Profis 08.05.2022 - 15:30 Uhr
"Hier durfte nur eine Mannschaft gewinnen"
Sportvorstand lobt 05-Profis für den Auftritt in Berlin - Bell: "Nach dem Abpfiff hat man gesehen, wie wichtig dieser Sieg für die Mannschaft und die Fans war"
Die gut 1.300 mitgereisten Anhänger feierten im Gästeblock des Berliner Olympiastadions überschwänglich ein Ereignis, auf das sie so lange geduldig hatten warten müssen. Die 05-Fans streckten ihre rot-weißen Schals in den Abendhimmel der Hauptstadt und ließen ihre Mannschaft hochleben, die sich ebenfalls mit Beifall und geschwenkten Schals für die lautstarke Unterstützung bedankten, die das Team über 90 Minuten lang genoss, trotz der mächtigen Überzahl von fast 70.000 Hertha-Fans.
Die Gäste gaben den Spielverderber im Hertha-Plan, am vorletzten Spieltag aus eigener Kraft den Klassenverbleib zu sichern und holten sich bei ihrem letzten Auftritt dieser Spielzeit in der Fremde endlich mal wieder einen Auswärtssieg. "Das war ein absolutes Highlight-Spiel. Ich habe schon öfter hier gespielt und habe das Stadion noch nie so voll, so laut und stimmungsvoll erlebt – sowohl im Gästeblock als auch bei den Heim-Fans. Das war schon etwas Besonderes. Nach dem Abpfiff hat man gesehen, wie wichtig dieser Sieg für die Mannschaft und die Fans war", sagte Stefan Bell.
Bell erzielt Siegtreffer
Der Innenverteidiger selbst sorgte dafür, dass der FSV erstmals seit Oktober vergangenen Jahres wieder drei Auswärtspunkte einfuhr. Nach einer Ecke von Anton Stach erzielte Bell mit einem platzierten Kopfball den Siegtreffer in einer Partie, in der die Mainzer den Gegner über weite Strecken beherrschten und am Ende auch verdient mit 2:1 als Gewinner vom Platz gingen.
"Unsere Mannschaft hat ein Riesenspiel abgeliefert. Hier durfte nur ein Team gewinnen, und das war Mainz 05. Wir waren Hertha in allen Belangen überlegen und nur die letzten fünf Minuten ein wenig unter Druck. Ich bin heute sehr stolz auf das Team, auch aufgrund der erneuten Widrigkeiten", sagte Christian Heidel nach dem 13. Saisonsieg.
Die vom Sportvorstand angesprochenen Widrigkeiten waren wohl auch der Auslöser dafür, dass der 58-Jährige nicht der von den Sky-Reportern und -Experten vorgegebenen Sprachregelung folgen wollte, der Schiedsrichter habe in allen kniffligen Szenen die richtige Entscheidung getroffen. "Es ist mir ein völliges Rätsel, wie der Schiri keinen Elfmeter geben kann, obwohl er an den Bildschirm geschickt wird und ganz deutlich sieht, dass Bell den Ellenbogen ins Gesicht gerammt bekommt. Seit wann ist das erlaubt? Das war erneut eine glasklare Fehlentscheidung! Wenn man an der Ferse berührt wird, gibt es Elfer. Wer soll das noch verstehen?", schimpfte Heidel und spielte damit zum einen auf jene Situation an, in der Bell nach einer Flanke in den Berliner Strafraum den Unterarm von Lucas Tousart ins Gesicht bekam. Eine Aktion, die im Mittelfeld wahrscheinlich ausnahmslos geahndet, meist zudem mit der Gelben Karte bestraft würde.
Doch Patrick Ittrich war auch nach Ansicht der Bilder nicht bereit, auf Strafstoß zu entscheiden. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte hatte er nach Sichtung des Videobeweises den Berlinern den Elfer zugesprochen, weil Moussa Niakhaté Dedryck Boyata bei einer Ecke von hinten gegen den linken Fuß getreten hatte. Im Gewühl und in einer unübersichtlichen Situation, in der fast alle Feldspieler vor 05-Keeper Finn Dahmen drängelten, zerrten, stießen und stocherten. Verständlich, dass Bo Svensson diese beliebige und permanent bei Standards vorkommende Situation mit dem Schiedsrichter diskutieren wollte, jedoch sofort Gelb kassierte. Klar ist, dass Svenssons Elf in dieser Saison wesentlich eindeutigere Elfmeter nach Videobeweis nicht zugesprochen bekommen hat.
Svensson verweigert seinen Kommentar
Zu Svenssons Gemütslage dürfte das zuvor aberkannte Tor von Stach beigetragen haben, auch wenn diese Entscheidung korrekt war, weil Leandro Barreiro im Abseits gestanden hatte. Später versagte der Schiri Karim Onisiwo seinen Treffer, weil der Österreicher den Ball zuvor an den Oberarm bekommen hatte. Richtig lag Ittrich auch in der Schlussphase, als er Davie Selkes Kopfballtor annullierte, wegen eines klaren Fouls des Hertha-Stürmers an Aarón. Die Elfmeterszene, die zum zwischenzeitlichen 1:1 führte, wollte Svensson in der Pressekonferenz nicht weiter kommentieren. "Das ist sinnlos", sagte er.
