Verein 21.12.2022 - 18:30 Uhr

"Jeder Fan ist uns wichtig"

Zum Abschluss des Jahres im Doppelinterview: Vereinsvorsitzender Stefan Hofmann und Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Volker Baas reden über die Bundesliga-Pause, die WM in Katar mit ihren Begleiterscheinungen, die Konsequenzen für den Fußball und die Perspektiven von Mainz 05.

Hallo Stefan, hallo Volker. Seit Mitte November ruht der Spielbetrieb in der Bundesliga. Stattdessen ist der Ball bei der WM in Katar gerollt. Wie habt ihr diese Zeit erlebt?

Hofmann: "Ich habe unsere spielfreie Zeit für eine private Reise mit meiner Frau genutzt. Die sollte eigentlich zu unserem Hochzeitsjubiläum stattfinden, wir mussten sie aber aufgrund von Corona verschieben. Jetzt war ein guter Zeitpunkt sie nachzuholen. Ansonsten waren wir bei Mainz 05 ja auch ohne die Spiele sehr aktiv mit einigen Aktionen für unsere Fans. Und dazwischen habe ich dann auch WM geschaut. Wer mich kennt, weiß, dass ich mir eigentlich Live-Fußball anschaue, wann immer es geht. Das war bei dieser WM nicht ganz so, sie hat mich aus verschiedenen Gründen nicht von Beginn abgeholt."

Baas: "Die WM im TV hat tatsächlich für mich keine größere Rolle gespielt. Ich bevorzuge Live-Spiele und konnte mit großer Freude einige sehr gute 05-Erfolge miterleben, so das 5:2 unserer U19 im DFB-Pokal-Viertelfinale. Die WM in Katar hat mir – auch wenn es sportlich einige sehr attraktive Spiele gab - schon deshalb wenig Freude bereitet, weil sie für mich auch ein Ausdruck einer Entwicklung war, die dem Fußball nicht guttut."

Inwiefern?

Baas: "Die undurchsichtigen Kriterien bei der Vergabe der WM nach Katar. Die fehlende Haltung der FIFA in Bezug auf die von ihr selbst propagierten Werte, insbesondere im Hinblick auf die Menschenrechte. Die fehlende Nachhaltigkeit des Turniers. Die fehlende Reflexion zur Weiterentwicklung des Fußballs und der Rolle, die Fans und Zuschauer dabei (noch) spielen sollen. Die WM bleibt bei mir allenfalls in Erinnerung als ein Ereignis, bei dem es um die größtmögliche Wertschöpfung für die FIFA selbst ging."

Hofmann: "Und aus sportlicher Sicht kommt noch hinzu, dass diese WM den über Jahre und Jahrzehnte etablierten Spielplan der Ligen komplett durcheinandergebracht hat. Das darf nicht sein, denn in den Vereinen hat der Fußball seine Basis. Mir bleibt das Turnier in Erinnerung als jenes mit den lautesten Begleiterscheinungen im Hinblick auf die Rahmenbedingungen im Austragungsland und der geringsten Fokussierung auf den Fußball, jedenfalls aus deutscher Sicht."

Stichwort Armbinde?

Hofmann: "Die One-Love-Binde steht sinnbildlich für verschiedene Entwicklungen, die mir nicht gefallen haben, gerade mit Perspektive auf den Weltverband. Der Fußball muss glaubwürdig bleiben. Der Fußball beansprucht für sich, allgemeingültige, übergeordnete Werte zu vertreten, dann muss er diese auch einfordern und darf sie nicht nur als Marketing-Strategie verwenden. Gerade auch die Vergabe einer Weltmeisterschaft ist hieran zu messen. Wir haben bei dieser WM aber auch lernen müssen, dass wir mit unseren in Deutschland gelebten und etablierten Wertvorstellungen im Kontext des Weltfußballs noch viel Aufbauarbeit leisten müssen. Für die Mehrzahl der teilnehmenden Verbände hat die Wertediskussion keine Rolle gespielt, auch das ist eine Wahrheit, die wir akzeptieren müssen. Für diese war die WM ungeachtet der Umstände das wichtigste Fußball-Ereignis des Jahres."

"Wir haben hingegen verpasst, die uns wichtigen Themen im Vorfeld der WM so zu managen, dass diese zum richtigen Zeitpunkt das nötige Gewicht erhalten. Es ist uns deswegen auch nicht gelungen, den Fußball dann spätestens ab Turnierbeginn in den Mittelpunkt zu rücken und das sein zu lassen, was er eigentlich immer war: ein über Grenzen und kulturelle Unterschiede hinweg begeisternder Sport, der vereint und zusammenführt, nicht trennt. Am Ende haben wir es unseren Fußballern überlassen, einen Konflikt zwischen unseren Wertevorstellungen auf der einen Seite und der Position der FIFA und des Gastgeberlandes auf der anderen Seite zu moderieren. Das konnte nicht funktionieren, weil es uns schon als Gesellschaft insgesamt vor eine große Herausforderung stellt."

