Profis 21.06.2022 - 13:00 Uhr
Svensson: "Das Ziel trägt keine Überschrift"
Vor 15 Jahren wurde der heutige Cheftrainer als 05-Profi präsentiert. Dass er 2022 noch 05ER sein würde, erschien aus damaliger Sicht utopisch, hat aber nicht zuletzt mit Jürgen Klopp, einem Schritt-für-Schritt-Denken & seinem tiefen Verständnis von Mainz-05-Fußball zu tun.
"Bo stellt für uns schon einen Führungsspieler dar. Von seiner Spielweise, von seinem Intellekt her", wird Christian Heidel in der Ausgabe der Mainzer Rhein-Zeitung vom 20. Juni 2007 zitiert. Tags zuvor war der Däne am Bruchweg präsentiert worden, als routinierter Abwehrmann für die soeben in die Zweite Liga abgestiegenen Rheinhessen. Unmittelbar vor dem diesjährigen Saisonauftakt haben wir mit unserem Cheftrainer über damals, heute und die Zukunft gesprochen.
Svensson, der bis zum Karriereende 2014 122 Pflichtspiele im 05-Trikot (davon 90 in der Bundesliga) absolvierte, sollte der 05-Defensive im Rahmen der Mission Wiederaufstieg Stabilität verleihen, musste sich aber lange gedulden: "Ich bin gekommen und war verletzt, war als Stammspieler verpflichtet worden, aber dann drei, vier Monate raus", erinnert er sich heute, hat 15 Jahre später aber dennoch einen großen Teil zur Mainzer Erfolgsgeschichte beigetragen. Im Interview erinnert er sich an die Überzeugungsarbeit Jürgen Klopps, spricht unter anderem über sein Verständnis von Mainz 05 und verrät, ob die Vorfreude auf die Sommervorbereitung als Trainer größer ist als zu seiner aktiven Zeit.
Bo, wie lebhaft ist die Erinnerung an die Tage rund um deine Verpflichtung im Jahr 2007?
Bo: "Das ist lange her (lacht). Ich musste mich damals zwischen Mainz und einem Klub in Dänemark entscheiden, von dem ich auch ein sehr gutes Angebot vorliegen hatte. Das wäre mit zwei kleinen Kindern der einfachere Weg gewesen. Dänemark hätte mehr Sicherheit bedeutet, insofern war es ein enges Rennen. Ich erinnere mich an Bruchteile eines Telefonats mit Kloppo während meines Urlaubs in Dänemark in dem Sommer. Nach diesem Gespräch habe ich tief in mich hineingehört und gewusst, dass ich beweisen will, dass ich Bundesliga spielen kann. Das hat letztendlich den Ausschlag für Mainz 05 gegeben. Für meine Familie und mich war die Entscheidung von damals unter dem Strich genau der richtige Weg."
Was hat Kloppo ausgezeichnet?
Bo: "Man kann sagen, dass alle Spieler gerne unter ihm und für ihn trainiert und gespielt haben, obwohl auch er hart und fordernd war. Das ist eine wichtige Komponente. Man kann aber nicht lernen, wie Kloppo zu sein. Auch er hat 55 Jahre gebraucht, der Mensch zu werden, der er ist. Die Haltung, die Coolness, das lernst du nicht in einem Buch. Das ist Persönlichkeit, und Persönlichkeit kannst du nicht kopieren."
Auf viel Einsatzzeit bist du unter ihm in deiner ersten Saison nicht gekommen…
Bo: "…in den ersten beiden Jahren für Mainz 05 leider nicht. Ich bin gekommen und war verletzt. Im Nachhinein weiß ich, dass meine Achillessehne schon problematisch war, bevor ich hier war. Die Vorbereitung habe ich mitgemacht, aber irgendwann wurde es im Training noch schlimmer. Ich war als Stammspieler verpflichtet worden, aber dann drei, vier Monate raus. Auch nach meiner Rückkehr auf den Platz war die Achillessehne nicht komplett in Ordnung, weshalb ein paar Monate später noch die OP folgte. Leider sind wir am Ende nicht aufgestiegen, und Kloppo ist dann nach Dortmund gegangen. Dass ich heute noch hier sein würde, war damals sicher nicht denk- oder planbar."
