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Profis 08.12.2021 - 18:30 Uhr

Kirchhoff: "Diese Zeit war unbeschwert & leicht"

Im Sommer beendete Jan Kirchhoff seine Spielerkarriere und ist mittlerweile als Nachwuchstrainer tätig. Im Interview spricht er über seine Zeit bei Mainz 05, den Schritt zum FC Bayern, was ihn schwierige Phasen gelehrt haben und gibt einen optimistischen Tipp für das Duell am Wochenende ab.

57 Mal stand Jan Kirchhoff für die 05ER in der Bundesliga auf dem Feld.

Eines stellt Jan Kirchhoff gleich zu Beginn klar: Die Deutsche Meisterschaft der A-Junioren 2009 mit Mainz 05 bedeutet ihm mehr als die Titel, die er mit dem FC Bayern München später gewann. Generell hat der 31-Jährige, der im Sommer seine Profikarriere beim KFC Uerdingen beendet hat, sehr gute Erinnerungen an seine Zeit am Bruchweg. Aufgrund von Verletzungen musste Kirchhoff früh lernen, mit Widerständen und Rückschlägen umzugehen. Im Rückblick auf seine Laufbahn zeigt er sich sehr reflektiert und vor allem dankbar für das, was er für seinen neuen Weg mitnehmen konnte.

Seit dieser Saison ist Kirchhoff als Co-Trainer der U15 im Nachwuchsleistungszentrum des VfB Stuttgart tätig. Im Interview spricht er unter anderem darüber, wie bei Mainz 05 der Grundstein gelegt wurde, welche Trainer seine Sicht auf den Fußball geprägt haben und wie er sich durch schwierige Zeiten gekämpft hat.

Hallo Jan, was bedeutet dir mehr: Die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft mit Mainz 05 oder die Titel, die du mit dem FC Bayern gewonnen hast?

Kirchhoff: "Ganz klar, die Meisterschaft mit Mainz 05."

Vor über 12 Jahren hast du mit der Mainzer U19 diesen Titel feiern dürfen. Welche Erinnerungen verbindest du mit dieser Zeit?

"Viele positive: Es war eine richtig schöne Zeit in einer Mannschaft mit tollem Teamgeist, den wir damals gelebt haben und in der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Außerdem hatten wir auch sehr gute Trainer. Für uns alle kam damals erstmals das Gefühl auf, dass wir es in den Profifußball schaffen könnten."

Bestehen untereinander noch Kontakte mit den damaligen Mannschaftskollegen?

"Ja, man läuft sich auch immer mal wieder über den Weg. Eine meiner sehr guten Freundschaften im Leben besteht mit Tim Fliess (heute Teammanager DFB-Junioren, Anm. d. Redaktion), mit dem ich damals in der U19 zusammengespielt habe."

Deutscher A-Juniorenmeister 2009 mit dem FSV: Jan Kirchhoff (re.).

Die Grundlage bei Mainz 05 gelegt

Es wird oft von der 05-DNA gesprochen, die Bo Svensson und sein Trainerteam wiederbelebt haben. Erkennst du Inhalte im Spiel von Mainz 05, die ihr damals schon trainiert und auf den Platz gebracht habt?

"Thomas Tuchel hat das vielleicht noch weiter herausgekitzelt, aber das Gerüst beruht auf den Klopp-Zeiten. Bo Svensson tritt in die Fußstapfen der herausragenden Trainer, die Mainz über die Jahre hatte. Seit er da ist, sieht es wieder nach Mainz-05-Fußball aus, deutlich strukturiert, kompakt und die Mannschaft tritt als solche auf. Ich glaube, das hat Mainz 05 immer aus- und besonders gemacht. Wir haben mit hoher Intensität gespielt, es war für alle Gegner sehr unangenehm, das ist jetzt wieder so. Ich finde es toll, von außen zu sehen, wie man wieder zusammengefunden hat und dass es zu Erfolg führt."

Du bist deinem U19-Trainer damals zu den Profis gefolgt und hast nach einem Jahr verletzungsbedingter Pause 2010 dein erstes Bundesliga-Spiel gemacht und dich schnell etabliert. Warst du ein selbstbewusster Spielertyp?

