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Profis 27.02.2022 - 12:00 Uhr

Jürgen Klopp: "Das mache ich"

Drei Worte und der Rest ist Geschichte: Heute vor 21 Jahren wurde Jürgen Klopp vom Zweitliga-Profi des 1. FSV Mainz 05 über Nacht zum Cheftrainer

Jürgen Klopp bei einem seiner ersten Fernsehinterviews als Trainer. (Foto: Bernd Eßling)

21 Jahre ist es jetzt her, dass der 1. FSV Mainz 05 seinen langjährigen Zweitliga-Profi über Nacht vom Spieler zum Cheftrainer beförderte, der seine Mannschaft dann vor dem drohenden Abstieg in die Regionalliga bewahrte, anschließend zweimal dramatisch scheiterte im Kampf um den Aufstieg in die Bundesliga; der es mit den 05ern dann aber doch ins Oberhaus des deutschen Fußballs schaffte. Und genauso lange hält sich in der Medienwelt das Märchen, die Weltkarriere des Fußball-Trainers Jürgen Klopp habe am Rosenmontag des Jahres 2001 begonnen. Doch das wäre in Mainz so gar nicht möglich gewesen. Denn vor Corona waren selbst in den größten sportlichen Krisenzeiten die Verhältnisse in dieser Stadt immer deutlich definiert: Zuerst kam der Rosenmontagszug, erst danach der Abstiegskampf. 

An jenem 26. Februar 2001 im närrischen Höhepunkt des Jahres, war Christian Heidel, der heutige Sportvorstand des Vereins, der einzige Entscheidungstrainer im Klub, der sich nicht dem Rosenmontagszug widmete. Der damalige Manager hing stattdessen am Telefon, sprach einen Tag nach der bitteren 1:3-Niederlage bei der Spielvereinigung Greuther Fürth in einer trostlosen Abstiegskampf-Situation mit verschiedenen Trainern, telefonierte mit eigenen Spielern, später mit dem erfolglosen Coach, um über die Lage zu beraten. Erst einen Tag nach dem närrischen Höhepunkt des Jahres, am Fastnachtsdienstag, an dem in Mombach traditionell der "Schismelle-Umzug" durch die Straßen zog, lud der 05-Vorstand die Presse nach Bad Kreuznach ein, wohin sich die Mannschaft zu einem Kurztrainingslager zurückgezogen hatte, um die Trennung von Cheftrainer Eckhard Krautzun öffentlich zu machen und dann die Katze aus dem Sack zu lassen: Jürgen Klopp, dem zu diesem Zeitpunkt verletzten und kränkelnden Rechtsverteidiger, die Verantwortung für die kriselnde Mannschaft zu übergeben. Einen Tag vor dem möglicherweise entscheidenden Nachholspiel am Bruchweg gegen den MSV Duisburg.

Am Fastnachtssonntag hatten die 05ER in Fürth sang und klanglos mit 1:3 verloren, die Mannschaft war auf den vorletzten Tabellenplatz abgerutscht, die Situation war niederschmetternd, es roch so richtig nach Abstieg. Sieben Spiele ohne Sieg, schlechteste Heimbilanz in der Liga, drittschlechteste Auswärtsbilanz. In der Stadt tobte längst die Diskussion, ob man bis 11 Spieltage vor Schluss alles falsch machen und dennoch nicht absteigen könne. Was also tun? Der 05-Trainer hatte in den neun Spielen als Nachfolger von René Vandereycken neun von 27 möglichen Punkten geholt mit einem Team ohne Zusammengehörigkeitsgefühl, ohne Selbstvertrauen, das immer tiefer abrutschte und in Fürth regelrecht desolat wirkte.

Der ehemalige Teamkollege war nun ihr Trainer: Die 05ER beim Heimspiel gegen Duisburg. (Foto: Bernd Eßling)

Warum sollten es die Spieler nicht selbst richten?

Irgendwann, so steht es in dem Buch "Karneval am Bruchweg: Die großen Jahre von Mainz 05 (Von Reinhard Rehberg und Christian Karn)" beendete Heidel seine Trainersuche desillusioniert. Prominente arbeitslose Trainer würden sich nicht auf den dünn dotierten Mainzer Schleudersitz setzen. Heidels Eingebung: Wenn der Markt keinen willigen und oder bezahlbaren 4-4-2-Experten hergab und sich bis zum Nachholspiel am Aschermittwoch gegen den MSV Duisburgs kein Trainer mehr einarbeiten könnte, warum, so der kühne Gedanke, sollten es die Spieler nicht selbst richten, den Karren selbst aus dem Schlamassel ziehen, den sie sich selbst eingebrockt hatte? Also sollte es ein Führungsspieler machen, einer, der die Lektionen des zweimaligen Abstiegsretters Wolfgang Frank gelernt hatte: das in Mainz etablierte 4-4-2, die Raumdeckung, das konsequente Pressing, die Motivationssache. Einer, der intelligent ist, anerkannt, rhetorisch begabt.

