Profis 27.03.2020 - 16:00 Uhr
Trainieren im Homeoffice: "Müssen uns Luft nach oben lassen"
Sven Herzog, Leiter Athletik beim FSV, über fehlendes Mannschaftstraining, den Umgang mit Einschränkungen im privaten Bereich sowie die Bedeutung von Bewegung für Körper und Geist
Seit vergangenem Sommer ist Sven Herzog als Leiter Athletik hauptverantwortlich für die Fitness der Profis des 1. FSV Mainz 05. Gemeinsam mit Jonas Grünewald und Axel Busenkell trägt Herzog dabei in diesen Wochen besonders viel Verantwortung. So muss er mit seinem Team zum einen dafür sorgen, dass die Spieler fit bleiben, zum anderen geht es auch darum, das Immunsystem in Zeiten der Corona-Krise nicht zu stark zu belasten.
Im Interview mit mainz05.de spricht Herzog außerdem darüber, wie er und seine Familie die Einschränkungen erleben, wie der übliche Trainingsrhythmus simuliert wird und welche Rolle Bewegung für uns alle spielt. In den kommenden Wochen wollen wir zudem auch euch dabei unterstützen, im Homeoffice an euer Fitness zu arbeiten, lasst euch überraschen. Einen ersten Vorgeschmack findet ihr bei 05ER.tv.
Wie geht's dir und deiner Familie?
Herzog: Danke der Nachfrage, es ist schon eine besondere Situation. Aber meiner Familie und mir geht es soweit gut. Ich bin froh, dass man rausgehen und auch Sport treiben kann. Da verspüre ich als Individualsportler natürlich einen Drang. Insofern bin ich laufenderweise oder mit dem Fahrrad unterwegs, um abzuschalten.
Deine Tochter ist fünf Jahre alt und will beschäftigt werden: Hast du Tipps für andere Eltern?
Herzog: Ich habe Gott sei Dank ein sehr aktives Kind. Meine Tochter geht mit raus zum Rad fahren, wir versuchen, aktiv zu bleiben, auch wenn wir nicht auf die Spielplätze können, was schade ist. Aber wir renovieren gerade viel in der Wohnung und auch da versuchen wir sie mit einzubinden oder backen mit ihr Kuchen. Wir integrieren sie bei allem, auch wenn es mal nerven kostet (lacht).
Wie nimmst du die Situation derzeit wahr?
Herzog: Es ist sicher ein Stück weit surreal. Dennoch war ich mir irgendwo im Klaren darüber, dass es die Welt mal wieder erwischen kann. Mein Erstberuf ist Krankenpfleger, da habe ich eine gewisse medizinische Vorprägung. Dieses Szenario auf globaler Ebene haben viele Krankenhäuser auf lokaler Ebene schon häufiger erlebt. Wenn man in die Historie der Medizin schaut, gab es diese Ereignisse in jedem Jahrhundert. 1918 war es die Spanische Grippe, im Mittelalter gab es zwei, drei Pestwellen. Es ist insofern nichts Neues, was der Menschheit widerfährt, wir haben es nur lange nicht in der Form erleben müssen.
Was bedeutet diese Phase für einen Leistungssportler, wochenlang auf Teamtraining verzichten zu müssen?
Herzog: Was das Training angeht, sehe ich konditionell keine Probleme. Das können wir individuell sehr gut abbilden und den normalen Rhythmus simulieren. Schwieriger wird es in Sachen Ballgefühl und koordinativen Fähigkeiten. Dahingehend ist Fußball schon eine komplexe Sportart, in der man auch das richtige Raum- Zeitgefühl braucht. Das trainiert man auf dem Platz täglich. Insofern gehe ich davon aus, dass die ersten Trainingseinheiten irgendwann als Findungsphase dienen werden. Der Trainer sollte, wenn es soweit ist, in den ersten Einheiten vielleicht nicht ganz so viel erwarten.
Das Athletik- und Rehateam hat für die 05-Profis Fitnessvideos für die eigenen vier Wände produziert (Einblicke gewähren wir in den kommenden Wochen u.a. auf unserem Instagram-Kanal)
Wie sieht der Trainingsplan konkret aus?
Herzog: Wir versuchen in den Athletikprogrammen beispielsweise Sprünge zu integrieren, bei denen viel Exzentrik drinsteckt. Dazu kommen Tempoläufe mit Richtungswechseln. Ein, zwei Mal die Woche sind Läufe mit hoher Intensität dabei, die die übliche Belastung durchaus simulieren können. Über die Woche steigern wir das Ganze und einen Tag haben die Jungs immer frei. Zudem haben wir die Möglichkeit, das Training zu analysieren, weil alle Daten gemessen und in unsere Cloud hochgeladen werden.
Das heißt, in Sachen Intensität entspricht die Belastung dem normalen Trainingsbetrieb?
Herzog: Wir tragen eine hohe Verantwortung und müssen bei der Konzeption der Trainingspläne die richtige Balance finden. Denn wir müssen die Spieler auf der einen Seite fit halten, dürfen sie aber auf der anderen aber nicht runterhobeln. In Zeiten eines solchen Virus wäre es fahrlässig, das Immunsystem derart zu schwächen, dass es anfällig wird. Das haben wir auch so diskutiert und haben die klare Prämisse, dass die Gesundheit an erster Stelle steht. Das Training soll fordern, darf aber nicht überfordern. Zudem wissen wir aktuell nicht, wie lange es so weitergeht, wir müssen uns Luft nach oben lassen.
var vp_youtubeid = "c-mt-DyOHo8"; var vp_filename = "";Wie wichtig ist Bewegung grundsätzlich, aber gerade jetzt?
Herzog: Ich kann nur jedem empfehlen, sich auch zuhause zu bewegen und offen für Anregungen zu sein. Ganz einfach, weil man ein besseres Gefühl hat. Denn die ganze Situation belastet uns alle auch psychisch. Wir sind nicht dafür gemacht, eingesperrt zu sein. Insofern mein Appell: 'Bewegt euch, es beugt einem mentalen Loch definitiv vor!' Wie gesagt, haben wir den Vorteil, dass wir, mit Einschränkungen, vor die Tür dürfen. Die Sonne scheint. Und Vitamin D ist wichtig für die allgemeine Gesundheit und aktivieren können wir es nur unter UV-Licht.
Hast du Tipps hinsichtlich der Ernährung für Menschen, die doch die meiste Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen?
Herzog: Wenn man weniger Auslauf hat, benötigt der Körper grundsätzlich weniger Kohlenhydrate. Da schlage ich vor, dass man vor allem am Abend, nach 18 Uhr, 18.30 Uhr darauf verzichtet und stattdessen die Eiweißzufuhr hochfährt.
Du bist im vergangenen Sommer aus der DEL von den Augsburger Panthern an den Bruchweg gewechselt. Wie ergeht es den ehemaligen Kollegen dort?
Herzog: Aktuell geht es ihnen noch gut. Die Playoffs wurden gecancelt und die Saison abgebrochen. Dadurch fallen Prämienausschüttungen komplett weg. Ich weiß aber von einigen Klubs, dass es problematisch werden würde, wenn Spiele ohne Zuschauer stattfinden müssten. Denn der Eishockeysport finanziert sich, anders als der Fußball, in deutlich höherem Maße über Ticketverkäufe.