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Profis 28.05.2021 - 20:00 Uhr

Perfektion - auf allen Ebenen

Champions-League-Finale mit Mainzer Beteiligung: Christian Heidel erinnert sich an die Anfänge unter Thomas Tuchel

Heidel & Tuchel im Oktober 2010 nach dem Sieg über Hoffenheim im Bruchwegstadion.

Zum vierten Mal in Folge steht am Samstagabend ein ehemaliger 05-Trainer im Champions-League-Finale. Nach Jürgen Klopp (2018 & 2019) kämpft auch Thomas Tuchel zum zweiten Mal hintereinander um die höchste Auszeichnung im europäischen Klub-Fußball, wenn er ab 21 Uhr mit dem Chelsea FC auf Manchester City und Pep Guardiola trifft. Anlässlich dieses Highlights mit Mainzer Beteiligung erinnerte sich Christian Heidel dieser Tage an die Anfänge des heute 47-Jährigen, der einst als Jugendtrainer an den Bruchweg gekommen war.

Über die Mainzer Trainerschmiede, federführend kreiert vom im Januar zurückgekehrten, langjährigen FSV-Manager und heutigen Vorstand für Strategie, Sport & Kommunikation, Christian Heidel, ist viel geschrieben worden. Dass zwei seiner Entdeckungen, eben Klopp und Tuchel, heute zu den weltbesten ihrer Zunft gehören würden, konnte selbst Heidel im Jahr 2001, als er Ersteren über Nacht vom Spieler zum Trainer machte sowie im Sommer 2009, als er Tuchel vom U19-Coach zum Bundesliga-Trainer beförderte, natürlich nicht ahnen. Das Potenzial allerdings hatte er in beiden Fällen erkannt und zum Wohle der 05ER gehandelt. Entscheidungen, die rund um den Bruchweg zu Erfolgsgeschichten wurden und nun auf internationaler Ebene fortgeschrieben werden.

Doch zurück ins Jahr 2009, um das es im Rahmen einer Medienrunde mit britischen Journalisten Mitte dieser Woche vornehmlich ging. Fünf Tage vor Saisonbeginn befördert schließlich nicht jeder Manager einen Jugendtrainer zum Chef der ersten Mannschaft. Nach der Demission von Aufstiegstrainer Jörn Andersen hatte Heidel Tuchel auf der Rückfahrt vom U19-Trainingslager in Österreich kontaktiert, ihn in sein Vorhaben eingeweiht und mit einer zügigen Einigung gerechnet.

Es kam anders, wie sich Heidel erinnert: "Er sagte, dass er zu mir kommt, um das zu besprechen, sobald er wieder in Mainz ist, kam dann aber erst um 22 Uhr und forderte nach unserem Gespräch zwei Wochen Bedenkzeit", erzählt der heute 57-Jährige. "Wenn du immer so lange brauchst, wirst du nie Trainer bei den Profis", habe er ihm daraufhin gesagt. Die Entscheidung sollte schließlich dennoch innerhalb von wenigen Stunden stehen, die Vorstellungs-Pressekonferenz folgte am nächsten Tag und schnell zeigte sich, dass beide Seiten goldrichtig gelegen hatten. "Mit seinem ersten Auftritt vor der Mannschaft war Thomas akzeptiert", erinnert sich Heidel. "Vor allem junge Spieler kann er mit seinem unglaublichen Fachwissen beeindrucken. Er ging als Jugendtrainer in die Kabine zur ersten Ansprache und kam als Bundesliga-Trainer wieder heraus. Die Erfolgsgeschichte der folgenden Jahre, den sieben Auftaktsiegen in der Saison 2010/11 oder der Europa-League-Qualifikation 2013/2014, ist hinlänglich bekannt.

