Profis 15.03.2024 - 15:30 Uhr
Demandt: "Voraussetzung dafür, es zu schaffen"
1995/96 war die Ausgangslage für den FSV im Abstiegskampf der zweiten Liga im Winter prekär, bevor das Team von Wolfgang Frank sich infolge eines beeindruckenden Schlussspurts doch noch rettete. Sven Demandt erinnert sich an das Wunder mit einem Team, das niemals aufsteckte.
Die Partie am Samstag in der MEWA ARENA (15.30 Uhr) fühlt sich aus Mainzer Sicht an wie ein Finale, aber egal, wie es nach 90 Minuten ausgeht, es wird nichts Endgültiges sein in diesem Abstiegskampf. Vor 28 Jahren gab es ein Duell gegen den VfL Bochum in Mainz, da war das anders. Der 1. FSV Mainz 05 musste gewinnen, um eine bis dahin nie erlebte Aufholjagd erfolgreich abzuschließen. Im letzten Spiel der Saison, damals noch am Bruchweg, hatte die Zweitliga-Mannschaft von Trainer-Legende Wolfgang Frank die Möglichkeit, mit einem Sieg über den Tabellenführer und schon feststehenden Bundesliga-Aufsteiger aus Bochum endgültig den Klassenverbleib zu sichern. Die Chance, in der Liga zu bleiben für eine Mannschaft die nach der Vorrunde abgeschlagen am Tabellenende gestanden hatte. Der 1:0-Sieg gegen den VfL krönte das große Mainzer Fußballwunder. Das 05-Team war mit nur sechs Punkten in die zweite Saisonhälfte gestartet und schaffte das eigentlich Unmögliche: Die Frank-Elf entwickelte sich zur besten Rückrunden-Mannschaft der Liga, holte 32 Punkte und blieb drin. Eine Leistung, die erst Bo Svensson mit den Mainzern im Jahr 2021 in der Bundesliga wiederholte.
1996 war es das Tor von Marco Weißhaupt in der siebten Minute vor 12.000 Zuschauern, das die Sensation perfekt machte. In der Startelf des FSV stand auch Sven Demandt, der Torjäger, der maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hatte. Demandt, mit seinen 55 Toren in 179 Spielen der Mainzer Zweitliga-Rekord-Torschütze und der fünftbeste Zweitliga-Torjäger aller Zeiten, war nach langer Verletzungsmisere rechtzeitig fit geworden, in den letzten zehn Saisonspielen erzielte der Stürmer mit dem legendären Torinstinkt und dem sehr kurzem Abzug im linken Fuß acht seiner neun Saisontore. Ein Schlüssel für das Gelingen der Mission Klassenerhalt.
Der heute 59-Jährige arbeitet aktuell als Scout bei Holstein Kiel, wo sein alter Kumpel und 05-Mitstreiter Uwe Stöver als Geschäftsführer eine Zweitliga-Spitzenmannschaft auf die Beine gestellt hat. Ein 05ER im Herzen ist der „Kühlschrank“ wie er in Mainz genannt wurde, immer geblieben. „Natürlich ist es am Samstag kein Endspiel wie damals bei uns, aber sie müssen jetzt einfach dreifach punkten. Ich hoffe, dass sie das Ding gegen Bochum ziehen. Entscheidend ist immer noch: Du kannst nur dann hoffen, dass die anderen für dich spielen, wenn du deinen Teil selbst erledigst, sonst geht es sowieso nicht“, sagt er. „Ich denke, das hat sich in Mainz in all den Jahren nicht geändert: Wenn es richtig eng wird, waren schon immer alle eine Einheit, Verein, Stadt, Zuschauer, Trainer, Manager Spieler. Das ist schon mal die Voraussetzung dafür, es zu schaffen.“
Weißhaupt macht das Wunder perfekt
Demandt, einst mit 35 Toren in einer Saison Zweitliga-Torschützenkönig, kann wie die meisten 05-Profis, die seinerzeit am Bruchweg dabei waren, stundenlang erzählen über Abstiegskampf, über Trainer Frank, über diese geniale Rückrunde, über Vorwärtsverteidigung, über das Spiel gegen den Ball, gemeinsames Defensivverhalten, das der Schlüssel dafür war, dass der FSV 1996 die Mannschaft mit den meisten Punkten im deutschen Profi-Fußball wurde. Und darüber, wie es kam, dass Jürgen Klopp im letzten und entscheidenden Spiel gegen die Bochumer nicht mitspielen konnte, Demandt selbst nach knapp einer Stunde verletzt ausscheiden musste.