Die WM ist inzwischen Geschichte. Blicken wir auf Mainz 05. Welche Erkenntnisse ziehen wir aus diesen Erfahrungen?

Baas: "Ich halte es für sehr wichtig, dass der deutsche Fußball seine Lehren aus diesen Erfahrungen zieht. Für uns als Verein kommt es jetzt darauf an, sich wieder auf uns selbst zu fokussieren, denn Mainz 05 und die Menschen, die diesen Verein lieben und unterstützen, sind das, was wir unmittelbar beeinflussen können. Die öffentlichen Diskussionen um die WM spielen für mich dabei auch eine Rolle, denn sie spiegeln die Gefühlslage unserer Gesellschaft wider, die sich zerrissen gibt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Corona-Pandemie, die Klimaerwärmung, der Krieg in der Ukraine, die aus diesen komplexen Zusammenhängen entstehenden wirtschaftlichen Belastungen und Sorgen der Einzelnen, die Suche nach Halt, und Orientierung und Werten – all dies schlägt auch auf einen Fußballverein wie den unsrigen durch. Unsere Herausforderung ist es mehr denn je, diese Rahmenbedingungen anzunehmen und mit unseren Fans nicht nur in Kontakt zu bleiben, sondern jeden einzelnen Fan spüren zu lassen, dass er uns wichtig ist."

Volker Baas & Stefan Hofmann (im Hintergrund) auf der Mitgliederversammlung 2021 mit Sportvorstand Christian Heidel.

Hofmann: "Wir wollen Menschen miteinander verbinden, nicht trennen. Gemeinschaft und Begeisterung erzeugen auf Basis dessen, was Mainz 05 ist und sein möchte. Menschen an uns binden und für uns begeistern. Ich wiederhole mich da gerne. Wir haben diesen Anspruch formuliert und folgen diesem auch. Verein, Spieler und Trainer waren in den vergangenen Wochen und Monaten nahbar wie selten zuvor, diesen Weg werden wir fortsetzen."

Welche konkreten Herausforderungen liegen zum Jahreswechsel vor dem Verein?

Hofmann: "Sportlich in der Bundesliga, das ist unsere Existenzgrundlage: Nach der langen Winterpause direkt gut in die Gänge zu kommen, um eine sorgenfreie Saison zu spielen. Der Spielplan ist ebenso spannend wie herausfordernd. Im Verein wollen wir angestoßene Entwicklungsprozesse vorantreiben, wir wollen den Neubau unserer Geschäftsstelle auf dem WOFGANG FRANK CAMPUS fixieren, die Zukunft der MEWA ARENA klären - und auch wir stecken in einem digitalen Transformationsprozess."

Baas: "Die Aufgabe des Aufsichtsrates ist, die operative Ebene des Vereins hierbei zu beraten und zu kontrollieren – gerade auch vor dem Hintergrund der für uns immer schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Bundesliga. Wir haben gemeinsam mit dem Vorstand die gleichen Schwerpunkte unserer Arbeit und Entwicklungsziele definiert und arbeiten hier sehr vertrauensvoll zusammen, auch wenn das nur wie eine Floskel klingt. Zu unseren Aufgaben gehört auch die perspektivische Installation eines dritten Vorstandsmitglieds, wie von mir ja bereits in der Mitgliederversammlung angekündigt. Wir sind uns intern darüber einig, welche Kompetenzbereiche diese Person abdecken sollte, aber dieses Profil ist nicht in Stein gemeißelt. Viel wichtiger ist uns, dass wir die zu unserem Verein passende Persönlichkeit finden. Hierfür werden wir uns die nötige Zeit lassen und haben keinen Zeitdruck. Die Arbeit in der Geschäftsstelle läuft rund, wir haben dort ein engagiertes, ambitioniertes und qualifiziertes Team."

Wie sieht euer persönlicher Ausblick auf den Jahreswechsel aus?

Baas: "Ich freue mich auf die Feiertage und die Zeit zwischen den Jahren mit meiner Familie. Und wie in jedem Jahr auch schon auf das Winter-Trainingslager."

Hofmann: "Weihnachten und Jahreswechsel sind immer ein wichtiger, erzwungener Einschnitt im Alltag, der auch einfach mal guttut. Da verdränge ich sogar meine Ungeduld bei der Vorfreunde auf unsere großen sportlichen Herausforderungen in den Wochen nach dem Neustart der Bundesliga."

Dann wünschen wir euch frohe Weihnachten und schon mal einen guten Rutsch!

Baas: "Das wünschen wir auch, ebenso allen Mitarbeitenden, Mitgliedern, Fans und Freunden. Ihr alle seid, was Mainz 05 ausmacht."

Hofmann: "Frohe Weihnachten an alle auch von mir. Danke für eure Unterstützung in diesem Jahr! Ohne euch wären wir nicht hier."

Danke für das Gespräch!