Profis 27.01.2022 - 10:00 Uhr
Bell: "Nie vergessen, wo wir vor einem Jahr waren"
Im Interview spricht der dienstälteste 05-Verteidiger über das letzte Spiel in Fürth, Gemeinsamkeiten zwischen ihm und FSV-Cheftrainer Bo Svensson und hohe Erwartungen rund um den Verein
Im jüngsten Auswärtsspiel bei der SpVgg Greuther Fürth avancierte 05-Innenverteidiger Stefan Bell mit seinem Eigentor zum Unglücksraben und musste nach dem Pokal-Aus in Bochum mit seinem Team die zweite Niederlage in Folge einstecken. "Ein gebrauchtes Spiel", wie der 30-Jährige einige Tage später im Interview verrät und aktuell eine Phase ausmacht, in der man es nicht schaffe, spielerisch jede Woche zu glänzen.
Gleichzeitig erinnert der dienstälteste 05ER im Interview daran, die aktuelle Situation sachlich einordnen zu müssen: "Wir hatten wirklich sehr wenige Ausreißer nach unten und auch in den schwächeren Spielen zuletzt waren wir nicht komplett chancenlos", so Bell. "Wichtig ist, dass wir das richtig analysieren und uns klar darüber werden, woran es gelegen hat."
Stefan, unmittelbar nach deinem Eigentor gegen Fürth wurdest du ausgewechselt und hast dir auf der Bank länger die Hände vor das Gesicht gehalten. Was ist dir in dem Moment durch den Kopf gegangen?
Bell: "Hacki hätte mich gerne eine Minute früher ablösen können, dann hätte ich mir das Eigentor erspart (lacht). Es war bitter, dass ich das Eigentor schieße und direkt danach ausgewechselt werde. Es war einfach ein gebrauchtes Spiel, das wir leider leistungsgerecht verloren haben - das war die bittere Erkenntnis an dem Tag."
Du hast in der Bundesliga jetzt genau so viele Eigentore geschossen wie Bo (jeweils 3), der auch Innenverteidiger war. Welche Gemeinsamkeiten siehst du ansonsten zwischen euch beiden, was die Herangehensweise und das Spielverständnis angeht?
Bell: "Ich denke, dass wir beide viel über das Auge kommen, antizipieren, im Spiel gegen den Ball viel abfangen und versuchen, einen Tick cleverer als der Stürmer zu sein, weil wir beide vielleicht auch nicht die Allerschnellsten sind oder waren. Wir haben beide, hoffe ich, ein Gefühl dafür, wie die taktische Struktur während des Spiels aussehen muss und versuchen, das zu steuern und die Abstände in der Kette oder im Mittelfeld immer wieder zu korrigieren."
Obwohl wir defensiv zuletzt nicht immer stabil wirkten, stellen wir gemeinsam mit Freiburg und Leipzig die zweitbeste Defensive der Liga. Was hat dazu geführt, dass wir deutlich weniger Gegentreffer hinnehmen müssen als in den Jahren zuvor?
Bell: "Seit wir im letzten Winter alles verändert haben, ging unsere Herangehensweise wieder zurück zu den Basics, die wir brauchen. Vor allem steht seitdem an erster Stelle, dass wir defensiv absolut kompakt und stabil stehen und alle mitarbeiten müssen, damit es funktioniert. Dass wir als Einheit immer gut verteidigt haben, ist das, was uns auch im letzten Jahr so stark gemacht hat. Unsere Offensivspieler, die sich da komplett unterordnen, muss man an der Stelle hervorheben. Das ist einfach bemerkenswert und haben sicherlich nicht viele Mannschaften so geschafft, wie uns es letztes Jahr gelungen ist. Mit Blick auf die letzten Spiele und Wochen war das eigentlich das Kernproblem, dass wir diese Kompaktheit ein wenig verloren haben, in der taktischen Struktur etwas schlampig waren und es den Gegnern dadurch zu einfach gemacht haben, aus unserem Pressing herauszukommen und sich zu viele Chancen zu erspielen. Der zweite Punkt, der vor allem im letzten Spiel sehr offensichtlich war, ist, dass wir mit Ball sehr schlampig gespielt haben und gerade in der eigenen Hälfte sehr viele Fehler gemacht haben in den ersten 20, 30 Minuten."
