ging einfach darum, dass wir die Chance gesehen haben, hier heute mit dieser Taktik etwas zu holen. Das erfordert Mut, und den haben die Jungs eingebracht."
Leipzig mit Mut verunsichert
Der 05-Sportdirektor bestätigte, welchen Stellenwert der Mut schon vor der Partie in der Kabine eingenommen habe. "Wie oft sie von Mut geredet haben, die Spieler selbst. Mutig nach vorne. Das war ein Wahnsinnsauftritt einer sehr reifen und ausgeglichenen Mannschaft. Wir hatten immer Balleroberungen in des Gegners Hälfte und haben sie dadurch verunsichert. Nach der Pause sind wir drangeblieben, weiterhin mutig. Das hat man dem Team angesehen", sagte Schmidt.
Schon nach neun Minuten war der FSV in Führung gegangen. Ausgangspunkt war eine Flanke von Anton Stach von rechts. Ludovic Ajorques Schuss prallte von Willi Orban ab, doch auf der linken Seite beförderte Anthony Caci den Ball erneut ins Zentrum, Leandro Barreiro kam frei zum Abschluss. Blaswich parierte stark, war jedoch machtlos gegen den Abstauber des nachsetzenden Marcus Ingvartsen. Bevor Timo Werner den Ausgleich auf dem Fuß hatte, aber an einer überragenden Reaktion Robin Zentners scheiterte, hätte der FSV schon zweimal erhöhen können. Erst scheiterte Ingvartsen nach Ajorque-Zuspiel an RB-Keeper Blaswich, dann traf Barreiro per Kopf nach Stach-Flanke nur die Latte. Barreiro leitete später aber mit einem Ballgewinn im Mittelfeld sowie einem Zuspiel auf Stach das 2:0 ein, das Ajorque technisch perfekt erzielte. "So ein Tor habe ich noch nicht gemacht. Das war aber die einzige Möglichkeit für mich, in der Situation ein Tor zu erzielen, indem ich den Ball mit rechts ein bisschen angechippt habe", sagte der lange Stürmer später. "Er ist einfach ein Qualitätsspieler", erklärte Svensson. "Er schafft es, auch seine Mitspieler besser zu machen. Das sieht man. Auch wenn er nicht immer selbst glänzt, sieht man, dass er in der Lage ist, seinen Mitspielern Räume zu schaffen. Dazu kommt, dass er ein richtig geiler Typ ist. Das passt."
Die Gäste setzten sogar noch einen drauf. Barreiro setzte Caci ein, der Franzose passte vor den Strafraum, von wo Dominik Kohr den Ball in der unteren rechten Ecke des RB-Leipziger Tores versenkte.
Sichtbare Entwicklung
40 Punkte acht Spieltage vor dem Saisonende, "da ist der Liga-Erhalt betoniert", sagte der 05-Sportdirektor. "Natürlich jedoch mit dem Anspruch, da bleiben zu wollen, wo wir sind und uns da festzukrallen. Die Mannschaft zeigt in dieser Rückrunde ständig selbst, wo sie hinwill. Man muss das gar nicht formulieren, sie will sich stetig verbessern. Sieben Spiele in Folge ohne Niederlage, das ist schon großartig für Mainz 05 und eine Riesengeschichte für uns", so Schmidt. "Das Team hat den Ehrgeiz, sich immer wieder verbessern zu wollen. Die Mannschaft nimmt eine Entwicklung. So etwas ist meistens auf die Trainerarbeit zurückzuführen. Deshalb ein Riesenkompliment an Bo. Was die Mannschaft sich während der Woche erarbeitet und dann Woche für Woche auf dem Platz zeigt, ist beeindruckend. Ich glaube, dass das ein guter Weg ist."