Nachwuchs 28.07.2020 - 11:00 Uhr
Parker: "...weil das Gefühl einzigartig war"
Für Devante Parker ist der Traum von der Bundesliga-Karriere im Alter von 24 Jahren beendet, das Eigengewächs der 05ER ist seit diesem Sommer offiziell sportinvalide: Die Zukunftsplanungen aber laufen längst auf Hochtouren und könnten ihn zurück an den Bruchweg führen
August 2014: In der 82. Minute wechselt 05-Trainer Kasper Hjulmand beim Stand von 0:0 gegen Hannover 96 ein letztes Mal aus, möchte mit dem gerade 18-jährigen Eigengewächs des FSV Devante Parker noch einmal Impulse setzen. Nach dem Schlusspfiff zunächst eine Randnotiz angesichts des torlosen Remis, war für das Nachwuchstalent hingegen soeben ein Traum wahr geworden. Die Erinnerung an die Minuten auf dem Rasen der OPEL ARENA sorgen auch heute, sechs Jahre später, und kurz nach dem viel zu frühen Karriereende, für Gänsehaut beim nun 24 Jahre alten Ex-Profi.
Aufgeräumt und reflektiert gibt sich Parker, als wir ihn bei der Autofahrt von Stuttgart nach Mainz erreichen. Im Schwabenland absolviert er derzeit ein Praktikum bei der Firma Alpha Sports, einem Unternehmen, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, für die Durchsetzung des Rechts von Profisportlern nach erlittenen Verletzungen zu kämpfen oder Rentenansprüche geltend zu machen. Eine für den ab 2006 im Nachwuchsleistungszentrum am Bruchweg ausgebildeten Ex-Profi ganz aktuelle Thematik, ist doch auch bei ihm in den letzten Monaten das Bewusstsein gereift, dass es nach zwei Kreuzbandrissen und insgesamt vier Operationen am rechten Knie nicht mehr weitergeht auf höchstem Niveau.
"Bis zum März dieses Jahres habe ich in der Reha alles versucht. Dennoch habe ich gemerkt: Ich komme nicht voran. Das Knie war ok, hat sich gut angefühlt, aber an 100 Prozent Leistungssport war nicht zu denken. Letztendlich war die Erkenntnis aber das Ergebnis eines längeren Prozesses, das entscheidet man nicht von heute auf morgen. Ich wollte nichts unversucht lassen. Es war eine schwierige Zeit, die mich sehr geprägt hat. Und es gab dabei natürlich auch Momente, in denen man mal eine Träne verdrückt hat", erzählt Parker, der gelernt hat, sein Schicksal zu akzeptieren.
Abschied vom Profisport und dem "Herzensverein"
Schwer fällt es dennoch, sich nun vom Profisport verabschieden, seinem "Herzensverein" zumindest als Spieler den Rücken kehren zu müssen: "Es ist natürlich hart, das zu akzeptieren. Ich stehe mit vielen Leuten am Bruchweg in Kontakt und fühle mich definitiv noch als Teil davon, das bleibt sicher auch noch eine Weile so." Auf der einen Seite sei es schwierig und traurig, auf der anderen "habe ich jetzt die Möglichkeit, mich komplett neu zu orientieren. Die Zeit wurde mir in den letzten Monaten schon bei Mainz 05 gegeben. Mir wurde klar signalisiert, dass mir die Türen offengehalten werden." Dem Klub ist er dankbar für die Möglichkeiten, die ihm eröffnet wurden. Neben der Videoanalyse im Lizenzspielerbereich hat Parker im Jugendbereich Erfahrungen im Trainingsbetrieb sammeln dürfen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welcher neue Weg der für ihn richtige sein könnte. "Egal, in welches Büro ich in den letzten Monaten gekommen bin, ich hatte immer das Gefühl, willkommen zu sein", so der jüngere Bruder von Shawn Parker, dem für die 05ER einst in 27 Bundesliga-Spielen vier Treffer gelangen.
Neben den Mitarbeitern rund um den Bruchweg ist es ihm zudem ein besonderes Anliegen, die Arbeit der medizinischen Abteilung sowie das Engagement der Reha-Trainer hervorzuheben. "So seltsam es klingen mag, rückblickend hat selbst diese Zeit Spaß gemacht. Es wurden immer wieder neue hoffnungsvolle Ansätze getestet, um das Knie zu stabilisieren. Sie waren immer für mich da. Es ist mir ganz einfach wichtig, mich von Herzen bei allen zu bedanken, die mich von Tag eins bei Mainz 05 auf meinem Weg begleitet haben. Ich habe mich im Verein immer wohl gefühlt, viele tolle Sachen gelernt. Gleiches gilt für meine Freunde und Familie oder auch meinen Berater, der jetzt noch für mich da ist und einen tollen Job macht, obwohl ich nicht mehr spielen kann. So aufgefangen zu werden, war nicht selbstverständlich."
