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U23 15.05.2017 - 12:37 Uhr

Die Mannschaft in der Revolte

Die U23 ist abgestiegen. Im Rückblick auf eine schwere Saison voller Rückschläge aber auch voller Kampfeslust und Auflehnung gegen das Schicksal überwiegt der Stolz.

Immer wieder aufstehen: Sandro Schwarz hat eine Mannschaft geprägt mit fußballerischer und kämpferischer Klasse, die dem Abstieg bis zur letzten Sekunde getrotzt hat.

Das Absurde entsteht durch den Zusammenstoß zwischen dem Ruf des Menschen und dem vernunftlosen Schweigen der Welt. So definiert Albert Camus eines seiner philosophischen Hauptmotive. Der Mensch soll seinem Schicksal, den absurden Bedingungen seines Daseins in ewiger Auflehnung gegenübertreten und das Unausweichliche durch Verachtung überwinden. Dann könne man sich Sysiphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

So wie die mythologische Figur des Sysiphos als von den Göttern gestrafter dem Existenzialisten Camus als Held gereicht, so überwiegt auch nach dem Samstag bei den Sportfreunden Lotte der Stolz auf unsere U23. Nicht nur für Trainer Sandro Schwarz. Jedem, der diese Saison verfolgt hat, ringen die fußballerischen Leistungen und die niemals endende Kampfeslust der Mannschaft großen Respekt und große Anerkennung ab. Wie Sysiphos - der bis in alle Ewigkeit seinen Stein den Berg hinaufzuschieben verdammt war, nur damit er wieder herunterrollen kann – mussten die Nullfünfer mehr als einmal Berge in Bewegung bringen. Nach dem großen Umbruch im Sommer, als jüngste Mannschaft im deutschen Profifußball, lief der Ball zwar immer leichter als Steine den Berg hinauf. Doch trafen die Rückschläge in Form von vermeidbaren Gegentoren, von ausgelassenen Topchancen, von erzwungenen Rotationen, Verletzungen und Niederlagen nach überlegen geführten Spielen schwer wie Felsbrocken.

Trotz zwanzig Niederlagen aus 37 Partien: „Weit mehr als 20 Spiele in dieser Saison hat die U23 des FSV Mainz 05 so gut performed, dass man am Ende der 90 Minuten zu dem Schluss kommen musste, es sei unverdient und ungerecht, wenn eine solche Mannschaft absteige. Am 36. Spieltag war das anders. Noch heftiger. Da erschien der Gedanke an den bevorstehenden Abstieg aus der Dritten Liga geradezu als skandalös“, schrieb Peter H. Eisenhuth auf sportausmainz.de. Den letzten Tabellenplatz, den die Mainzer seit dem 14. Spieltag innehatten, sah man ihnen tatsächlich in keinem einzigen Spiel an. Ganz im Gegenteil, „man könnte meinen, die Tabellenplätze wären heute genau anders herum verteilt“, sagte Peter Vollmann nach der Niederlage seines (zu diesem Zeitpunkt ohne den drohenden Punktabzug Drittplatzierten) VfR Aalen am Bruchweg. „Spielerisch das stärkste Team“, attestierte auch Lotte-Coach Ismail Atalan im Vorfeld der entscheidenden Begegnung. Dass diese Entscheidung überhaupt erst am vorletzten Spieltag fällt, hatte kaum jemand für möglich gehalten, nachdem der Mainzer Abstieg vielerorts seit Monaten festzustehen schien. „Was wir hier in den letzten Wochen geschaffen haben, was wir an Leistung produziert haben, ist absolut außergewöhnlich“, sagte Sandro Schwarz in der Kabinenansprache vor dem Anpfiff. Mit drei blitzsauberen Siegen in Folge hatte sich das Team im Endspurt von den Totgesagten zurückgemeldet. Hatte kurzzeitig Leistung und Ertrag in Einklang gebracht. Der vernunftlosen Welt doch eine Antwort auf seine nicht verstummenden Rufe abgerungen. So ungläubig und ohnmächtig wir über Monate die ausbleibenden Ergebnisse mitansehen mussten, nachdem wir Woche für Woche herausragende Moral und feinen Fußball mitansehen durften, so ungläubig musste vielerorts festgestellt werden, dass unsere U23 immer noch da ist.

Die ewige Auflehnung gegen das Schicksal illustriert auch dieses entscheidende Spiel bei den Sportfreunden Lotte. Nur noch mit passenden Ergebnissen der Konkurrenten wäre es möglich gewesen, den Stein im entscheidenden Moment doch auf dem Gipfel zu halten. Zwischen greifbarer Anspannung und Vorfreude waren die Tage vor dem Spiel geprägt von der puren Vorstellungskraft positiver Emotionen. Eine Kraft, die seit dem letzten Sommer getragen hat. Von Woche zu Woche, von Leistung zu Leistung, wenngleich auch immer wieder von Nackenschlag zu Nackenschlag. Und doch ungebrochen. Eine frühe Führung von Petar Sliskovic, der Ausgleich, der Rückstand durch einen abgefälschten Schuss vor der Pause. Direkt nach Wiederanpfiff eine rote Karte, in Unterzahl mit Toren von Besar Halimi und Felix Lohkemper binnen fünf Minuten wieder in Führung gegangen. Doch diese Spielzeit lässt sich nicht nur auf die letzten Wochen reduzieren, in denen die Kausalität zwischen Leistung und Lohn die Absurdität endlich doch abzulösen schien. Ein unglückliches Gegentor zum 3:3 in der 89. Minute - trotz weiterer hundertprozentiger Möglichkeiten der Endstand. Auch wenn ein Sieg nicht gereicht hätte: Das Spiegelbild der Saison in neunzig Minuten. Ein Spiegelbild aber vor allem an Leistung und an unbändigem Willen, das Schicksal nicht kampflos hinzunehmen, sondern sich bis zuletzt der Revolte zu verschreiben. Auch wenn am Ende der Stein den Berg hinabrollt: „Wir müssen uns Sysiphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, fordert Camus vielleicht zu viel. Aber wir können uns die U23 als eine stolze Mannschaft vorstellen, die auch im letzten Spiel am Samstag gegen Fortuna Köln erhobenen Hauptes die Bühne Profifußball verlassen wird. Die wie in jedem Spiel in dieser Saison großen Sport bieten wird. Die menschlich und fußballerisch gewachsen ist. Als Mannschaft wie auch jeder Einzelne. Über sich hinaus.