Profis 28.05.2023 - 16:30 Uhr
"Wird bei uns sehr stark in Erinnerung bleiben"
05ER bringen in denkwürdigem Saisonfinale eine Energieleistung auf den Platz und verabschieden sich mit zwei neuen Rekordhaltern und einem guten Gefühl in den Urlaub
Als Schiedsrichter Marco Fritz dieses denkwürdige Bundesligafinale abpfiff, verfiel der mit über 81.000 Zuschauern gefüllte Signal Iduna Park in einen regelrechten Schockzustand. Das, was sich in der Ruhr-Metropole absolut niemand hatte vorstellen mögen, war tatsächlich eingetreten. Borussia Dortmund kam gegen eine stark aufspielende Mannschaft des 1. FSV Mainz 05 nicht über ein 2:2 hinaus und verspielte damit am letzten Spieltag der Saison als Tabellenführer noch den Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Der BVB hätte einen Sieg gebraucht, um dem FC Bayern München, der zum Abschluss beim 1. FC Köln gewann, den Titel zu entreißen, doch mehr als Niklas Süles abgefälschter Treffer zum 2:2-Ausgleich gelang den Gastgebern nicht. Zu wenig, um die Meisterschale überreicht zu bekommen.
In der gespenstischen Stimmung der allgemeinen Fassungslosigkeit zeigten die Gäste Größe. So, wie sie es in diesem ganz speziellen Duell zum Abschluss dieser Bundesligarunde getan hatten. Die 05ER verzichteten inmitten der weinenden oder mit leeren Blicken zu Boden gesunkenen Dortmunder auf jedwede Jubelgesten. Anton Stach tröstete den in sich zusammengesunken auf dem Rasen kauernden Süle, Bo Svensson umarmte seinen deprimierten Kollegen Edin Terzic. Die Spieler versammelten sich vor dem Block der rund 8.000 mitgereisten 05-Fans, die ihr Team für eine bemerkenswerte Vorstellung feierten und dafür, dass die Profis des FSV alle Zweifel ausgeräumt hatten, sie könnten nach den vier Niederlagen in Folge im spannenden Titelkampf kein fairerer und würdiger Gegner mehr sein. Doch Svensson und seine Spieler hätten ihren Klub kaum besser vertreten können. In einer Begegnung, in der alle Dortmunder von Beginn an komplett darauf eingestellt waren, der Beginn der Meisterfeier könne lediglich eine Frage der Uhrzeit sein, präsentierte sich ein 05-Team, das den Eindruck erweckte, als hätte es sich alle Kraft für dieses Finale aufgehoben. Oder als seien durch die abgehakte Europapokalteilnahme die zuletzt so blockierten Köpfe wieder frei, die schweren Beine plötzlich wieder leicht geworden. Jedenfalls verabschiedeten sich die 05ER mit einer kaum noch für möglich gehaltenen Energieleistung und zwei sehr schönen Treffern würdig und ehrenhaft aus dieser Saison.
"Nach schwierigen Wochen nochmal unter solchen Bedingungen so eine Leistung zu bringen, ist schon beeindruckend. Ich wusste auch nicht, ob wir das so hinbekommen, aber so etwas wie heute, erlebst du nicht so oft. Du kannst 150-mal im Spiel auf die Uhr gucken und hoffen, dass es möglichst bald vorbei ist. Oder du kannst es annehmen, einfach genießen und deine Qualitäten auf den Platz bringen. Das haben die Jungs versucht zu machen“, sagte Svensson. "Ich fand, dass wir uns sehr an den taktischen Plan gehalten haben. Man hat gesehen, dass wir Großchancen kreiert, sie offensiv richtig vor Probleme gestellt und sehr diszipliniert gespielt haben“, so der Mainzer Cheftrainer.
Überragender Finn Dahmen
Die Gäste gingen mit ihrer ersten Möglichkeit in Führung und versetzten dem Nervenkostüm des BVB den ersten heftigen Schlag. Eine Ecke von Edimilson Fernandes auf den kurzen Pfosten köpfte Andreas Hanche-Olsen relativ unbedrängt zum 1:0 ein und erzielte sein erstes Bundesligator. Wenig später war es Finn Dahmen, der in seinem letzten Spiel für den FSV eine überragende Leistung zeigte, der wahrscheinlich das Dortmunder Scheitern einleitete. Denn der scheidende 05-Keeper parierte einen von Sébastien Haller getretenen Foulelfmeter. "Vor dem Spiel beschäftigt man sich mit dem möglichen Schützen. Mein Ziel war es, Haller in meine linke Ecke zu locken. Ich habe einen Schritt nach rechts gemacht und hatte das Glück, dass er dahin geschossen hat, wohin ich gesprungen bin“, erklärte der Torhüter nachher.
