Nach einer märchenhaft anmutenden Rückrunde haben die 05ER unter Chefcoach Bo Svensson in einem irren Schlussspurt doch noch den Bundesliga-Klassenerhalt klarmachen können. Eine Leistung von Trainerteam und Mannschaft, die umso erstaunlicher erscheint, wenn man sich die Ausgangslage vor Augen führt, in der Svensson, Christian Heidel und Martin Schmidt zum Jahreswechsel die sportlichen Geschicke des Vereins übernahmen. Nur sechs Punkte hatten die 05ER nach 13 Spieltagen auf dem Konto - der erste Saisonakt war geprägt von Pleiten, Pech und Pannen. Harte Monate für alle Mainzerinnen und Mainzer, die genauso zur Geschichte der Saison 2020/21 gehören, wie die sensationelle Entwicklung der Rückrunde.
Nach dem Pflichtsieg beim DFB-Pokal-Auftakt gegen Regionalligist TSV Havelse, begann die 15. Mainzer Bundesliga-Saison für den FSV mit einer echten Mammutaufgabe: Am ersten Spieltag ging es auswärts zu RB Leipzig, gegen das man in der Vorsaison in zwei Spielen 13 Gegentore kassiert hatte. Es gab also einiges gutzumachen, die Mainzer zeigten sich vor dem Ligaauftakt hochmotiviert – und mussten sich dem Vorjahres-Champions-League-Halbfinalisten am Ende dennoch mit 1:3 geschlagen geben. Für Paul Nebel und Niklas Tauer dürfte es dennoch ein unvergesslicher Nachmittag gewesen sein, die beiden Jungprofis feierten gegen die Sachsen ihr Bundesliga-Debüt.
Lichte übernimmt
Vor dem ersten Heimspiel der Saison gegen den VfB Stuttgart rückten dann zwischenzeitlich andere Themen in den Vordergrund, der Trainingsausstand der Profi-Mannschaft, die ein Zeichen der Solidarität für Stürmer Ádám Szalai setzen wollte - der Ungar war zuvor freigestellt worden, sorgte über Mainz hinaus für großen Wirbel. Im Duell gegen den schwäbischen Aufsteiger sprang dann, trotz früher Führung, erneut nichts Zählbares heraus. Nach einer denkwürdigen Woche und der 1:4-Niederlage folgte der nächste Paukenschlag: Chefcoach Achim Beierlorzer wurde freigestellt – der bisherige Co-Trainer Jan-Moritz Lichte übernahm die Mission, die Rheinhessen in ruhigere Fahrwasser zu lenken, doch die Ergebniskrise hielt an.
Dem Abgang von Ridle Baku zum VfL Wolfsburg nach 13 Jahren am Bruchweg, folgte einen Tag später die 0:4-Pleite gegen Union Berlin. Ein rabenschwarzer Tag für die Mainzer und ein Cheftrainer-Debüt zum Vergessen für Lichte. Nach der bitteren Niederlage sparten Trainer und Spieler nicht an Selbstkritik und wollten die Länderspielpause nutzen, um zurück in die Spur zu finden. Zumindest innerhalb der Mannschaft wurde es wieder ruhiger: Szalai kehrte ins Mannschaftstraining zurück und alle Beteiligten zogen einen Schlussstrich.
Leistungssteigerung wird nicht belohnt
Nach drei Niederlagen zu Saisonbeginn waren die 05ER nun um eine Reaktion bemüht, wollten sich schnellstmöglich dem drohenden Abwärtsstrudel entziehen und gingen mit großen Ambitionen ins Duell mit Bayer 04 Leverkusen. "Ich erwarte von allen, dass sie alles reinschmeißen, was da ist", forderte Lichte vor dem Spiel, in dem dann auch eine deutliche Leistungssteigerung gelang. Auf Punkte mussten die Rheinhessen aber weiter warten, ein Standardgegentor entschied die Partie zu Gunsten der Gäste.
Zumindest aber bedeutete der Auftritt des FSV gegen die Werkself einen Schritt in die richtige Richtung: Geschlossenheit, Leidenschaft und Defensivleistung stimmten Lichte positiv vor dem Spiel gegen Mönchengladbach, in das die Mainzer als punktloser Tabellenletzter, aber voller Tatendrang, gingen. Nach einer erneut ordentlichen Vorstellung gingen die 05ER jedoch auch gegen die Fohlen leer aus: Ein Doppelpack vor der Pause von Jean-Philippe Mateta hatte nicht gereicht, die Borussen drehten die Partie, der FSV war nahe dran am ersten Erfolg und wurde letztlich brutal bestraft. Niedergeschlagenheit und Wut machte sich nun bei den Rheinhessen breit, die Leistung stimmte zwar zuversichtlich, punktetechnisch hatten die Rheinhessen aber weiter nichts vorzuweisen.