"Ja, ich war immer selbstbewusst und habe daran geglaubt, dass ich das schaffen kann. Trotzdem ist das alles irgendwie passiert. Ich war im Flow und es hat sich entwickelt, gleichzeitig hatte ich mit Thomas Tuchel einen Trainer, der mich entwickelt und gefordert hat. Mainz war zu dem Zeitpunkt meine Heimat, ich habe mich unfassbar wohl gefühlt. Diese Zeit war unbeschwert und leicht. Ich habe den Fußball genossen, den wir gespielt haben. Ein bisschen war es so, wie man sich es als Kind vorstellt. Es war großartig, Teil des Vereins und dieser Mannschaft zu sein."

Hat Thomas Tuchel die Grundlage für deine weitere Karriere gelegt?

"Mainz 05 generell hat den Grundstein gelegt. Auch Volker Kersting muss ich im Nachhinein sehr danken, der mich damals geholt hat, nachdem mich Eintracht Frankfurt weggeschickt hatte. Er hat mir in der A-Jugend unter Jürgen Kramny ein neues Zuhause gegeben. Im zweiten U19-Jahr hat Thomas mir mehr Inhalte vermittelt, als ich vorher kannte. Das hat mir die Augen geöffnet, wie Fußball funktioniert und wie ich mich innerhalb kürzester Zeit verbessern kann."

Es war dann sicherlich ein Vorteil, dass er auch dein Trainer bei den Profis war…

"...klar, das war gut für mich. Ich habe mich unter ihm schnell entwickelt."

Zusammen mit Niko Bungert (re.) bildete Jan Kirchhoff in seinem ersten Bundesligaspiel im Dezember 2010 bei Eintracht Frankfurt die Innenverteidigung.

Von Mainz zum FC Bayern: Die weiteren Schritte

Du bist dann 2013 direkt zum Spitzenklub FC Bayern gewechselt. Würdest du das in der Retroperspektive als richtige Entscheidung bewerten?

"Ja, es war für mich die Chance, mich dort zu beweisen und unter Pep Guardiola trainieren zu können. Das war ein großer Anreiz. Im Nachhinein war ich aber auch noch zu jung, unerfahren und ungeduldig."

In welchen Situationen konkret?

"Mein erstes Halbjahr war gut und ich habe genug Einsätze bekommen, wahrscheinlich mehr als die meisten erwartet hatten. Ich wollte dann mehr und das war der falsche Schritt, Bayern nach einem halben Jahr wieder zu verlassen."

Was hast du dort von Pep Guardiola gelernt?

"Mit Thomas Tuchel hatte ich vorher schon einen herausragenden Trainer. Unter Pep habe ich nochmal weitere Details und Inhalte kennengelernt, die zunächst sehr verständlich heruntergebrochen und erklärt wurden. Wie man sich im Feld positioniert oder welchen Fuß man wann anspielen muss: Es war anders als das, was ich davor kannte. Seine Menschenführung und Begeisterung für den Fußball kamen hinzu. Das hat Spaß gemacht."

Hast du auf deinen weiteren Stationen beim FC Schalke 04 sowie in England beim AFC Sunderland und den Bolton Wanderers dann diese Freude etwas verloren?

"England habe ich unfassbar genossen, das war die schönste Zeit in meiner Karriere."

Inwiefern?

"Es war schon als Kind mein Traum, dort zu spielen und hat sich befreit und leicht angefühlt als eher unbeschriebenes Blatt. Durch mein Verletzungspech habe ich es leider nicht geschafft, fit zu bleiben. So ist es langsam bergab gegangen in meiner Karriere. Aber das erste halbe Jahr war eine großartige Erfahrung. Ich habe auch wieder andere Trainertypen kennengelernt, der Fußball ist dort anders organisiert."

Du hast deine Verletzungshistorie angesprochen, schon früh musstest du mit Blessuren kämpfen. Abgesehen von allen Widrigkeiten: Hat dir das geholfen, mit Widerständen umzugehen?

"Meine Karriere hat mit einem Achillessehnenriss und einer einjährigen Pause begonnen. Deshalb war es für mich leider Normalität, mich aus Verletzungen zurückzukämpfen. Das hat am Anfang gut geklappt, war auch lehrreich und hat mich geerdet. Ich musste mich viel mit meinem Körper beschäftigen. Trotzdem war das der Knackpunkt für mich, denn nach dem zehnten Muskelfaserriss, Knieproblemen und bleibenden Schäden an den Achillessehnen war es dann nicht mehr so einfach, sich aufzuraffen und zu motivieren. Insgesamt habe ich mehr gelernt als ich gelitten habe. Trotzdem hätte ich lieber darauf verzichtet."

