U19 21.04.2023 - 18:00 Uhr
Schürrle: "Man spielt kein Finale, man gewinnt es"
Das 05-Eigengewächs im Interview über 2009, 2023, Thomas Tuchel und seine jüngste Rückkehr nach Mainz - "Es kommt nur auf den Kopf an"
Er führte die U19-Meister von 2009 als Kapitän auf den Rasen des Bruchwegstadions, wurde später 05-Profi und 2014 in Brasilien Weltmeister. Vor knapp zwei Jahren hat André Schürrle seine überaus erfolgreiche Karriere, deren Grundstein beim FSV gelegt wurde, beendet. Zwar kann er am Wochenende nicht in der MEWA ARENA vor Ort sein, wofür er gute Gründe nennt, hat die Erfolgsserie des Teams von Benjamin Hoffmann, das am Sonntag (11 Uhr, live auf Sky, YouTube und 05ER.fm, Tickets hier) den BVB zur Wiederauflage der Partie vor 14 Jahren empfängt (Zum Vorbericht), aber natürlich verfolgt.
Im Interview erinnert sich der 32-Jährige an sein erstes Karriere-Highlight, spricht über die Rolle des Kopfs in einem großen Finale und blickt zurück auf seine emotionale Rückkehr nach Mainz Anfang März.
André, welche Erinnerungen verbindest du mit deiner Ausbildung am Bruchweg?
Schürrle: "Ich erinnere mich zuallererst daran, wie familiär alles war. Meine Familie, aber auch die Angehörigen anderer Spieler waren immer mit dabei. Man hatte ein total vertrautes Verhältnis zu den Trainern und allen Mitarbeitern im Verein. Das hat es sehr einfach gemacht, ich bin jeden Tag gerne gekommen und habe mich zu jeder Zeit wohl gefühlt."
Welchen Stellenwert nimmt dieser Titel – du hast viele weitere große Erfolge feiern können – in deiner Karriere ein?
Schürrle: "Jeder Titel ist besonders. Aber dieser Titel 2009 war für mich lange kaum greifbar. Ich wusste, bevor ich nach Mainz kam, gar nicht, dass man mit einer U19 Deutscher Meister werden kann. Der Weg dahin war enorm weit: die lange Saison, die K.o.-Spiele, das Finale. Man muss sehr viel gut machen, um einen solchen Titel zu holen, insofern hat er bis heute einen enormen Stellenwert."
Worin besteht die Herausforderung in den Tagen vor dem Spiel?
Schürrle: "Man spürt eine Form von Druck, aber die Jungs kennen das, weil sie in einem Bundesliga-Verein ausgebildet werden. Da geht es natürlich um Entwicklung, aber immer auch darum, auf den Punkt Leistung zu bringen und Spiele zu gewinnen. Klar ist, dass man auch merkt und im Hinterkopf hat: 'Es kann alles auch ganz schnell vorbei sein.' An dieses Gefühl, dass es um alles geht, kann ich mich gut erinnern – es war das erste Mal."
11.000 Fans haben euch damals im Bruchwegstadion unterstützt, hat dich das beeindruckt?
"Schürrle: "Es war verrückt, auch wenn ich mich heute nicht mehr im Detail daran erinnern kann. Man ist in seinem eigenen Tunnel und kann nicht direkt verstehen, was da gerade passiert. Ich habe versucht, mich in erster Linie auf die Aufgabe auf dem Platz zu konzentrieren."
Worauf kommt es in einem solchen Spiel vor ungewohnt großer Kulisse aus deiner Sicht am meisten an?
Schürrle: "Es kommt nur darauf an, dass man mental da ist. Dass alle Jungs auf dem Platz Fußball spielen können und gut sind, das weiß man. Es geht nur um den Kopf, ruhig und klar zu bleiben. Es soll etwas Besonderes sein, ist aber auch nur ein Fußballspiel. Das darf man nicht vergessen."
Handelnde Personen wie beispielsweise Volker Kersting, der heutige Vereinsvorsitzende Stefan Hofmann oder Co-Trainer Stanko Sremac sind bis heute 05ER: Welche Rolle spielt aus deiner Sicht diese personelle Kontinuität?
Schürrle: "Nur so kann man wirklich etwas aufbauen und den Verein kontinuierlich entwickeln, ein gemeinsames Gefühl schaffen. Wenn handelnde Personen, die an der Spitze stehen, immer wieder wechseln und zu häufig neue Impulse kommen, dann ändert sich ein Klima. Gerade Mainz 05 lebt von diesen Menschen, die den Klub in- und auswendig kennen. Nur so kann man langfristig etwas aufbauen, mit den richtigen Leuten am richtigen Ort. Insofern ist es sehr besonders, Menschen solange Zeit zu geben etwas aufzubauen."