Der Trainer, der glücklich über den verdienten Erfolg war, machte ein paar Abstriche an der Vorstellung seiner Profis. "Ich fand, dass wir nicht so gut ins Spiel gefunden haben. Wir waren überrascht vom hohen Pressing der Hertha, kamen nicht rein und hatten Glück, dass wir da kein Tor bekommen haben. Danach haben wir etwas umgestellt, haben nach 20 Minuten mehr Zugriff bekommen und auch besser gespielt. Insgesamt war es eine ordentliche Leistung", betonte der 42-Jährige.
Felix Magath beschrieb ebenfalls die Berliner Anfangs-Vorteile, dann aber auch das veränderte Spiel seiner Mannschaft danach, das zur verdienten Mainzer Führung durch Silvan Widmer führte, der dank eines Fehlers von Hertha-Keeper Marcel Lotka das 1:0 erzielte. "Wir haben uns immer passiver verhalten, haben die Mainzer das Spiel machen lassen. Der FSV hat uns dann gezeigt, dass sie eine gute Mannschaft haben, gut spielen und den Ball laufen lassen können. Insofern haben wir nicht mehr die Kontrolle gehabt", erklärte Magath.
"Man muss ehrlich sagen, dass die Hertha uns in der ersten Viertelstunde mit ihrem Pressing beeindruckt hat. Diese druckvolle Phase mussten wir überstehen und haben es auch geschafft ohne Gegentor. Ab da haben wir es besser gemacht, standen höher, hatten das Spiel dann im Griff und sind verdient in Führung gegangen. Nach der Pause haben wir uns im Ballbesitz gut durchkombiniert und müssen aus meiner Sicht schon etwas früher das 2:1 machen", erklärte Bell, der schließlich das Drei-Punkte-Tor erzielte. "Heute hat es dann ein Standard-Tor sein müssen, was auch mal wieder schön war. Dass ich getroffen habe, war wichtig und hat mir auch gutgetan."
Trainer-Lob für Dahmen
Es war bezeichnend, dass es der routinierte Innenverteidiger war, der die Partie für die Gäste entschied. Bell war anzumerken, dass er diesen Erfolg erzwingen wollte, so oft, wie er allein ab der 70. Minute im gegnerischen Strafraum auftauchte: "Es war einfach wieder an der Zeit, auswärts zu gewinnen", sagte der 30-Jährige. "Für mich persönlich war es das erste Tor seit mehr als sechs Monaten. Und für uns als Mannschaft der erste Auswärtssieg seit einer gefühlten Ewigkeit. Es war ein schönes Tor. Das habe ich auch mal wieder gebraucht, weil ich zuletzt oft bei den Standards dabei war, aber selten getroffen habe. In so einem Spiel, das zeitweise doch ein bisschen zäh war, in dem sich alles im Mittelfeld abgespielt hat, ist dann so ein Standard-Treffer das perfekte Mittel, um zu gewinnen."
Finn Dahmen, der in Berlin zum ersten Mal in dieser Spielzeit in der Startelf stand, hatte keine Chance beim Elfmeter und überzeugte ansonsten seinen Trainer. "Er war sehr gut", sagte Svensson. "Finn hatte keine Spielpraxis. Der haut sich jeden Tag im Training rein und hat sich diesen Einsatz verdient. Wir hatten in dieser Saison bis jetzt 35 Pflichtspiele, und Robin Zentner hat jede Minute gespielt. Für mich war es selbstverständlich, dass Finn nun spielt. Er zeigt jeden Tag im Training seine Qualität."
"Es hat alle genervt, dass wir auswärts so wenig gewonnen haben. Ich denke aber, dass wir zu Hause etwas über Niveau gepunktet haben und auswärts ein bisschen darunter", erklärte Bell. Widmer fügte hinzu, generell müsse man auswärts mit breiterer Brust auftreten, "weil wir spielerisch oft besser sind. Da müssen wir uns mehr zutrauen, dann bin ich sicher, dass wir nächste Saison auswärts mehr Punkte holen werden."
Saisonfinale gegen die Eintracht
Mainz 05 belegt nach 33 Spielen nun Platz neun mit 45 Punkten. "Nächste Woche trainieren wir nochmal richtig und hoffen dann auf einen ordentlichen Abschluss mit einem Sieg gegen Frankfurt", sagte Dahmen. Am Samstag steigt das Bundesliga-Finale in der MEWA ARENA mit dem Rhein-Main-Derby gegen den Europa-League-Finalisten (freier Vorverkauf ab Montag). Mit einem Sieg über die Eintracht könnten die Mainzer auf 48 Zähler kommen. Das wäre das beste Saisonergebnis seit sechs Jahren.
Am Dienstag (11 Uhr) und Mittwoch (15.30 Uhr) haben alle Fans des FSV in dieser Woche zudem die Möglichkeit, ihr Team am Bruchweg hautnah zu erleben.