Röttgermann: "Wir können selbstbewusster auftreten“

Jochen Röttgermann ist der neue Vorstand Marketing & Vertrieb beim 1. FSV Mainz 05. Der 56-Jährige bekleidet diese Funktion seit dem 1. Juni und ergänzt damit den Vorstand um den Vereins- und Vorstandsvorsitzenden Stefan Hofmann und Christian Heidel, den Vorstand Sport und Kommunikation. Für Röttgermann ist das Engagement in Mainz auch eine Rückkehr ins berufliche Umfeld der Bundesliga. Im Interview äußert er sich am Rande des Trainingslagers der Profis in Schladming zu seinem Start bei den Nullfünfern und den nächsten Schritten.

Hallo Jochen! Du bist jetzt knapp zwei Monate in Mainz, wie ist die Eingewöhnung gelaufen?

Röttgermann: "Der Empfang beim Verein hätte für mich nicht besser laufen können. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wiederhole, falls sie dies lesen: Ich bin sehr positiv aufgenommen worden, im Verein herrscht ein offenes und familiäres Klima. Und auch die Stadt macht es einem sehr leicht, hier schnell anzukommen, zumal ich auch direkt eine schöne Wohnung gefunden habe. Mainz ist eine liebenswerte Stadt mit hohem Freizeitwert und Lebensqualität."

Für dich ist das Engagement bei Mainz 05 auch eine Rückkehr in den Fußball …

Röttgermann: "Ich war beruflich immer mit dem Sport verbunden, erst auf Agenturseite, später für 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen beim VfB Stuttgart. Die Verbindung zwischen den Emotionen des Sports und wirtschaftlichen und strukturellen Herausforderungen ist für mich besonders reizvoll und in keiner deutschen Sportliga so spannend wie in der Bundesliga."

Wie würdest du deine Aufgabenbereiche als Vorstand Marketing & Vertrieb im Verein in ein paar Sätzen beschreiben?

Röttgermann: "Mainz 05 hat seine eigene Identität als gallisches Dorf der Bundesliga, das aus seinen Ressourcen das Optimum herausholt, sich gegen stärkere Konkurrenz behauptet, sich sportlich über die Entwicklung von Talenten, Spielern und Trainern definiert, eine besondere familiäre Nähe zu seinen Fans und Verbindung zu Stadt und Region pflegt und sich seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Das ist ein gutes Fundament, auf dem der Verein als Marke wachsen kann. Gleichzeitig müssen wir aber auch notwendige Entwicklungen anstoßen, die sich positiv auf die Entwicklung der Zuschauer- und Mitgliederzahlen auswirken, die unser Merchandising ankurbeln und uns noch interessanter machen für Sponsoren. Das würde ich als meine zentralen Aufgaben zusammenfassen. Ich bringe hier meine Erfahrungen und mein Netzwerk ein, verstehe mich aber vor allem auch als Teil des Teams mit Stefan Hofmann und Christian Heidel im Vorstand und im gesamten Verein."

Welche besonderen Herausforderungen siehst du bei deiner Aufgabe?

Röttgermann: "Ich bin jetzt zwei Monate bei Mainz 05 und habe die Zeit genutzt, den Verein und seine Strukturen kennenzulernen. Der Verein ist insgesamt gut aufgestellt, hat viele gute Ideen und schon einige Entwicklungen angestoßen. Ich habe beispielsweise das Clubpartner-Testspiel in Grolsheim erlebt, da hat sich Mainz 05 mit all seinen Facetten und verschiedenen Abteilungen sehr gut präsentiert. Dieses Fanerlebnis können wir im Stadion und außerhalb der Spieltage aber noch verbessern, indem wir beispielsweise unsere Aktivitäten noch besser vernetzen. Das ist am Ende auch eine Gesamtaufgabe des Vereins, denn die Bundesliga steckt in einer digitalen Transformationsphase, die gerade auch einen Verein wie Mainz 05 vor neue Herausforderungen stellt."

Wie kann sich Mainz 05 unter diesem Aspekt noch wachsen?

Röttgermann: "Wachstum ist unbedingt nötig für einen Verein wie Mainz 05, wenn wir die sensationelle sportliche Bilanz von 13 Jahren Bundesliga in Serie ausbauen wollen. Aus wirtschaftlicher Perspektive müssen wir hier den gleichen Ehrgeiz entwickeln wie der Sport, der sich auf Grundlage seiner Spielidee ja auch fortlaufend hinterfragen und erneuern muss. Dieses Wachstumspotenzial erkenne ich auf jeden Fall im Verein. Die Aufgabe, sich in der Bundesliga zu halten wird jedoch immer schwieriger, weil einige Klubs aufgrund ihrer Historie oder ihres Standorts wirtschaftlich deutlich bessere Voraussetzungen haben. Wir müssen um unsere Position unter den besten 15 Klubs Deutschlands immer härter kämpfen müssen. Aber das ist gleichzeitig ein Auftrag für uns, den wir gerne annehmen."

Welche Hebel siehst du hier?

Röttgermann: "Es geht darum, stabil und nachhaltig zu wachsen. Das geht nicht, wenn man am Charakter eines Vereins vorbei handelt. Mainz 05 hat sich aus eigener Kraft mit seiner eigenen Geschichte einen festen Platz in der Bundesliga erarbeitet. Es geht vielmehr darum, die Stärken noch deutlicher als Qualitätsmerkmale herauszustreichen – und entsprechend zu bewerten. Der gesamte Verein kann hier auch selbstbewusster auftreten, das ist jedenfalls meine Wahrnehmung als Externer, der nun dazugestoßen ist."

Gab es während deiner Tätigkeit beim VfB Stuttgart vergleichbare Herausforderungen?

Röttgermann: "Die Klubs in der Bundesliga lassen sich in ihren Handlungsfeldern und den täglichen Herausforderungen durchaus miteinander vergleichen, auch wenn es natürlich teilweise signifikante Unterschiede ihrer Strukturen, Umfelder und wirtschaftlichen Voraussetzungen gibt. Die Aufgabe, sich zu entwickeln, zu wachsen, das Fanerlebnis zu verbessern und höhere Erlöse zu generieren, besteht bei jedem Klub. Beim VfB Stuttgart mussten wir zwei Abstiege bewältigen. Trotzdem ist eine wirtschaftliche Weiterentwicklung gelungen, die wir sehr analytisch mit Fokus auf die Region vorangetrieben haben. Mainz 05 eignet sich auch sehr gut als Partner für Unternehmen, die in der Stadt und der Region verwurzelt sind und die gemeinsam mit uns eine Partnerschaft entwickeln wollen. Und wir sind ebenso interessant für Unternehmen mit nationalen und internationalen Zielmärkten."

Wie sehen deine nächsten Schritte bei Mainz 05 aus?

Röttgermann: "Ich bin dabei, mit den verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen in meinen Bereichen Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Dabei geht aber Gründlichkeit vor Schnelligkeit, weil es mir wichtig ist, mir zunächst ein umfassendes Meinungsbild im Verein zu schaffen und auch die Einschätzung der vielen Stakeholder um den Verein herum zu bekommen und einfließen zu lassen. Auch dafür sind die Tage hier im Trainingslager und der Austausch mit den Partnern, die uns hier nach Schladming begleitet haben, sehr wichtig. An welchen Stellschrauben wir dann tatsächlich drehen, werde ich zusammen mit meinen Vorstandskollegen entscheiden."

Vielen Dank für das Gespräch!