Hätte der Spieler Bo Svensson unter dem Trainer Bo Svensson heute eine Chance auf einen Kaderplatz?
Bo: "Ich glaube eher nicht (lacht), denn ich war athletisch sicher nicht der Top-Spieler, sondern habe von Ehrgeiz und Gewinnermentalität gelebt, viel mit Auge gespielt. Das ist immer noch möglich, aber das Spiel ist nicht langsamer geworden. Tempo und Schnelligkeit als Komponenten für Innenverteidiger sind einfach nochmal ein deutlich größeres Thema geworden."
Nach deinem Karriereende hast du hier zunächst die Rolle des Co-Trainers unter Kasper Hjulmand übernommen, warst dann für die U16, U17 und U19 verantwortlich, bevor du anderthalb Jahre beim FC Liefering als Cheftrainer tätig warst. Wie wichtig war es für dich, diesen Weg Schritt für Schritt zu gehen?
Bo: "Sehr wichtig. Vor vier Jahren wäre ich nicht der Lage gewesen, eine Bundesliga-Mannschaft zu trainieren. Und ich bin heute sicherlich auch ein besserer Trainer als vor 18 Monaten. Ich bin ein reflektierter Mensch und werde hoffentlich noch viel lernen. Das ist das Schöne am Leben und auch am Trainerjob. Ich muss in Extremsituationen und unter Druck Entscheidungen treffen, die ich im Nachhinein hinterfrage, weil es nicht immer rationale Entscheidungen sind. Das ist ganz wichtig, um Dinge über sich selbst zu lernen und weiter daran zu arbeiten, ein besserer Trainer zu sein. Insofern war der Weg bis hierhin für mich genau richtig."
Worum wird es in den kommenden Wochen gehen, um das Team bestmöglich auf die neue Saison vorzubereiten?
Bo: "Grundsätzlich geht es um Ergebnisse, aber vor allem auch darum, dass jeder gerne hierhin kommt, gerne zusammen auf dem Platz steht, gerne für diesen Verein spielt. Denn dann spielt man – das ist meine tiefe Überzeugung - am besten. Mein Job ist es, eine Kultur zu schaffen, in der alle besser werden. Und besser wirst du, wenn du Bock auf die Sache hast. Ich verstehe, dass viele Menschen sich eine Antwort auf die Frage nach unseren Zielen wünschen. Ich tue mich aber schwer, das zu liefern, denn das Ziel trägt keine Überschrift. So habe ich es auch früher als Spieler empfunden und mich auf das Hier und Jetzt konzentriert. Es geht immer darum, das Maximale herauszuholen. Das kann aber von vielen Faktoren abhängen: von Verletzungen, von Pech, von besseren Gegnern. Ich kann sagen, dass wir sehr viel Bock auf die neue Saison haben und auf unsere Stärken vertrauen. Jetzt kann es losgehen."
Mainz 05 hat 2016 zuletzt in der Europa League gespielt. Viele Fans träumten auch in der vergangenen Saison von mehr als Platz acht…
Bo: "…ich finde es total ok, hohe Ziele und Träume zu haben. Ich werde sowas aber nicht aussprechen. Und jeder darf uns auch kritisch begegnen. Wichtig ist nur, dass man bei aller Kritik Fan bleibt. Und ein Fan ist für mich jemand, der am Samstag in die Arena kommt und die Mannschaft unterstützt, die er oder sie ausgewählt hat."
Geht es in der nun anstehenden Phase auch darum, neue Reize zu setzen und offen für Neues zu sein?
Bo: "Das ist sicherlich ein Ansatz. Aber was sind neue Reize? Sie können taktischer Natur sein, die Trainingsarbeit oder die allgemeine Zusammenarbeit betreffen. Ich bin aber definitiv jemand, der nicht immer wieder alles kopieren möchte, was vorher da war. Man sollte versuchen, Dinge weiterzuentwickeln. Mit dem klaren Gedanken an das, was gut war, dabei aber gleichzeitig offen für Veränderungen sein mit einem guten Gespür für die Gruppe und das Trainerteam. Die Frage lautet immer: Wie kann ich der beste Trainer für Mainz 05 sein? Mit 'copy paste' funktioniert das langfristig nicht."
