Verein 10.07.2013 - 15:55 Uhr

Ein neues Mainz-05-Gefühl

Interview, Teil zwei: Manager Christian Heidel über den Ujah-Transfer, Fan-Nähe und Entwicklungspotenziale

Im zweiten Teil des Interviews mit Christian Heidel (hier Teil eins) spricht der Manager auch über das positive Feedback auf das Stadionfest, den Kommunikationsbedarf der Fans und die Dauerkartenfrage.

Herr Heidel, wir haben bereits über Ihre Transfers in diesem Sommer gesprochen. Eine Frage noch zu dieser Thematik, die auch unter den Fans diskutiert wird: Warum gibt Mainz 05 Anthony Ujah an den 1. FC Köln ab?

Heidel: "Bei jeder personellen Entscheidung im Profikader müssen wir abwägen zwischen sportlichen und wirtschaftlichen Chancen und Risiken. In seinem ersten Jahr kam Anthony bei uns aufgrund von taktischen Defiziten nicht klar und hat nicht zum Kreis der Stammspieler gehört. Deswegen haben wir Ihn im vergangenen Sommer zum 1.FC Köln in die 2.Liga ausgeliehen. Dort hat Anthony Fuß gefasst und wir hatten die Gelegenheit, uns seine Spiele sehr genau anzuschauen. Durch seine 13 Tore hat sich sein Marktwert wieder erhöht, der nach seinen wenigen Einsätzen bei uns natürlich gefallen war. Der 1. FC Köln wollte Anthony unbedingt behalten und Anthony wollte unbedingt in Köln bleiben. Deswegen haben wir entschieden einem Transfer zuzustimmen sollten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für uns stimmen. Bei uns hat sich schlussendlich nach Abwägung aller Faktoren die wirtschaftliche Chance gegen die sportliche Einschätzung durchgesetzt."

Und warum waren die Verhandlungen mit dem 1.FC Köln so langwierig?

Heidel: "Das ist eine Mär der Kölner Medien, die dann auch hier in Mainz einfach übernommen wurde. Es gab gar keine wochenlangen Verhandlungen. Der 1.FC Köln kannte von Beginn an unsere Vorstellungen und bat uns um Zeit, intern Wege zu finden den Transfer zu realisieren. Diese Zeit haben wir den Kölnern gegeben. Am Wochenende wurde der Transfer zu genau diesen Bedingungen realisiert. Mainz 05 hat sein komplettes Invest in Anthony Ujah plus eine sehr stattliche Verzinsung zurückbekommen. Und sollte er sportlich durchstarten und irgendwann auf der ganz großen Fußballbühne landen, würden auch wir uns in Mainz, ähnlich wie bei André Schürrle, wieder sehr freuen."

Anthony war ja auch schon beim Stadionfest am vergangenen Samstag ein Thema. Mainz 05 hat dort mit vielen Gesprächsrunden und der komplett geöffneten  Coface Arena einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Was hat Sie dazu bewogen?

Heidel: "Im vergangenen Jahr haben wir erstmals an der Coface Arena ein Sommerfest durchgeführt. Das hat vielen Fans gute Unterhaltung geboten, aber dennoch gab es anschließend auch kritische Stimmen. Deshalb haben wir das Konzept des Festes überdacht, die aktiven Fans mehr eingebunden und als Konsequenz alle Türen aufgeschlossen und uns den Dialog mit den Fans absolut in den Vordergrund gestellt. Diese Kommunikation mit den Fans war für uns als Verein am vergangenen Samstag am wichtigsten."

Manch ein Fan war wohl noch überrascht, wie präsent die Spieler, die Trainer und Sie als Manager waren …

Heidel: "So sollte es doch sein. Wir wollten uns auch niemandem aufdrängen. Aber wir haben gespürt, dass bei Teilen der Fans ein gewisser Bedarf an direkter Kommunikation vorhanden war. Ein Stadionfest war hierfür doch der perfekte Anlass. Vielleicht haben wir ja jetzt einen Ansatz gefunden, mit dem wir diesen Termin in den kommenden Jahren gemeinsam ausbauen können und an dem unsere Fans auch auf breiter Basis Gefallen finden."

Worin lag denn der Bedarf an Kommunikation aus Ihrer Sicht?