Kurz nach dieser Aktion schlug Karim Onisiwo zu und stieg damit zum Bundesliga-Rekordtorschützen der 05ER auf: Der Österreicher erwischte die Maßflanke von Jae-sung Lee mit der Stirn. An den perfekten Kopfball aus acht Metern Entfernung kam Gregor Kobel noch mit einer Hand ran, konnte den Ball aber nur noch seitlich über die Torlinie lenken. Die 05ER führten 2:0. In Köln lagen die Bayern mit 1:0 vorne. Die Gesamtkonstellation zeigte Wirkung, denn beim BVB lief für längere Zeit nicht mehr viel zusammen. "Mainz war super effektiv in der der ersten Halbzeit“, sagte Mats Hummels. "Die zwei Gegentore und der verschossene Elfmeter haben uns beeindruckt. Wenn wir das 1:1 machen, läuft das Spiel wahrscheinlich anders, aber das ist hypothetisch.“ Tatsächlich hätte es für die Borussia auch noch schlimmer kommen können, denn die Mainzer hatten vor und nach der Pause noch genügend Großchancen, um zu erhöhen.
Fast 130 Kilometer gelaufen
"In der zweiten Hälfte haben wir ein bisschen was zugelassen, aber auch selbst viele klare Chancen gehabt, das dritte und vierte Tor zu schießen. Auch in Überzahl, wo wir es nicht gut ausspielen. Dass wir da kein Tor machen und das Spiel am Ende nicht gewonnen haben, ist schade für uns. Aber meine Mannschaft hat eine überragende Mentalität und eine sehr starke Leistung auf den Platz gebracht. Ich bin sehr zufrieden damit“, erklärte Svensson. "Natürlich hätte ich gerne das Spiel gewonnen, aber das ist Nebensache, wenn ich sehe, dass meine Jungs fast 130 Kilometer gelaufen sind, sich total verausgabt und teilweise auch guten Fußball gespielt haben. Natürlich haben wir sehr tief verteidigt, aber auch immer wieder gut umgeschaltet, solange die Kräfte da waren. Wir schießen mit unserer ersten Chance das Tor, Dortmund verschießt den Elfmeter. Es ist auch viel gegen sie gelaufen. Das alles hat dazu geführt, dass der Berg plötzlich viel höher wurde und sie das Gefühl bekamen, dass das sogar schiefgehen kann. Das ist sehr schwer wegzustecken.“
Der 05-Coach zeigte auch Mitgefühl für den Gegner. "Natürlich habe ich Mitleid mit dem BVB. Ich muss aber Mainz 05 vertreten. Ich kann mich nur ein stückweit da hineinversetzen, aber es muss brutal sein, wie sich die Dortmunder jetzt fühlen müssen.“ Ähnlich drückte es Dahmen aus. "Es tut mir natürlich sehr leid. Ich kenne viele Jungs von Borussia Dortmund von der U21, es ist sehr schade für sie, aber wir wollten jetzt einfach für uns einen ordentlichen Abschluss der Saison schaffen, denn mit fünf Niederlagen in die Sommerpause zu gehen, wäre bitter gewesen. Ich bin stolz auf die Mannschaft, die eine sehr gute Leistung gebracht hat. Es wäre schade gewesen, wenn wir so auseinandergegangen wären, wie zuletzt. Wir haben uns die Tage nochmal darauf eingeschworen.“
Stefan Bell sprach von einem "in vielerlei Hinsicht besonderen Spiel. Was unsere Leistung betrifft, was die Anzahl an Großchancen betrifft und auch, was die Tragweite in der Tabelle angeht. Ich fand, dass wir von Anfang an gut drin waren. Der gehaltene Elfmeter war ein Knackpunkt. Wir hatten eine gute Mischung aus tief stehen, Balleroberungen und einem hohen Pressing. Das war der Schlüssel, denn wenn du 80 oder 90 Minuten nur am eigenen 16er stehst, kann immer etwas passieren, wie man am Ende gesehen hat. Wir wollten uns aus einer unter dem Strich guten Saison richtig gut verabschieden, wussten, dass bis zu 8.000 Mainzer kommen und das Spiel auf einer großen Bühne stattfindet. Das muss als Ansporn reichen, nochmal ans Limit zu gehen."
Svensson sagte, er sei sehr froh über Dahmen und dass er nochmal so eine Leistung rausgehauen habe. "Wir werden ihn vermissen. Dieses Spiel wird bei uns sehr stark in Erinnerung bleiben. Wegen Finn, wegen Aarón in seinem letzten Spiel und Bello, der Rekordspieler für Mainz geworden ist sowie Karim Onisiwo als Rekordtorschützen. Ich habe den Spielern gesagt, sie sollen versuchen, das meiste aus sich herauszuholen. Das haben sie auch getan. Jetzt brauchen wir alle Urlaub“, so der 05-Trainer. "Die Mannschaft hat es sehr gut gemacht und damit einen guten letzten Eindruck in der Saison hinterlassen.“