Was kann das konkret bedeuten?
Bo: "Wir sind jetzt an einem anderen Punkt als vor 18 Monaten, als es in erster Linie um Stabilität und Kontinuität ging in einer fragilen Situation. Um auf der Höhe zu bleiben, müssen wir variabel und flexibel bleiben. Das ist die Entwicklung des Fußballs und auch eine Möglichkeit, uns in der Liga Vorteile zu erarbeiten. Es gibt aber unterschiedliche Ansätze: Union Berlin spielt beispielsweise seit zwei Jahren konstant 5-3-2 und ist damit erfolgreich. Freiburg hat immer wieder gewechselt, und ist auch auf einem sehr guten Weg. Meine Einschätzung muss immer darauf basieren, ob wir für uns einen Benefit schaffen können. Es darf nie nur darum gehen, dass ich den Jungs als Mittel zum Zweck Veränderungen vorschreibe. Es muss zu den Spielern passen und darf nicht zu Verunsicherung führen. Wir wollen besser werden und den für uns besten Weg finden."
Das Vorhaben, zwar nie eine Ergebnis- aber immer eine Leistungsgarantie anbieten zu können, ist in den vergangenen anderthalb Jahren, vor allem in den Heimspielen, über weite Strecken voll aufgegangen. Wie kann man dieses Selbstverständnis langfristig aufrecht erhalten?
Bo: "Ich lebe vor, wovon ich überzeugt bin. Wir müssen für die Fans, aber auch für die Teamkollegen liefern, denn sie versuchen alle genau das Gleiche. Es ist wie bei mir an der Seitenlinie, auch ich muss liefern und versuchen, nach meinem besten Wissen zu agieren. Ansonsten gehen wir auf die Arbeit, bekommen unser Gehalt und gehen nach Hause, verbringen dabei am Ende aber viele Stunden damit, Durchschnitt abzuliefern. Das finde ich nicht so geil. Besser ist doch, wenn man gern auf die Arbeit geht, Prioritäten und klare Ziele hat. Es ist wie ich ticke, so wie ich Mainz 05 verstehe, aber auch grundsätzlich das Fußballgeschäft, das Arbeitsleben und das Leben generell. Das klingt vielleicht sehr philosophisch, aber es ist geiler, für etwas zu stehen. Wenn ich das ausgesprochen habe, dann muss ich es natürlich bedingungslos vorleben. Es gibt viele begnadete Rhetoriker, die Frage ist aber, ob die Worte nachhaltig oder nur Sprüche sind. Es ist am Ende nicht viel Wert, wenn Substanz oder Authentizität fehlen. Wenn unsere Arena nur dort steht, wir sie aber nicht mit Leben füllen, dann ist es nur Beton. Den Wert schaffen wir mit unserem Tun und Handeln, sonst ist es nur ein Spiel elf gegen elf. Unsere Überzeugung muss sich im Alltag widerspiegeln. Ich habe in sieben Jahren als Spieler Trainer gehabt, die sehr klar formuliert haben, worauf es hier ankommt. Davon bin ich beeinflusst. Ich habe eine Vorstellung davon, wie eine Mainz-05-Mannschaft spielen sollte, und sie entspricht eben auch meinen ganz persönlichen Vorstellungen von Fußball."
Eine letzte Frage vor dem Trainingsauftakt am Dienstagabend: Ist deine Vorfreude auf diese schweißtreibenden Wochen heute größer als früher?
Bo: "Keine Frage, ich freue mich heute definitiv mehr als damals - es ist eine sehr spannende Zeit! Als Spieler willst du durchkommen und machst das halt mit. Als Trainer kannst du dich ausprobieren, unterschiedliche Ansätze testen. Es geht darum, eine Basis für die gesamte Saison zu schaffen – das ist schon geil."