Profis 31.08.2022 - 14:00 Uhr
Unverhoffter Doppelpack & kuriose Begleiterscheinungen
Historie: Sami Allagui im Gespräch über einen denkwürdigen Sieg bei der Borussia, seine Zeit in Mainz sowie Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Bo Svensson & Pep Guardiola
Insgesamt 16 Bundesliga-Auswärtsspiele hat der 1. FSV Mainz 05 bis heute bei Borussia Mönchengladbach absolviert. Achtmal haben die Mainzer dort verloren, fünf Unentschieden gab es, dazu drei Auswärtssiege. Die letzten drei Punkte in Gladbach holte Bo Svensson mit seinem Team im Februar 2021 im Rahmen der sensationellen Aufholjagd zum Klassenverbleib. Davor gewannen die Rheinhessen letztmals am 20. November 2010 im Borussia-Park. Mit 3:2 in einer spektakulären Partie voller Kuriositäten.
Einer der Hauptdarsteller dabei war Sami Allagui. Der Stürmer, in der 75. Minute eingewechselt, erzielte eine Minute später den 2:2-Ausgleich und setzte in der 88. Minute den Schlusspunkt mit einem in der Entstehung und Ausführung unvergessenen Kopfballtor, das sich Allagui sogar selbst vorgelegt hatte.
Tuchels Plan fruchtet
Wie viele Stürmer kann auch der heute 36-Jährige seine Treffer in der Bundesliga noch detailliert beschreiben. "Ich erinnere mich sehr gerne daran", sagt Allagui heute. "Ich wurde eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt. Wir lagen 1:2 zurück. Thomas Tuchel hat mir den genauen Auftrag mitgegeben, wie man das von ihm kannte: 'Hör zu, ich möchte, dass du immer zwischen Innenverteidiger und rechtem Verteidiger in den Raum reinläufst.' Das habe ich dann zweimal gemacht. Zuerst kam ein super Ball von Christian Fuchs - eine Flanke von links. Mit meinem ersten Kontakt habe ich den in die lange Ecke gehauen. Genau von da, wo Thomas es prophezeit hatte. Danach war es wieder Fuchs, der flankte. Ich sprinte aus der eigenen Hälfte nach vorne auch wieder zwischen Außen- und Innenverteidiger. Und der haut ihn mir direkt dahin. Ich nehme ihn gut an, der Torwart kommt raus, ich lupfe den Ball über ihn drüber und weiß noch, dass ich Schiss gehabt habe, weil da noch zwei Verteidiger waren, die mir den Ball hätten abnehmen können. Deshalb bin ich einfach früher hochgesprungen als die beiden und nicke ihn ein. Dann war das Spiel fertig."
Der "Kicker" beschrieb die entscheidenden Szenen so: "Gladbach verlor bei einem Konterversuch früh den Ball, Fuchs flankte an den zweiten Pfosten, wo sich Schachten böse verschätzte. Und so konnte Allagui problemlos einschieben. Gladbach taumelte - und fiel tatsächlich noch: Den langen Ball nahm Allagui zwischen Daems und Schachten schön mit, überlupfte Heimeroth und köpfte ein zum Siegtreffer."
"Ich war eigentlich gar nicht eingeplant, weil ich mich zwei Wochen vorher in Hoffenheim verletzt hatte", verrät der Stürmer rückblickend. "Ich habe dann aber doch beim Abschlusstraining mitgemacht, und Thomas hat mich direkt eingepackt", sagt der mittlerweile 36-jährige Ex-Profi. "Der Trainer meinte, so, wie ich die Abschlüsse gemacht habe, könne er mich gebrauchen." Und so war es auch.
Der 05-Trainer musste wegen einiger Verletzungen etliche Wechsel vornehmen. Unter anderem fehlte Bo Svensson. Der Innenverteidiger hatte sich eine Kapselverletzung im linken Knie zugezogen. Malik Fathi gab sein Saisondebüt als Linksverteidiger, musste aber schon frühzeitig mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Es kam noch schlimmer. Torhüter Christian Wetklo knickte um und musste raus. Martin Pieckenhagen, vor der Saison als 38 Jahre alter Nothelfer verpflichtet, kam rein und absolvierte sein erstes und einziges Bundesligaspiel für Mainz 05. Fünf Jahre nach seinem letzten Auftritt. "Ich weiß noch, wie Wetti raus ist und Piecke gefühlt eine Viertelstunde gebraucht hat, um sich fertig zu machen", erzählt Allagui. "Ich habe noch zu ihm gesagt: 'Komm, Piecke, gib Gas, die brauchen dich!' Er antwortete: 'Ohne mich geht das Spiel sowieso nicht weiter, dann kann ich mir auch Zeit lassen.' Legendär."
