Fußball Frauen 28.03.2025 - 16:25 Uhr
"Wir wissen jetzt, was uns ausmacht”
Vor dem Heimspiel gegen den 1. FFC Montabaur spricht 05-Kapitänin Heidrun Sigurdardottir über den aktuellen sportlichen Lauf, den Weg zu Mainz 05 und ihr Leben als angehende Volljuristin

16 von 23 Partien der Regionalliga Südwest sind gespielt, 42 Punkte hat sich der FSV bisher erkämpft. Nun könnte man sagen, dass die Saison so langsam auf die Zielgerade einbiegt. Doch in den kommenden Spielen sind noch satte 21 Punkte zu vergeben und jeder einzelne davon kann im Endeffekt über Aufstieg oder Ligaverbleib entscheiden. So marschieren die Mainzerinnen zwar von Sieg zu Sieg, haben mit dem 1. FC Saarbrücken aber einen direkten Verfolger, der ihnen mit bis dato 39 Punkten dicht auf den Fersen bleibt. Nicht zuletzt deswegen ist auch an diesem Sonntag im Heimspiel gegen den 1. FFC Montabaur ein Sieg so etwas wie Pflicht. Anstoß gegen den Tabellensechsten ist um 16 Uhr (Kunstrasen 1, WOLFGANG FRANK CAMPUS).
“Es geht um das Vertrauen in uns”
Die Mannschaft von Trainer Frank Rath ist eher mäßig in die Rückrunde gestartet, musste sich gegen die Abstiegskandidaten der SG 99 Andernach II (1:1) und des VfR Wormatia Worms (3:2) mit knappen Ergebnissen zufriedengeben. Dabei kommt vor allem mit Torjägerin Marie Fischer eine pfeilschnelle Angreiferin an den Bruchweg, die in dieser Saison bereits 15-mal genetzt hat. Doch dass die Rheinhessinnen über eine stabile Defensive verfügen, beweisen nicht nur die auffallend wenig Gegentreffer in der aktuellen Saison (lediglich 4!), sondern auch der souveräne Zu-Null-Erfolg im Hinspiel gegen die Westerwälderinnen. So ist die Devise für Sonntag klar: “Wir gehen Woche für Woche mit dem Ziel ins Spiel, drei Punkte zu gewinnen. Und das ist leichter gesagt als getan, denn spätestens nach der Hinrunde wissen die Gegnerinnen, auf was sie sich einstellen müssen”, verrät Heidrun Sigurdardottir. “Trotzdem können wir jedes Spiel mit einem gewissen Selbstbewusstsein angehen, ohne überheblich zu sein oder die anderen zu unterschätzen. Es geht um das Vertrauen in uns, dass wir mit der richtigen Einstellung und der notwendigen Disziplin jeden Gegner schlagen können. Wenn wir das an den Tag legen, schaffen wir am Ende auch das ganz große Ziel. Davon bin ich überzeugt.” So blickt die Isländerin optimistisch auf die verbleibenden Aufgaben und die Mission Aufstieg: “Wir wissen ganz genau, worauf wir hinarbeiten und jeder Einzelne zieht da voll mit. Unabhängig der Leistung ist aber vor allem die Stimmung einfach gut. Wir haben Spaß im Training, auch das Trainerteam ist gut drauf und das Teamgefühl stimmt. Die Unterstützung an den Wochenenden ist überragend, wenn die Fans ob zuhause oder auswärts 90 Minuten lang singen. Man könnte sagen, dass momentan einfach alles passt.” Nach zwei Jahren wertvollen Anlaufs, in denen das Team neben dem Sportlichen auch seine Position als Teil von Mainz 05 gefunden hat: “Nachdem wir ein bisschen gebraucht haben, haben wir unsere Philosophie gefunden und verinnerlicht. Wir wissen jetzt, welchen Fußball wir spielen wollen und was uns ausmacht und können das auf den Platz bringen.”