Hat dir das auch geholfen, mit deiner Zeit als vertragsloser Spieler umzugehen?

"Die erste Zeit habe ich überlegt, ob ich noch weiter Fußball spielen möchte. Die Vertragsangebote haben mich auch nicht unbedingt überzeugt, aber ich habe dann beschlossen, dass ich gerne weiter Fußball spielen und Teil eines Teams sein möchte. Die letzten Jahre wollte ich genießen und mit einem anderen Anspruch angehen: Nicht so verbissen, sondern bewusster das Privileg zu leben. Der größte Benefit war, dass ich mich ab diesem Zeitpunkt darauf vorbereiten musste, was nach der Karriere kommt. Aber auch darauf hätte ich gerne verzichtet. Ich versuche immer, das Beste aus solchen Situationen zu machen, das ist mir ganz gut gelungen, glaube ich."

2007 wechselte Jan Kirchhoff in das NLZ am Bruchweg.

Karriereende und neue Aufgabe

Im Sommer hast du deine Karriere beendet. Was hat dich dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen?

"Trainer zu sein und im Jugendbereich zu arbeiten hat mir mehr Spaß gemacht, als selbst auf dem Platz zu stehen, weil ich nicht mehr gesund und gut genug war. Ich habe gespürt, dass es Zeit ist. Dadurch ist mir der Absprung leichtgefallen, es war gut so."

Beim KFC Uerdingen hast du schon nebenher im Jugendbereich gearbeitet und bist seit dieser Saison Co-Trainer der U15 des VfB Stuttgart. Warum wolltest du die Trainer-Laufbahn einschlagen?

"Ich habe in Uerdingen zwei Mannschaften betreut, weil ich helfen und lernen wollte. Nachdem klar war, dass ich nicht mehr spiele, bin ich auf die Suche gegangen nach einem Verein. Der entscheidende Punkt war dann das Gespräch mit Thomas Krücken (NLZ-Leiter beim VfB Stuttgart und bis 2019 im NLZ von Mainz 05 tätig, Anm. d. Red.), der mich überzeugt hat, dass der VfB der richtige Ort ist, um meine Trainerkarriere zu beginnen."

Wie läuft es bisher für dich?

"Sehr gut. Ich fühle mich hier mit den Leuten, mit denen ich täglich zu tun habe, sehr wohl. Es ist eine Top-Adresse im NLZ-Bereich in Deutschland. Hier herrscht eine gewisse Aufbruchstimmung mit vielen Ideen. Wir haben in der U15 einen guten Jahrgang zusammen und spielen bisher eine erfolgreiche Runde."

Bringst du deine Erfahrungen, die du unter Top-Trainern wie Tuchel und Guardiola gesammelt hast, nun ein?

"Alles, was ich über Fußball weiß, habe ich von meinen Trainern gelernt. Aber genauso habe ich Dinge mitgenommen, die ich so nicht machen möchte. Egal ob im NLZ, in der zweiten englischen Liga oder der Dritten Liga, überall konnte ich etwas mitnehmen. So hat sich mein Verständnis entwickelt, das ich nun einfließen lasse. Thomas Tuchel und Pep Guardiola waren natürlich prägende Figuren und sind für mich momentan das Nonplusultra im Weltfußball. Meine Idee vom Fußball basiert sehr darauf, was die beiden mir beigebracht haben."

Am Samstag sind die 05ER beim FC Bayern zu Gast. Was ist für den FSV aus deiner Sicht drin in dieser Partie?

"Ich glaube, dass der Fit zwischen den Mainzer Stärken und den Schwächen der Bayern gut ist, und würde mir wünschen, dass Mainz dort ein gutes Ergebnis erzielt. Es ist ein gutes Signal, dass es wieder möglich ist, die Bayern zu ärgern und dass gerade die Mainzer mal wieder an der Reihe sind mit ihrer Art und Weise des Fußballs, Paroli zu bieten. Es wäre toll, wenn es zu einem 2:1-Sieg aus Mainzer Sicht kommen würde."

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