Mainz? "Jeder Tag damals war einfach etwas Besonderes"
Die Stunde des Stürmers kam, als sich auch noch Marcel Risse verletzte. Allagui kam rein und eine Minute später begann er damit, die turbulente Partie in die richtige Richtung zu drehen.
Es war einer von 18 Siegen in dieser genialen Saison 2010/11, in der die 05ER den Bundesliga-Startrekord eingestellt hatten. "Es war die Saison, in der wir die ersten sieben Spiele gewonnen hatten und Tabellenführer waren. Am Ende war es dann die Europa-League-Quali", so der Torjäger, der in 66 Bundesligaspielen für den FSV 16 Treffer erzielt hat, für Hertha BSC in 42 Bundesligaauftritten zehn Tore machte und der in der Zweiten Liga eine Bilanz von 44 Treffern in 159 Spielen aufweist.
Und was war für ihn das Besondere an seiner Zeit in Mainz und vor allem in dieser großartigen Vorrunde 2010? "Ich will es mal so beschreiben", sagt er. "Jeder Tag damals war einfach etwas Besonderes. Es war eine Mega-Mannschaft von den Charakteren her. Wir hatten viel Spaß auf dem Platz und außerhalb. Wir hatten mit Thomas einen Trainer, der uns sehr gefordert hat, der uns entwickelt hat. Die Chemie hat einfach gepasst. Zwischen Jung und Alt gab es keinen Unterschied. Wir waren ein eingeschworener Haufen. Man kann auch sagen, dass wir Spaß an der Arbeit hatten. Ich glaube, es ist heute in Mainz wieder genauso. Man kommt gerne hin, verbringt den ganzen Tag am Bruchweg und merkt gar nicht, wie die Zeit vorbeigeht. Für mich persönlich war Tuchel der beste Trainer, den ich hatte. Ich hatte nie Probleme mit ihm. Wenn er mich mal angezickt hat, dann hatte er recht. So muss man es dann auch annehmen."
Und darin sieht Allagui auch eine parallele zu Bo Svensson, seinem ehemaligen Teamkollegen. "Bo ist geprägt von Thomas. Ich glaube nicht, dass er einen besseren Trainer in seiner Karriere hatte. Das merkt man an seinem Spiel und an seiner Art. Und er hat auch diese ganze Energie, die er unter Tuchel sowie in dem einen Jahr unter Jürgen klopp erlebt hat, wieder zurück in den Verein gebracht. So, wie Mainz tickt, wie Mainz 05 Fußball spielen will und wie Mainz 05 lebt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Pep Guardiola, auch wenn er einer der besten Trainer der Welt ist, in Mainz so viel Erfolg haben würde, wie unsere Jungs - wie Thomas, Kloppo und Bo. Denn die sind Mainz 05 und leben es vor.
Schnupperkurs bei der Hertha
Sami Allagui lebt seit seinem Weggang aus Mainz in Berlin, hat geheiratet, zwei Kinder und fühlt sich rundherum wohl in der Hauptstadt. Im Moment sei er bei Hertha BSC und durchlaufe alle Abteilungen, erzählt er. "Ich habe ja erst vor anderthalb Jahren die Fußballschuhe ausgezogen und wollte nicht direkt irgendwo hinein hüpfen. Ich wollte den Rundlauf machen, um zu wissen, wie so ein Verein überhaupt funktioniert, um dann sagen zu können: Ich möchte da oder da rein. Ich war auch ein paar Monate beim Trainer- Team der U23 und habe gemerkt, dass ich nicht Trainer werden will. Ich sammle alle Eindrücke und dann werden wir sehen was die Zeit bringt."
Die Kontakte nach Mainz sind nie abgebrochen. "Ich bin immer gerne da, schreibe auch noch mit etlichen", erzählt er. "Letztens habe ich mit Kuhni telefoniert. Wenn ich da bin, ist es schön, tagsüber mal vorbeizugehen und einen Kaffee zu trinken, die ganzen Erinnerungen hochkommen zu lassen."
Den Mainzern traut Allagui am Sonntag in Gladbach ähnliches zu wie damals beim 3:2-Auswärtserfolg des 05-Teams 2010. "Klar, die Gladbacher haben Aufwind durch den Punkt in München, aber nach Sonne kommt manchmal halt Regen. Wie ich Bo kenne, hat er einen Plan, wie er den Jungs das diese Woche beibringt. Wenn der Plan aufgeht, traue ich ihnen alles zu. Viele liebe Grüße nach Mainz von Sami."