Zurück auf dem Platz
Personell können die Mainzerinnen weiter aufatmen. Neben den bekannten Rückkehrerinnen der letzten Wochen absolvierte Flügelflitzerin Chiara Bouziane nach ihrer Muskelverletzung Teile des Mannschaftstrainings. So wird 05-Cheftrainer Takashi Yamashita mit etwas Geduld zeitnah eine noch größere Auswahl an Optionen haben als ohnehin schon. Auch Sigurdardottir kämpfte sich erst in den vergangenen Wochen nach einer längeren Leidenszeit eindrucksvoll zurück in den Kader. “Die letzten beiden Spiele waren für mich persönlich so ein kleines Highlight, gerade nach den letzten zwei Jahren, in denen mich ständig mehrmonatige Verletzungen ausgebremst haben. Es tut einfach gut, jetzt wieder mehrere Spiele über die gesamte Spielzeit absolviert zu haben. Ich fühle mich fit, werde mit jedem Einsatz selbstbewusster und bin froh, wenn ich der Mannschaft helfen kann.” So erzielte sie vergangenen Sonntag auch ihr erstes Saisontor. “Das ist dann natürlich auch ein kleiner Push für mich persönlich. Hoffentlich geht es genauso weiter.” Darüber hinaus übernimmt die 31-Jährige als Führungsspielerin eine wichtige Stellung im Team und ist des Öfteren die Stimme der Mannschaft im Austausch mit dem Funktionsteam. “Dadurch, dass ich so lange verletzt war, war ich vielleicht eher Abseits des Platzes und im Hintergrund aktiv. Jetzt, wo ich wieder voll dabei bin, merke ich, dass mir die Führungsrolle auf dem Platz auch einfach Spaß macht. Man hat automatisch mehr Verantwortung, die Jüngeren kommen öfter zu einem und ich kann sie mit meiner Erfahrung unterstützen. Es ist schön, so wahrgenommen zu werden.”
Bewegte Fußballkarriere
Seit 2009 spielt die gebürtige Isländerin in Deutschland, im Herbst 2008 wanderte sie gemeinsam mit ihrer Familie nach Hessen aus. “Bis dahin habe ich in meinem Heimatverein UMF Afturelding in der Jugend gespielt. Es war bei uns tatsächlich normal, dass Mädels Fußball gespielt haben. An einem Punkt haben so gut wie alle in meiner Klasse im Verein gespielt.” Auf diesem Weg fand auch Sigurdardottir zum Fußball, nachdem sie auch andere Sportarten wie Leichtathletik ausprobiert hatte: “Eine Schulkameradin hat mich mal mit zum Training genommen, nachdem ich mit ihr immer auf dem Pausenhof gekickt habe. Da habe ich mich dann sehr schnell in den Sport verliebt.” Sie schnappte sich kurzerhand ihre beiden Schwestern und zu dritt meldeten sie sich im Verein an. Von da an spielten die Drillinge noch bis 2012 zusammen, zuletzt in der dritten Mannschaft des 1. FFC Frankfurt. Nach kurzer Zeit wurde Heidi jedoch hochgezogen und kickte insgesamt drei Jahre in der zweiten Liga. Über Abstecher in Madrid, Afturelding, erneut Frankfurt und Rüsselsheim, wo die Schwestern sich für kurze Zeit wiedervereinten, landete sie 2019 beim TSV Schott Mainz. Als dort 2022 die Kooperation mit dem FSV verkündet wurde, wurde die Mittelfeldspielerin kurzerhand zu deren Gesicht. Rückblickend eine aufregende Zeit: “Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich gefragt wurde, ob ich spontan bei der Pressekonferenz dabei sein möchte, in der die Kooperation verkündet wurde. Ich wusste damals schon, dass das eine große Sache ist. Aber dass es so große Wellen schlägt, hätte ich nicht gedacht.” Es folgten Auftritte in Fernsehsendungen, Podcasts und Zeitungsinterviews. “Ich musste da aus meiner Komfortzone herauskommen und bin an dieser Zeit sehr gewachsen. Wenn ich jetzt daran denke, bin ich stolz darauf, dass ich das alles so angenommen und gemeistert habe.” Denn zeitgleich absolvierte die Studentin ihren Schwerpunkt im Jurastudium, arbeitete nebenbei bei einer Versicherung in Frankfurt.