Ist das ein Stück weit normal nach einem sehr intensiven wie auch erfolgreichen Jahr?
Bell: "Wenn wir es schaffen würden, dauerhaft so zu spielen und zu punkten, wie wir es letztes Jahr und auch in der Hinrunde geschafft haben, wären wir eine Mannschaft, die jede Saison um die internationalen Plätze mitspielt. Das ist irgendwo auch vermessen und vielleicht eine Erwartungshaltung, die nicht ganz angebracht ist. Auf so konstant hohem Niveau zu spielen, schafft man als Mainz 05 eben nicht über eine gesamte Saison hinweg. Wir hatten wirklich sehr wenige Ausreißer nach unten und auch in den schwächeren Spielen zuletzt waren wir nicht komplett chancenlos. Das sollte man schon realistisch einordnen und auch ganz normal damit umgehen, dass solche Phasen in jeder Saison kommen. Wichtig ist, dass wir das richtig analysieren und uns klar darüber werden, woran es gelegen hat."
Welche Themen habt ihr im Nachgang zum Fürth-Spiel angesprochen?
Bell: "Die ersten Minuten in Fürth waren einfach sehr schwach. Wir waren unkonzentriert und schlampig im eigenen Ballbesitz, haben uns gegenseitig aber auch ein bisschen alleine gelassen. Derjenige, der am Ball war, hatte oft wenige Anspielstationen. Im Spiel gegen den Ball haben wir uns gegenseitig zudem nicht gut genug gesichert. Es gab viele Situationen, in denen wir einen Zweikampf verloren haben, dann aber der nächste Spieler nicht da war, um das Ganze auszubügeln. Ich finde es aber auch wichtig, dass man jetzt nicht alles schlecht sieht: In Leipzig etwa waren die ersten 20 Minuten richtig gut, bis zum Platzverweis waren wir dominant und echt gut im Spiel. Dazwischen gab es noch einen soliden, wenn auch unspektakulären Zu-Null-Sieg gegen Bochum. So haben wir aktuell eine Phase, in der wir vielleicht nicht jede Woche spielerisch glänzen, wie wir es in der Hinrunde mal für ein paar Wochen hatten – das war aber auch nicht der Normalfall und jedem sollte klar sein, dass es da teilweise mal Ausreißer nach oben gab. Jetzt befinden wir uns aktuell in einer schwächeren Phase. Wir werden ganz normal weitermachen und uns wieder stabilisieren."
Die Saison ist ein Auf und Ab. Gefühlt geht es nach einem Sieg um Europa, nach einer Niederlage gegen den Abstieg und einen bevorstehenden Absturz. Wie geht man als Spieler bzw. Mannschaft damit um?
Bell: "Das sind Muster, die man eigentlich eher von Traditionsvereinen mit großen Namen kennt, die in der Vergangenheit eine sehr erfolgreiche Zeit hatten und dann relativ schnell hochgejubelt oder schlecht geredet werden. Vereine wie Mainz, Freiburg oder Augsburg leben eigentlich davon – und das ist auch extrem wichtig – dass wir alles etwas ruhiger und sachlicher angehen und uns nicht von zwei, drei Spielen, egal, ob gut oder schlecht, leiten lassen. Man darf nie vergessen, wo wir vor einem Jahr waren - das ist immer wieder wichtig, hervorzuheben. Ein Jahr später stehen wir unter dem Strich grundsolide da. Ich weiß nicht, ob diese Stimmungsbilder, die man immer mitbekommt, auch wirklich repräsentativ sind. Es liegt auch ein bisschen am Social-Media-Phänomen, dass sich wenige sehr laut und unzufrieden äußern und vielleicht Tausende, die keine Kommentare schreiben, ruhig und zufrieden sind. Da wäre ich immer sehr vorsichtig."
Gerade auswärts haben wir uns in den vergangenen Monaten schwergetan, während die Ausbeute zuhause richtig stark ist. Reiner Zufall?
Bell: "Positiv ist wirklich, dass wir sehr heimstark sind und zuhause sehr viele Punkte holen – das ist in so einer Saison auch wichtig. Vor allem, weil das Stadion oft nicht voll ist, finde ich das sehr bemerkenswert, weil es gegen den Trend geht, dass sich der Heimvorteil vor leeren Rängen ein bisschen abnutzt. Natürlich ist es auffällig, dass wir auswärts eine punktetechnisch schwache Phase haben. Ich finde es schwer zu sagen, woran es liegt, mir fällt nicht der eine Grund ein. Es wird aber Zeit, dass wir mal wieder einen Auswärtssieg holen, da sind wir uns einig."