Nelson Weiper hat dich kürzlich als jüngster Bundesliga-Torschütze des FSV abgelöst: Worauf kommt es in dieser frühen Karrierephase an?
Schürrle: "Schritt für Schritt zu denken und zu handeln ist entscheidend. Was ich jetzt gesehen habe, auch wie Bo mit ihm umgeht, ihn nicht verbrennt, sondern gezielt aufbaut, ist es der genau richtige Weg. Er ist an einem guten Ort, sollte bescheiden bleiben und einfach weiter Gas geben. Wir haben in Deutschland sehr wenige solcher Spielertypen, insofern bin ich gespannt auf seinen weiteren Weg. Dass er seit elf Jahren in Mainz spielt, ist auch für die Fans etwas ganz Besonderes. Damit kann man sich identifizieren."
Du hast als Profi auch den BVB kennengelernt: Kannst du etwas über die Nachwuchsarbeit beim Gegner sagen?
Schürrle: "Es gibt dort ein großes Trainingsgelände und gab hier und da Berührungspunkte. Man bekommt viel mit und sieht ein paar Spiele. Der BVB hat fast schon traditionell starke Jugendteams. In meiner Zeit stand gefühlt in jedem Jahr die U17 oder U19 im Finale. Die Arbeit steht auch da für Kontinuität und gute Menschen im Hintergrund, die wissen, was sie tun. Es überrascht mich nicht, dass diese beiden Vereine am Sonntag um den Titel spielen."
Wirst du am Sonntag vor Ort sein können?
Schürrle: "Ich schaffe es leider nicht, meine Tochter hat am Montag Geburtstag, die ganze Familie wird schon am Wochenende da sein."
Dann bleibt also nur der Fernseher?
Schürrle: "Das ist tagsüber nicht ganz einfach, weil es meiner Tochter weniger gefällt, wenn Fußball läuft. Sie schaltet dann so oft aus, bis ich keine Lust mehr habe. (lacht) Die Highlights schaue ich mir aber auf jeden Fall an, wenn die Kinder dann im Bett sind."
Am Tag zuvor ist euer Meistertrainer Thomas Tuchel zu Gast: Was hat ihn schon 2009 ausgezeichnet und macht ihn heute zu einem der wohl besten Trainer weltweit?
Schürrle: "Es sind wahrscheinlich die gleichen Dinge, zudem hat auch er sich weiterentwickelt. Ihn hat schon immer diese Obsession für den Fußball ausgezeichnet, die Begeisterung für taktische Details und einfach die Lust darauf, mit Menschen und einer Gruppe zu arbeiten. Hinzu kommt: Er ist einfach so unglaublich schlau, was den Fußball angeht. Das galt damals und hat ihn über die Jahre dahin geführt, wo er heute steht."
Auch zu Bo Svensson, der Tuchel fünf Jahre lang als Spieler erlebt hat, pflegst du den Kontakt: Was für ein Duell erwartest du zwischen beiden?
Schürrle: "Bayern verfügt über eine enorme Qualität, die sie auf den Platz bekommen müssen. Wenn das gelingt, ist es schwer, dagegen anzukämpfen. Dennoch hat man in den letzten zehn, 15 Jahren immer wieder gesehen, wie unheimlich schwer es in Mainz auch für München sein kann. Im vollen Stadion ist alles möglich. Bayern wird sicher viel Ballbesitz haben und Mainz immer wieder versuchen, Nadelstiche zu setzen."
Du selbst warst zuletzt gegen Hoffenheim zu Gast in der MEWA ARENA: Wie hast du deine Rückkehr erlebt?
Schürrle: "Das war besonders und hat mir sehr viel Spaß gemacht. Mit Stefan Hofmann stehe ich ohnehin regelmäßig in Kontakt, und jetzt hat es einfach mal wieder gepasst. Ich wollte schon lange mal wieder vorbeischauen, und es hat sich definitiv wie ein fußballerisches Zuhause angefühlt, die Menschen und die Fans wieder zu sehen."
Zurück in Mainz
Wie würdest du dein Verhältnis zum Profifußball fast zwei Jahre nach deinem Karriereende beschreiben?
Schürrle: "Das Erlebnis in Mainz hat mir gezeigt, dass da noch etwas in mir ist. Dass es mir Freude bereitet, in einem vertrauten Umfeld Fußball zu schauen. Dennoch bin ich weiter auf dem Weg, zu entdecken, wer ich außerhalb des Sports bin und sein möchte. Hinzu kommt die Zeit, die ich mit meinen beiden Kindern habe und erleben darf, wie sie aufwachsen. Das würde ich aktuell gegen nichts anderes austauschen. Ich möchte schauen, wohin der Weg mich führt, werde keine Türen zuschlagen, aber aktuell auch keine öffnen."