Tagsüber Diplomjuristin, am Abend Leistungssportlerin
Spricht man die 05-Spielerin auf ihren Alltag an, fragt man sich, ob ihr Tag ebenfalls nur 24 Stunden hat. Auf dem Weg zum zweiten Staatsexamen absolvierte die Diplomjuristin in den letzten 18 Monaten ihre Pflichtstationen im Referendariat. Dabei ging es über ein Zivilgericht, ein Strafgericht und eine internationale Kanzlei in Frankfurt drei Monate zur Europäischen Kommission nach Brüssel. Für sie neben dem Sport eine mittlerweile gewohnte Belastung: “Ich mache das Ganze ja schon seit einigen Jahren und kann es mir nicht anders vorstellen.” Nun folgt im Sommer die Examensprüfung, auf die sich Sigurdardottir zurzeit vorbereitet. Schon mit neun Jahren reifte bei ihr der Wunsch heran, eines Tages Anwältin zu werden – inspiriert durch die von Reese Whiterspoon gespielte Jurastudentin im Film “Legally blonde”. “Damals war es der typisch naive Gerechtigkeitsgedanke und die Vorstellung, sich für andere einsetzen zu können, der mich angespornt hat. Mit den Jahren verschieben sich die Gründe für ein Jurastudium natürlich ein wenig, aber auch privat diskutiere ich gerne und gebe im Freundeskreis die Streitschlichterin.”
So büffelt die Anwältin in spe tagsüber für ihre beruflichen Ziele, macht gegen den Stress Yoga oder geht mit Freunden spazieren. Gegen Abend schaltet sie dann gedanklich um auf Training. Eine willkommene Abwechslung zur intellektuellen Belastung: “Ich freue mich dann darauf, an die frische Luft zu kommen. Es gibt nichts Schöneres, als den Tag auf dem Fußballplatz ausklingen zu lassen.” Auch dabei gibt Sigurdardottir immer Vollgas und bewegt sich gerne im Wettkampf: “Ich mag den Leistungsgedanken und bin eine schlechte Verliererin. Wenn im Training ein Abschlussspiel nicht so gut läuft, wissen die Mädels schon, dass ich schlecht gelaunt bin. Aber ich brauche das einfach. Fußball gibt mir so viel und ist mein Ausgleich zum Alltag.” Gegen 22 Uhr ist sie dann wieder zuhause, bereitet sich auf den nächsten Tag vor. “Das muss man schon wollen. Es braucht auf jeden Fall viel Disziplin und Organisation. Und man muss bereit sein, auf andere Dinge zu verzichten. Aber meine Familie und Freunde kennen mich und wissen, dass irgendwann andere Zeiten kommen.”

"Für die kommenden Generationen würde ich mir wünschen, dass sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient haben"
Den Fußball als Leidenschaft und die Juristerei als berufliche Zukunft – Sigurdardottir macht beides mit Herz und möchte keins von beiden missen. Sie ist froh, vorgesorgt zu haben: “Das ist vielleicht ein Vorteil gegenüber Vollprofis. Ich muss mir keine Sorgen machen über die Zeit nach dem Fußball, denn ich weiß ganz genau, in welche Richtung ich gehen möchte und habe mir dafür schon jetzt Einiges aufgebaut.” Trotzdem ist ihr bewusst, dass die Doppelbelastung auch ein Grund für ihre Verletzungsanfälligkeit sein könnte. “Natürlich wäre es schön, wenn Spielerinnen auf diesem Niveau wie die Männer auch vom Fußball leben könnten, wenn sie möchten. Dabei müssen wir gar nicht reich werden.” Daher wünscht sie sich gerade für ihre jungen Spielerinnen noch mehr Anerkennung für ihre sportliche Leistungen und hofft, dass sich der Frauenfußball auch in Mainz einen noch höheren Stellenwert erkämpfen kann. Dass es möglich sei, sehe man an Spielen wie in Hamburg am vergangenen Wochenende, wo im DFB-Pokalhalbfinale gegen den SV Werder Bremen 57.000 Zuschauende ins Volksparkstadion gekommen sind. “Als ich das gesehen habe, habe ich Gänsehaut bekommen. Ich hoffe, dass so etwas auch mal in Mainz möglich ist. Für die kommenden Generationen würde ich mir wünschen, dass sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient haben.” Dass das in ihrer aktiven Zeit noch passiert, glaubt Sigurdardottir nicht. Dennoch ist sie schon jetzt ein Teil auf dem Weg dahin und trägt mit ihrem aufopfernden und inspirierenden Einsatz dazu bei, den dafür so wichtigen Aufstieg in die zweite Liga zu meistern. Nächster Halt dabei: Das Heimspiel gegen den 1. FFC Montabaur an diesem Sonntag.