Heidel rief Harald Sturz an und erläuterte dem Klub-Chef seine Idee. Der stimmte zu. Kurz darauf auch Klopp, der mit der Mannschaft im Kurztrainingslager saß und nicht eine Minute lang überlegte. "Das mache ich." Das Ende einer 11 Jahre andauernden Karriere als Zweitliga Spieler mit 325 Einsätzen war damit besiegelt. Doch ernst wurde es erst eine Nacht später. Der Manager bestellte die Medien für Dienstagmittag nach Bad Kreuznach.

Vorstellung im Parkhotel 

Kurz vor 13 Uhr trudelten im Parkhotel die ersten Journalisten und ein Kamerateam ein. Zu diesem Zeitpunkt war die sofortige Beurlaubung des Trainers schon geregelt. Als dieser kurz vor zwei durchs Foyer schlenderte, sagte der damals 60-Jährige: "Gehen Sie erst mal auf ihre Pressekonferenz, damit habe ich nichts mehr zu tun, danach stelle ich mich. Ich bin keiner, der sich drückt." Kurz darauf stellten Strutz und Heidel den Interims-Coach vor: Jürgen Klopp (33), assistiert vom 40 Jahre alten Torwarttrainer Stephan Kuhnert.

Klopp übernahm also an diesem 27. Februar 2001 das Amt des Cheftrainers beim Zweitligisten. Der Diplom-Sportlehrer, der im Jahr 2000 den Trainer-A-Schein absolviert hatte, durfte zunächst mit einer Ausnahmegenehmigung des DFB die Nachholpartie gegen das Spitzenteam aus Duisburg und danach das Heimspiel gegen Schlusslicht Chemnitzer FC coachen.

Jürgen Klopp traf vom ersten Tag an den richtigen Ton: Beim Klub, den Fans und seinen Spielern (re., Sven Demandt). (Foto: Bernd Eßling)

Den richtigen Ton getroffen

"Ich konnte der Mannschaft zuletzt auf dem Platz nicht helfen, weil ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte war", sagte der neue Trainer. "Wir werden nun versuchen, brutal schnell den Schalter umzulegen, wir haben die Chance und das Potenzial, um drin zu bleiben." Klopp, der Publikumsliebling, wendete sich deshalb auch direkt an seine Fans: "Es ist keine Einstellungssache, wir sind auch nicht untrainierbar, wir kriegen es aber auf dem Platz nicht umgesetzt und brauchen Hilfe von unserem Publikum. Wir haben uns die Chance eigentlich nicht verdient, aber wir brauchen sie. Es wird nicht alles gelingen, aber wir werden Dinge ändern und es wird eine Mannschaft auf dem Platz stehen, die sich völlig verausgaben wird." Es gehe darum, ein anderes Defensivverhalten an den Tag zu legen. "Und zwar in einer Zone, wo wir dem Gegner wehtun können, dafür müssen wir keine acht Wochen lang trainieren." Klopp hatte schon bei seiner Antrittsrede den richtigen Ton getroffen.  "Ich habe nicht den Anspruch, dass ich sofort alles besser mache, woran andere hier gescheitert sind. Ich werde es aber versuchen müssen."

Wie hatte es überhaupt zu allem kommen können? Im Sommer 2000 verpflichteten die Mainzer den früheren belgischen Nationalspieler René Vandereycken als Coach des Zweitligateams. Der damals 47-jährige WM- und EM-Teilnehmer, der später Nationaltrainer wurde, nahm keine Rücksicht auf gewachsene Strukturen. Der neue Mann demontierte Führungsspieler, stellte das System um, schaffte die gewohnte Viererkette ab, spielte fortan mit einer Dreierkette. Es kam Unruhe in den Kader, die klare Linie fehlte, auf dem Platz funktionierte es nicht. Nach nur 12 Punkten aus 12 Spielen war für den Belgier im November Feierabend. Nachfolger Eckhard Krautzun führte sich mit der Aussage ein, er freue sich, "bei den Pfälzern am Bruchsee" zu arbeiten.

Aufstieg zur größten Fußball-Legende dieser Stadt

Unter Jürgen Klopps Regie gelang alles, was dessen beiden Vorgängern verwehrt geblieben war. Und bekanntlich noch so vieles mehr. Der damals vom Ersatzspieler zum Cheftrainer aufgestiegene heutige Erfolgscoach des Liverpool FC ist die größte Fußball-Legende dieser Stadt geworden. Und es gibt auch 21 Jahre nach diesem Fastnachtsdienstag kaum einen 05-Anhänger, der nicht von "unserem Kloppo" sprechen würde, wenn es um den Weltstar geht, der im Juni 55 Jahre alt wird.

Interessant ist auch, dass Klopp 21 Jahre nach seinem Trainerdebüt am Bruchweg nun am heutigen Sonntag im Wembley-Stadion das Finale des englischen Ligapokals bestreitet. Gegen den FC Chelsea. Und dessen Trainer ist bekanntlich Thomas Tuchel, dessen internationale Karriere ebenfalls in Mainz begann. Tuchel, seinerzeit vom 05-A-Jugend-Coach zum Cheftrainer der Profis befördert, ist Welttrainer des Jahres 2021 und damit Nachfolger von Klopp, der diese Auszeichnung 2019 und 2020 erhalten hatte.