"Um ganz sicher zu sein, mussten wir gewinnen. Und dadurch, wie es vorher gelaufen ist, waren wir uns ziemlich sicher. Zumal Bochum eigentlich schon aufgestiegen war. Die frühe Führung durch Weißhaupt hat das Gefühl verstärkt. Den Rest haben wir nur noch weg verteidigt“, erzählt er. "Eigentlich ist es eine undenkbare Geschichte. Ich hatte zuvor in Duisburg ein Tor geschossen und mich verletzt nach 20 Minuten.“ Der FSV hatte im Saisonfinale die Aufsteiger Arminia Bielefeld, den MSV sowie Tabellenführer Bochum vor der Brust. Demandt erzielte am vorletzten Spieltag die Führung im Wedaustadion. Thomas Ziemer legte zwei Tore zum 3:0-Sieg nach. Demandt musste verletzt raus, Klopp spielte in Duisburg durch, obwohl er sich das Kreuzband angerissen hatte. „Wolfgang hat dann zu ihm gesagt: 'Du hast ja durchgespielt, dann kannst du das gegen Bochum doch sicher noch einmal tun und dich danach operieren lassen‘. Das war natürlich Blödsinn, denn Kloppo konnte nicht mehr spielen. Ich hatte es an den Adduktoren, konnte eigentlich auch nicht. Ich habe die ganze Woche nicht trainiert und Frank hat nicht einmal gefragt. Ich habe aber auch nichts gesagt, denn ich wollte unbedingt spielen. Er hat mich aufgestellt und ich habe fast eine Stunde durchgehalten. So etwas wäre heute sicher undenkbar“, erzählt der 59-Jährige.
Der Vater des Erfolgs hieß Wolfgang Frank
Franks Einfluss & Demandts Torriecher
Dass diese Erfolgsgeschichte geschrieben wurde, hing damit zusammen, dass Wolfgang Frank auf die Viererkette umstellte, dass die Mannschaft dieses 4-4-2 sofort verinnerlichte und es für viele Jahre praktisch zur Mainzer DNA wurde. "Im Training haben wir ab dem Jahreswechsel 95/96 im Endeffekt nur noch gegen den Ball trainiert. Mit Ball haben wir nur wenig gemacht. Defensiv hatten wir einen klaren Plan, offensiv hatten wir den nicht. Da war es eher individuell oder auf Standards ausgerichtet. Wir wussten, dass wir gegen den Ball brutal gut sind und irgendwie immer ein Tor machen vorne. Und dann gewinnen wir. Das ist etwas, was dir eine große Sicherheit gibt im Spiel. Denn du hast Situationen, die nicht so gut laufen, die du überstehen musst. Wir haben uns in dieser Rückrunde die Geduld erarbeitet, die Ruhe. Ich war endlich fit, und als Stürmer ist es so, dass, wenn du fit bist und Selbstvertrauen hast, Tore die logische Folge sind. Ich wusste, du kriegst eine Chance, die musst du halt machen. Ich war darauf vorbereitet. Wenn die Chance kam, war ich bereit und hochkonzentriert.“
Und wie kriegt man dieselbe Gruppe, die vorher abgeschlagen Letzter war, dahin, diesen Fanatismus gegen den Ball zu entwickeln? "Wir hatten doch nichts mehr zu verlieren. Normalerweise rettest du dich nicht mehr. Es ist ja nicht normal, dass du Letzter bist und wirst dann Erster der Rückrundentabelle. Es war aber so, dass es im Training angefangen hat, dass die Sicherheit kam, weil wir wirklich alle genau wussten, was wir gegen den Ball machen mussten. Dazu kam, dass es diese besondere Konstellation gab, die heute glaube ich nicht mehr so möglich ist. Weil viele Leute dabei waren, die mit Mainz 05 enger verbunden waren, die schon länger dabei waren und sich mit der Sache auch identifiziert haben. Und es hing natürlich damit zusammen, was Wolfgang uns an Sachen beigebracht und uns eine ganz neue Sichtweise auf den Fußball vermittelt hat“, erklärt Demandt.
"Wir wollten außerdem auch lernen und waren wohl schlau genug, das umzusetzen. Es ist ja sicher kein Zufall, dass aus dieser Mannschaft so viele Trainer oder Sportdirektoren geworden sind. Weil wir uns alle mit der Sache extrem intensiv beschäftigt haben. Gut, wir mussten uns auch damit beschäftigen. Das Motto, wenn wir mehr tun als alle anderen, dann haben wir auch Erfolg, haben wir brutal verinnerlicht. Daraus haben wir auch eine gewisse Sicherheit gezogen. Wenn wir das alles machen und jeden zweiten Tag immer noch Laufen ohne Ball, die Laufwege üben, dann haben wir Sicherheit, denn wir müssen nicht mehr groß darüber nachdenken, wo wir hinlaufen. Wir haben versucht, mit der letzten Konsequenz zu verteidigen. Mit der Maßgabe, wenn ich zum Beispiel diese Flanke zulasse, dann brennt es lichterloh, also muss ich diese Drecksflanke irgendwie verhindern. Und das nicht nur in der ersten Minute, sondern auch noch nach 90 plus fünf. Ein Muster, das sicherlich heute genauso gilt wie damals.“