Profis 27.05.2022 - 14:30 Uhr
"Mit der Entwicklung können wir nicht ganz zufrieden sein"
Die Integration von Talenten wie Paul Nebel, Niklas Tauer oder Merveille Papela lief in der vergangen Saison nicht nach Plan: Cheftrainer & Sportdirektor kennen die Gründe, auch Jonny Burkardt & Leo Barreiro machten vergleichbare Erfahrungen.
Der Auftakt war vielversprechend. Beim überraschenden 1:0-Erfolg zum Saisonstart in der MEWA ARENA gegen RB Leipzig waren es Spieler wie Niklas Tauer und Paul Nebel, die in der von Bo Svensson wegen der vielen Corona-Infektionen aus der Not geborenen Aufstellung besonders auffielen und wegen ihrer starken Leistung gefeiert wurden. Am Ende dieser inzwischen abgelaufenen Bundesliga-Saison 2021/22 musste der Cheftrainer des 1. FSV Mainz 05 eingestehen, dass aus dem Anfangseindruck keine Tendenz entstanden ist.
"Ganz klar, mit der Entwicklung können wir nicht ganz zufrieden sein", lautete Svenssons Fazit in der Nachbetrachtung der Spielzeit. Tauer hatte von den aus dem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) in den Profibereich aufgerückten Spielen mit 484 Minuten bei elf Einsätzen noch die meisten Spielanteile, Nebel kam in zehn Einsätzen auf 221 Minuten, Merveille Papela absolvierte während seiner fünf Kurzeinsätze 79 Minuten. Der junge Österreicher David Nemeth, der nicht aus dem 05-NLZ kommt, sondern aus Graz nach Mainz wechselte, spielte in sechs Spielen insgesamt 310 Minuten lang. "Sie alle haben sich natürlich mehr Spielzeit erhofft und sind enttäuscht", so der Cheftrainer. "Wir schreiben uns auf die Fahne, dass wir hier selbst Spieler entwickeln, die nächsten Burkardts und Barreiros hervorbringen wollen. Dieses Jahr, das muss man schon so sagen, ist es nicht so gelaufen, wie es im Optimalfall hätte laufen können. Das zeigt aber einfach nur, wie groß der Sprung ist vom Jugendspieler zum Bundesligaprofi", so der Ex-Profi.
"Und man muss natürlich auch sehen, dass Paul Nebel beispielsweise globale Konkurrenz hat, sage ich mal. Er muss sich durchsetzen gegen einen Nationalspieler aus Südkorea, der da 60 Spiele gemacht hat und zur Weltmeisterschaft fährt. Papela muss sich durchsetzen gegen Dominik Kohr, der 220 Bundesligaspiele hat. So können wir weitermachen im Kader. Es ist nicht einfach, man muss sich das immer nochmal in Erinnerung rufen, dass man sehr viel richtig machen muss, um die Jungs dahin zu bringen, dass sie fertige Bundesligaspieler werden. Wir werden das nochmal analysieren und haben dazu schon die nächsten Jungs wie Eniss Shabani und Ben Bobzien, die jetzt kommen sowie auch die übernächsten, die bei uns anfangen werden. Für alle gilt: "Der Sprung bleibt groß."
Neben Bobzien & Shabani haben kürzlich auch Nelson Weiper & Philipp Schulz am Bruchweg Lizenzspielerverträge unterzeichnet
Im Wind stehen, Konkurrenzkampf annehmen
Martin Schmidt, der vor seiner Zeit als Sportdirektor der 05ER am Bruchweg schon als U23-Coach gearbeitet hat und selbst Cheftrainer war, weiß aus Erfahrung, wie schwer der Weg für die Nachwuchsspieler sein kann. "Für die Jungs ist das mental der nächste Schritt, wenn sie mit den Profis arbeiten", erklärte der Schweizer. "Sie waren immer Jahrgangsbeste. In der U16, in der U17 und so weiter. Sie wurden gelobt, sie waren bei den jeweiligen Nationalmannschaften. Und solche Spieler gibt es ja bei jedem Verein. Irgendwann kommt man in die erste Mannschaft rein, hat die Chance, hier nicht nur Nummer 25 bis 30 zu sein, sondern recht nah dran am Kader. Und das heißt plötzlich, dass die Konkurrenz nicht mehr der Gleichaltrige ist, sondern die Konkurrenz heißt jetzt Moussa Niakhaté, an dem du vorbeimusst, oder du musst dich an jemandem wie Jeremiah St. Just abarbeiten. Einer wie David Nemeth muss nun Karim Onisiwo verteidigen, einen Stürmer, bei dem jeder Innenverteidiger in Deutschland sagt: 'Das ist der fieseste Spieler, den du kriegen kannst.' Mit seinen harten Knochen, mit der Art und Weise, wie er Zweikämpfe führt, wie er rein geht. Und plötzlich ist das die Konkurrenz."
Dann sei es für die jungen Spieler manchmal unverständlich, nicht zu spielen, auf der Bank zu sitzen und nicht reinzukommen. "Für die ist es plötzlich hart, im Wind zu stehen, in der Konkurrenz mit gestandenen Bundesligaspielern. Fußballerisch haben die alle viel drauf. Ihr nächster Schritt ist mentaler Natur", erklärt der Sportdirektor. Wenn sie es schaffen, sich da auch mental zur Wehr setzen zu können und aus einer schwierigen Saison Kraft zu ziehen und sich bewusst zu ein, dass sie an der Konkurrenz vorbeikommen müssen, nicht darauf warten können, dass der Trainer kommt und sagt: 'Du wirst schon irgendwann spielen.' Nein, ich selbst muss an dem Gegner vorbei. Das ist der Weg. In diesem Prozess sind die Jungs jetzt. Vielleicht geht der Weg nicht bei jedem direkt dahin. Vielleicht muss der ein oder andere einen kleinen Umweg machen und kommt dann irgendwann zurück", sagt Schmidt und nennt Robin Zentner als Beispiel. Die aktuelle Mainzer Nummer eins habe sich irgendwann aufgerieben und gesagt, er gehe woanders hin (Anm. d. Red.: zwei Jahre Holstein Kiel), sei dann zurückgekommen und jetzt da, wo er stehe.
Burkardt & Barreiro als Vorbilder
"Das sind so Prozesse, die diese Jungs durchlaufen müssen, die sie härter machen. Und irgendwann entscheidet es sich, ob sie Bundesligaspieler werden, oder ob es dann doch nicht langt", so der Sportdirektor. "Jonny Burkardt hatte ein, zwei schwierige Jahre, hat sich nicht unterkriegen lassen, hat hart an sich gearbeitet und ist jetzt da, wo er hingehört. Leo Barreiro ebenfalls." Schmidt ist überzeugt davon, dass die Jungs ihren Weg gehen werden, der eine schneller, der andere brauche noch das eine oder andere Jahr. Im Wind zu stehen und sich ich gegen Widerstände zu wehren, gehöre zur Weiterentwicklung junger Spieler dazu.
Der Cheftrainer sprach noch einmal explizit David Nemeth an. Der Verteidiger habe keine gute Saison gehabt. "Deswegen müssen wir gemeinsam mit ihm überlegen, was das Beste für ihn ist und wie es weitergeht. Es ist für ihn nicht so gekommen, wie er es sich erhofft hat, aber auch da gilt: Der Sprung aus Österreich in die deutsche Bundesliga ist groß. Es gibt Überlegungen, wie wir aus diesen Jungen Bundesligaspieler machen. Was eignet sich am meisten für sie? Werden sie das bei uns oder über Umwege", so Svensson.