Heidel: "Das Stadionfest hat uns gezeigt, dass immer ein Bedarf an Kommunikation besteht, egal ob über sportlichen Bereich oder bei anderen Themen. Mit Kommunikation meine ich dabei die Chance, den verantwortlichen Personen des Vereins direkt Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten. Ich bekomme ja ab und zu mit, was beispielsweise in den Internetforen so alles diskutiert und kritisiert wird. Jetzt konnte jeder Fan ohne Ablenkungen durch Mutmaßungen oder Gerüchte unmittelbar Antworten erhalten und wir als Verein unseren eingeschlagenen Weg erklären. Manche Dinge lassen sich nicht über Meldungen und Medienbeiträge vermitteln. Ich denke, dass wir bei Mainz 05 alle grundsätzlich für Anfragen zur Verfügung stehen, aber manchmal braucht man vielleicht doch einen bestimmten Raum für diesen Austausch. Wir hatten am Abend jedenfalls alle das Gefühl, dass diese Idee bei den Fans sehr gut angekommen ist. Und uns hat der Tag richtig Spaß gemacht."

Wie steht es denn um den Austausch mit der aktiven Fanszene, die ja beim Stadionfest eine eigene Bühne und mehrere Info-Stände hatte?

Heidel: "Grundsätzlich sehr gut. Wir pflegen mit den Fans einen sehr aktiven Gedankenaustausch. Die Fanszene hat einen ganz eigenen Zugang zu den Themen und es ist sehr spannend, die Dinge auch aus ihrer Perspektive zu erfahren. Mir ist dabei am Samstag aber auch aufgefallen, wie wichtig es ist, dass wir Themen rund um Mainz 05 in den Mittelpunkt dieses Dialogs stellen. Mainz 05 und unsere Mannschaft sind das, was uns alle verbindet, das ist unsere gemeinsame Leidenschaft. Ich wünsche mir, dass wir dieses gemeinsame Gefühl in der nächsten Saison wieder stärker betonen können und dabei alle Fans auf allen Tribünen mitnehmen. Ich bin überzeugt, dass das Stadionfest zu diesem Gefühl einen kleinen Beitrag leisten konnte."

Erreicht diese Botschaft auch jene Fans, die sich noch zögern eine neue Dauerkarte zu kaufen?

Heidel: "Das ist eine leidige Diskussion über Dauerkarten, die ich nicht nachvollziehen kann. Wir haben unseren Zuschauerschnitt innerhalb von zwölf Jahren verachtfacht, jetzt fehlen uns 2.000 Dauerkarten im Vergleich zum Vorjahr. Daraus wird sofort ein Trend abgeleitet, eine Stimmung erzeugt, da kann ich nur den Kopf schütteln. Das ist fast so, als ob sich Borussia Dortmund nach zwei deutschen Meistertiteln rechtfertigen müsste, diesmal als Zweiter hinter dem FC Bayern gelandet zu sein. Der SC Freiburg wurde jetzt in den Medien gefeiert, dass er seine Mitgliederzahl auf 6.800 gesteigert hat. Sollten von unseren knapp 15.000 Mitgliedern ein paar kündigen, verkaufen das manche hier wahrscheinlich auch als einen Einbruch. Da liegt in meinem Empfinden eher ein Wandel in der Medienlandschaft zugrunde als eine Krise bei Mainz 05. Ich erkenne eine Tendenz, dass Meldungen veröffentlicht werden, ohne dass die Fakten vorher überprüft werden und ohne dass Falschmeldungen zurückgenommen werden. Jeder will der Erste sein.Hauptsache irgendwer äußert sich über Mainz 05, es dient als Schlagzeile und die Fans diskutieren hinterher auf den Homepages der Medien darüber, was wiederum Klicks und höhere Anzeigenpreise generiert. Aber eine nachhaltige inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen ist häufig gar nicht mehr vorgesehen. Dieser Veränderung müssen wir uns stellen, aber sie erleichtert unsere Arbeit nicht wirklich."

Dann richten wir die Perspektive mal in die Zukunft. Wo sehen Sie denn das weitere Entwicklungspotenzial des Vereins?

Heidel: "Wenn man Entwicklung an steigenden Zahlen bei Zuschauern, Marketingerlösen oder medialen Reichweiten festmacht, werden wir uns immer um eine Verbesserung bemühen. Eine Entwicklung des Vereins kann daneben aber auch sein, dass wir nach den vergangenen turbulenten Jahren mit dem Umzug in die Coface Arena und dem Wachstum des gesamten Vereins wieder unsere Identität schärfen und für ein neues Wir-Gefühl sorgen."

Ist dieses denn verloren gegangen?