Für das angestrebte Comeback sollte es trotz der fortwährenden Bemühungen und Unterstützung nicht mehr reichen. Und so bleiben viele wertvolle Erinnerungen, allen voran die an diesen ersten von zwei Bundesliga-Einsätzen im Trikot seiner 05ER zu Beginn der Saison 2014/15.
Darauf angesprochen, gerät Parker noch heute ins Schwärmen: "Auf dieses Erlebnis arbeitet man hin. Jeder träumt doch davon, für seinen Heimatverein ein Spiel machen zu dürfen und Profi zu werden. Wenn ich jetzt davon erzähle und zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Da fehlen mir auch heute ein bisschen die Worte, weil das Gefühl einzigartig war. Ich bin dem Verein dankbar, diese Chance bekommen zu haben. Es gab damals auch andere gute Spieler, die diese Gelegenheit vielleicht nie bekommen haben. Auch, wenn es letztendlich nur zwei Einsätze waren, bin ich stolz darauf, es erlebt zu haben. Ich werde sicher irgendwann auch meinen Kindern davon erzählen und kann jedem nur empfehlen, für seinen Traum zu kämpfen." Vor Rückschlägen dürfe man dabei keine Angst haben.
Dass die Zeit am Bruchweg nicht nur die Voraussetzungen geschaffen hat, seinen Traum vom Profifußball zu leben, sondern auch, um auf das Leben abseits des Sports vorbereitet zu sein, wird Parker im Sommer 2020 mehr denn je vor Augen geführt. Bewusst sei ihm das nicht immer gewesen. Schließlich habe es eine Zeit gegeben, in der er "wenig Lust" auf Schule gehabt habe:
Das habe eher unangenehme Gespräche zur Folge, erinnert sich Parker: "Ich habe mich damals aber wieder aufgerafft und mein Fachabitur absolviert, was auch eine Bedingung des Vereins war, um weiter spielen zu können. Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte. Schaut man sich an, wie viele Talente es nicht in die Bundesliga schaffen, sollte jedem klar sein, dass Schule dazu gehört. Bildung ist cool, und der Verein legt extrem viel Wert darauf, dass die Spieler sie nicht schleifen lassen."
Damit, dass es mehr als Fußball gibt, muss sich der 24-Jährige (25 Einsätze für die U-Nationalmannschaft des DFB), der neben seinen Bundesliga-Einsätzen auf 84 Drittliga- sowie zehn Regionalliga-Einsätze für die 05ER zurückblicken kann, nun zwangsläufig auseinandersetzen. Eine Herausforderung, die er angenommen hat: "Auch, wenn der Sport für mich immer an erster Stelle kam. Es gibt viele coole Dinge zu entdecken, ich tausche mich mit Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen aus, die ganz andere Dinge erlebt haben in ihrem Leben als ich. Die Zeit kann und möchte ich mir jetzt nehmen." Wohin ihn der Weg führt, soll sich so in den kommenden Monaten entscheiden. Auch eine von der Berufsgenossenschaft für Profi-Fußballer nach dem Karriereende angebotene Weiterbildungsmaßnahme ist aktuell in Planung. Der künftige Weg soll schließlich wohl überlegt sein, die Zeit jetzt auch genutzt werden, um als Persönlichkeit zu reifen.
Impressionen aus einer viel zu kurzen Karriere
Rückkehr nicht ausgeschlossen
"Wenn ich irgendwann Verantwortung im Trainerbereich übernehme - das strebe ich auf lange Sicht an - dann darf es nicht nur um den fußballerischen Aspekt gehen. Ich denke, auch meine persönliche Entwicklung ist da ein entscheidender Faktor. Ich bin selbst noch jung. Da möchte ich nichts überstürzen und etwas aus absoluter Überzeugung tun, wenn ich mich bereit fühle. Ich muss sicher sein, den Spielern weiterhelfen zu können auf dem Weg, den ich selbst gegangen bin. Ich habe den Fußball geliebt und möchte das auch anderen vermitteln."
Genauso eben, wie er es einst selbst erfahren durfte bei dem Verein, den er auch künftig weiter regelmäßig im Stadion unterstützen wird. Argumente für eine mögliche, in Aussicht gestellte, Rückkehr des Eigengewächses in der Zukunft haben die 05ER über die Jahre jedenfalls reichlich sammeln können: "Ich glaube, dass Mainz 05 bis heute sehr familiär ist. Die Spieler bekommen Zeit und können sich auf höchstem Niveau in Ruhe entwickeln, sportlich, aber auch menschlich. Es gibt Unterstützung bei privaten Problemen. Ich habe zwar keine anderen Nachwuchsleistungszentren erlebt, aber weiß von anderen Spielern, dass das NLZ am Bruchweg weit oben anzusiedeln ist in Deutschland. Es gibt klare Regeln, die dazu gehören. Befolgt man sie, steht dir nichts im Weg." Parker weiß, wovon er spricht.