Lebenszeichen im Kellerduell
Vor dem sechsten Spieltag also alle Augen auf Augsburg – doch auch in der Fuggerstadt kamen die Mainzer auf keinen grünen Zweig. Ein später Doppelpack von André Hahn führte zur sechsten Niederlage im sechsten Spiel. "In der ersten Halbzeit waren wir viel zu schlecht", sprach Kapitän Danny Latza nach der Partie Klartext, "45 Minuten Schlafwagenfußball", lautete das Fazit von Daniel Brosinski. Nach der nur schwer zu verdauenden Niederlage in Augsburg kam es schließlich zum Kellerduell mit dem FC Schalke 04, in dem die Mainzer endlich das Ruder herumreißen wollten.
Im Spiel zwischen dem Tabellenletzten und dem Vorletzten erlebten die Rheinhessen aber erneut einen ernüchternden Nachmittag: Eine zweimalige Führung reichte gegen die Knappen nur zur Punkteteilung, Jeremiah St. Juste traf zehn Minuten vor Spielende ins eigene Tor. Neben der mangelnden Chancenverwertung kam nun auch Pech dazu, der damalige Sportvorstand Rouven Schröder sprach von einer gefühlten Niederlage, die 05ER waren trotz des ersten Punkts endgültig ganz tief drin im Abstiegssumpf.
Der erste Sieg
Nach intensiver Vorbereitung während der Länderspielpause dann das lang ersehnte Erfolgserlebnis: Mit einem Hattrick führte Mateta den FSV in Freiburg zum ersten Saisonsieg - der Bann war gebrochen und vorsichtige Erleichterung machte sich breit. Gleichzeitig appellierte Lichte an seine Spieler: "Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass der Knoten jetzt gelöst ist und es automatisch so weiter geht." Und es sollte nicht so weiter gehen.
Weiter ohne Heimsieg
Mit dem Ziel, gierig zu bleiben, die Spannung hochzuhalten und den Schwung aus dem Freiburg-Spiel mitzunehmen, holten die 05ER gegen die TSG Hoffenheim immerhin einen Punkt. Alu-Pech und TSG-Stürmer Ihlas Bebou verhinderten den zweiten Sieg in Folge. Es war erneut mehr drin gewesen, doch es war nun klar erkennbar, dass sich die Mainzer noch lange nicht aufgegeben hatten.
Was dann folgte, durfte mit Fug und Recht als die ganz große Ernüchterung bezeichnet werden. Bei Aufsteiger Arminia Bielefeld gab es am zehnten Spieltag den nächsten herben Rückschlag, der die Rheinhessen wieder auf Platz 17 zurückwarf, und auch das nächste wichtige Kellerduell zuhause gegen den 1. FC Köln endete für den FSV ohne Punkte. Auch im sechsten Anlauf wollte der erste Heimsieg der Saison nicht gelingen.
Pokal-Aus vor Weihnachten
Lange Zeit zum Ärgern blieb aber nicht, in der Englischen Woche ging es für die Mainzer zu Hertha BSC nach Berlin, wo dank einer stabilen Defensivleistung – erstmals blieben die 05ER im Saisonverlauf ohne Gegentor – zum Jahresende zumindest ein Punkt für die Moral heraussprang. Auch gegen Werder Bremen präsentierten sich die Rheinhessen wenige Tage später defensiv über weite Strecken stabil, ließen offensiv aber die letzte Durchschlagskraft vermissen. Werder-Joker Eren Dinkci bestrafte das in der 90. Minute und schoss die Hanseaten zum 1:0-Sieg.
Nach einem Halbjahr voller Pleiten, Pech und Pannen passte es ins Bild, dass der FSV auch im letzten Bundesliga-Spiel des Jahres punktlos geblieben war - Frust, Enttäuschung und Niedergeschlagenheit waren die Folge, bevor einen Tag vor Heiligabend der VfL Bochum das Mainzer DFB-Pokal-Aus besiegelte und den Rheinhessen so die Festtagsstimmung endgültig verhagelte.
Bereits einen Tag zuvor hatte Sportvorstand Schröder den FSV verlassen, um den Weg für einen Kurswechsel freizumachen. Ein Neuanfang musste her – alles wurde auf Null gestellt. Dass die Qualität des Kaders sich in der tabellarischen Situation keinesfalls widerspiegelte, sollte sich jedenfalls bald zeigen und wird eines der Themen in Teil zwei unseres Saisonrückblicks.