Heidel: "Ich denke eher, dass sich die Perspektive verändert hat, aus der wir wahrgenommen werden. Nach sieben Jahren Bundesliga sind wir nicht mehr das kleine Mainz 05 vom Aufstiegssommer 2004, als 10.000 Mainzer ein 2:4 in Stuttgart feierten wie die deutsche Meisterschaft. Wir werden nicht mehr als der Underdog gesehen - und wir alle fühlen uns ja auch selbst nicht mehr so. Diese Entwicklung ist nicht einfach umkehrbar. Wir holen uns das Gefühl ja nicht zurück, indem wir einfach mal wieder zwei Jahre 2. Liga spielen nach dem Motto „zurück zu den Wurzeln“ - und kommen dann als Außenseiter in unserer ursprünglichen Rolle zurück."

Das klingt fast ein wenig wehmütig …

Heidel: "Im Gegenteil. Wir können ein bisschen stolz sein auf das was wir alle gemeinsam erreicht haben. Mannschaft und Fans. Uns hat keiner etwas geschenkt. Wir haben uns das gemeinsam, ohne Mäzen und ohne Investor, hart erarbeitet. Unsere Aufgabe wird es sein, das Erreichte zu stabilisieren und in kleinen Schritten noch auszubauen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass weiterhin zwei Drittel der Bundesligaklubs über unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten nur lächeln können. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass wir durch die Entwicklung der letzten zehn Wahnsinnsjahre ein neues Mainz-05-Gefühl entwickeln. Wir haben in den vergangenen Jahren alle gemeinsam diese Geschichte geschrieben, eine eigene Tradition für Mainz 05 erschaffen. Welcher Fußballfan kann das von sich sagen? Das gilt es jetzt gemeinsam zu verteidigen, denn das ist es wert. Dieses Gefühl muss auf die Tribünen und natürlich auch auf den Platz. Auch mit diesem Hintergrund verändern wir die Mannschaft. Wir werden auch nächste Saison wieder Fußballspiele verlieren. Aber wir, Verein, Mannschaft und Fans, wollen dafür sorgen, dass viele Gäste sich gerne an Mainz erinnern, nur nicht an die 90 Minuten in der Coface Arena. Das wäre doch mal ein Ziel. Vielleicht ist ja mit dem Stadionfest eine Grundlage für eine solche Stimmung geschaffen worden."

Die Bundesliga feiert Anfang August ihr 50-jähriges Bestehen. Ist es nicht eine Ehre, Jubiläumsmitglied der höchsten deutschen Spielklasse zu sein?

Heidel: "Es ist zumindest sehr erfreulich und immer noch ein klein wenig erstaunlich. Gemessen an diesen fünf Jahrzehnten Bundesliga sind die sieben Jahre, die Mainz 05 bis heute daran teilhaben durfte, noch ein eher kleiner Anteil. In der ewigen Bundesliga-Tabelle liegen wir auf Rang 26. Ich spekuliere mal: Wir benötigen bei positivem Verlauf für uns noch knapp drei Spielzeiten um den nächsthöheren Klub, den KFC Uerdingen zu erreichen, der hat 109 Punkte mehr als wir. Dann werden die Abstände nach oben schnell größer. Aber wir haben es 2004 in einer wichtigen Entwicklungsphase der Liga geschafft, uns zu positionieren und später ein neues Stadion zu bauen. Denn heute wird die Zugehörigkeit zum Profifußball mehr denn je von wirtschaftlichen Faktoren und der Infrastruktur bestimmt. Wer heute abgehängt ist, hat es schwer wieder Anschluss zu schaffen. Das erkennt man am besten an den Tabellen der 2. Liga aus den 1990iger Jahren. Zwei Drittel der Clubs spielen heute in der 4. Liga und noch tiefer verschwunden."

Was sind denn die sportlichen Ziele des 1. FSV Mainz 05 in der kommenden Saison?

Heidel: "Das ist mir jetzt noch ein bisschen weit weg. Bis zum ersten Bundesligaspiel gegen den VfB Stuttgart dauert es noch mehr als vier Wochen. Und wahrscheinlich würden meine Aussagen, dass wir wie in jedem Jahr erst einmal vernünftig in die Saison finden müssen, jetzt auch niemanden vom Hocker reißen. Bis zum Saisonbeginn muss die Mannschaft im Training die Basis legen für die kommende Saison. Die Vorbereitung wird dabei durchaus spannend mit dem Abschluss von fünf Testspielen gegen fünf Erstligisten aus vier Ländern. Ich bin aber sehr optimistisch, was die Entwicklung der Mannschaft angeht. Wir gehen mit einem sehr guten Fundament in die neue Saison und haben hoch interessante, entwicklungsfähige  Fußballer und Typen neu für unsere Mannschaft gewonnen. Das wird spannend und ich freue mich darauf."