In der vergangenen Rückrunde sah das anders aus: Schwächeperioden konnten wir uns ohnehin keine leisten. Zollen wir den vergangenen zwölf Monaten vielleicht auch gerade ein wenig Tribut?
Bell: "Wir haben ein brutales Jahr hinter uns: Obwohl es so erfolgreich war, ist es für den Kopf extrem anstrengend gewesen, weil wir fast jede Woche am Limit gespielt haben. Wir haben eben auch eine Spielweise, mit der wir uns Woche für Woche körperlich am Limit bewegen und uns verausgaben müssen, um zu punkten. Das unterscheidet uns von Mannschaften, die mehr über das Spielerische und das 'Talent' kommen. Es ist eine große Herausforderung, das immer zu hundert Prozent hinzubekommen und einfach nicht immer machbar. Dazu kommt, dass wir momentan nur zwei Stürmer zur Verfügung haben, die jede Partie sehr intensiv spielen. Wir hatten in den letzten Wochen ein paar Ausfälle, Jae-sung Lee und Silvan Widmer zum Beispiel haben zudem mit ihren Nationalmannschaften sehr viele Spiele gemacht. Ich glaube, da kommen schon einige Faktoren zusammen, die in der Summe Erklärungen liefern können – das sollten aber keine Ausreden sein, um noch fünf schlechte Spiele zu machen."
Seit 2009 bewegen wir uns ununterbrochen und erfolgreich in der Bundesliga am Limit...
Bell: "...es ist das, was uns ausmacht, was von außen hoch angesehen ist, was uns auch im letzten Jahr viel Lob gebracht hat. Wir versuchen, das wieder noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Es ist gerade aber irgendwo auch eine normale Entwicklung. Wir haben es die letzten Monate sehr gut gemacht und dann denkt man irgendwann vielleicht auch, man habe es jetzt drin und versucht, einen Schritt weiter zu gehen. Irgendwann kommt man dann an einen Punkt, an dem die Basics ein wenig verblassen, wenn man nicht jeden Tag darüber redet."
Entwickelt man in erfolgreichen Phasen auch mal das Gefühl, dass man spielerisch den nächsten Schritt gehen möchte und womöglich deswegen der Fokus auf die Basics ein wenig verloren geht?
Bell: "Das kann auf jeden Fall damit zusammenhängen. Wenn ich das Spiel gegen Berlin als Beispiel nehme: Da waren wir gegen den Ball brutal intensiv, kompakt, haben uns oft vor allem nach Balleroberungen sehr gut durchgespielt, hatten klasse Angriffe, eine super Restverteidigung, haben den Ball direkt wiedergewonnen und dann kam die nächste Welle. Da gingen Kompaktheit und Intensität miteinander einher und haben uns erst ermöglicht, spielerisch zu glänzen. Wenn das dann ein paar Spiele lang sehr gut klappt, hat man vielleicht unterbewusst das Gefühl, dass von der Intensität her auch 95 Prozent reichen. Das ist gar kein böser Wille, aber irgendwo auch menschlich, dass es solche Phasen gibt. Wenn man ohnehin müde ist und vielleicht nebenher zwei, drei private Themen hat, ist es normal, dass man als Spieler mal in einer besseren oder schlechteren Form ist. Ich finde es auf der anderen Seite eher bemerkenswert, dass wir es letztes Jahr fast zwölf Monate lang geschafft haben, schwankungsfrei zu bleiben und leistungstechnisch eine sehr hohe Konstanz zu haben. Das kann man nicht immer erwarten."
Kommt euch die aktuelle Länderspielpause gerade recht oder ist das eher kontraproduktiv?
Bell: "Wir haben jetzt eine gute Möglichkeit, in der kompletten Gruppe nochmal ein paar Tage zu trainieren, ein Testspiel und Zeit für Videoanalysen in kleineren Gruppen zu haben. In den vorherigen Länderspielpausen waren immer viele Stammspieler unterwegs – das haben wir dieses Mal nicht. Deswegen denke ich schon, dass uns die Pause enteggenkommt."