Die Anfänge am Bruchweg

Angedeutet hatte sich Tuchels Talent indes schon in seinem letzten Jahr als Jugendtrainer, in dem er mit der Mainzer U19 im Finale um die Deutsche Meisterschaft Borussia Dortmund mit 2:1 bezwang - ein einzigartiger Erfolg. Beobachter auf der Tribüne seinerzeit: Jürgen Klopp, der 2007 zu den Borussen gewechselt war. Seine Analyse fiel denkbar knapp aus: "Zehn bessere Spieler haben heute gegen die bessere Mannschaft verloren", habe Klopp gesagt, wie Heidel berichtet und erläutert, was Tuchel damals wie heute auszeichnet:" Thomas ist ein totaler Perfektionist, jedes Training muss perfekt vorbereitet sein, genau wie jedes Spiel. Er erwartet perfekte Spiele, weil sie in seinem Kopf schon vorher ablaufen. Er beschäftigt sich mit jedem Gegner vorher von A bis Z", so Heidel, der auch für die gelegentlichen emotionalen Ausbrüche des Champions-League-Finalisten von 2020 und 2021 eine Erklärung hat. "Er hat immer einen Plan. Wenn ein Spieler einen Meter neben einem Plan steht, dann trifft es ihn. Die taktische Disziplin ist das A und O für seine Arbeit. Der Plan muss umgesetzt werden, denn so spielt sich das Spiel vorher in seinem Kopf ab."

Tuchel & der Greenkeeper

Die Perfektion gehe bisweilen gar über die Trainingsarbeit hinaus. So habe Tuchel einst den österreichischen Greenkeeper im Anschluss an ein Mainzer Trainingslager verpflichten wollen, weil ihn der Rasen begeistert habe. "Thomas kümmert sich um alles, in Mainz hat er sogar mal den Rasen gemessen", berichtet der 05-Vorstand lachend. Ebenso beeindruckt zeigt sich Heidel, wenn er davon erzählt, wie Tuchel während einer Busfahrt einst zwei Stunden lang fasziniert Passfolgen des Teams von Pep Guardiola, dem heutigen Kontrahenten, studiert habe.

Ob ihm allein das Studium von damals beim Unterfangen, erstmals als Sieger der Königsklasse hervorzugehen, helfen kann, darf bezweifelt werden. Der Fußball, die Trainer haben sich entwickelt, mit Chelsea und ManCity trainieren beide Trainer Mannschaften von Weltformat in einer Partie, deren Ausgang völlig offen ist. Im letzten Jahr war der ehemalige Mainzer Cheftrainer mit Paris St. Germain Bayern München noch knapp mit 0:1 unterlegen. In diesem Jahr hofft er auf einen positiveren Ausgang. Heidel glaubt daran und drückt seinem ehemaligen Weggefährten die Daumen. "Er hat ein perfekt eingespieltes Trainerteam, das auch in Mainz dazugehörte. Die Spieler seiner Mannschaften haben sicher noch nie so genaue Analysen bekommen wie unter Thomas. Und ich würde sagen, dass Niederlagen ihm fast körperliche Schmerzen bereiten." 

Man darf dem ehemaligen 05-Erfolgstrainer wünschen, dass ihm derlei schmerzhafte Final-Erfahrungen am Samstagabend erspart bleiben in einem Duell, das Hochspannung und Fußball auf höchstem Niveau verspricht. " Er, Jürgen und Pep kommen der Perfektion derzeit wohl am nächsten", ist sich Heidel sicher, der sich zugute halten darf, zwei von ihnen den Weg geebnet zu haben zu Weltkarrieren auf der internationalen Fußballbühne. Sein Erfolgsgeheimnis, das Heidel auch Anfang Januar, anlässlich der Verpflichtung Bo Svenssons in seinen Grundzügen geschildert hatte? "In Mainz hat man die Chance, sich als Trainer zu entwickeln, weil für mich sehr früh klar war, dass der Trainer die wichtigste Person im Verein ist. Wir haben Jürgen Jürgen werden lassen und Thomas Thomas. Sie durften Fehler machen, hatten Vertrauen und das hat ihnen sehr gut gefallen."

Mit Jürgen, der bis heute Jürgen geblieben ist, wird Heidel das Finale übrigens im Urlaub auf Mallorca verfolgen.