Profis 24.04.2020 - 19:30 Uhr
Startrekord mit Qualität und Leidenschaft
Erinnerungen an die Rekordsaison 2010/11: Sieben Siege in Folge versetzen ganz Mainz in kollektive Verzückung - Am Ende 58 Punkte
Mainz bleibt zu Hause. Die Corona-Krise bietet uns die Zeit, mal wieder an wichtige und emotionale Ereignisse aus der Klub-Vergangenheit zu erinnern. Zum Beispiel an die Saison 2010/11, die bisher erfolgreichste Spielzeit des 1. FSV Mainz 05 in der Bundesliga. An deren Ende die Mannschaft von Thomas Tuchel einen sensationellen fünften Platz belegte und sich damit erstmals aus eigener Kraft für den Europapokal qualifizierte.
58 Punkte sammelte das Team. Mehr Zähler holten die 05-Profis nur in der Zweiten Liga, bei ihren beiden Nichtaufstiegsdramen (64 und 62) sowie beim Wiederaufstieg 08/09 (63).
Bancé springt ab
"Ich glaube, wir haben eine richtig gute Truppe zusammen", sagte Christian Heidel nach der Vorbereitung seinerzeit der Mainzer Rhein-Zeitung. Doch einige Tage vor dem Saisonstart gab's erst einmal Aufregung. Aristide Bancé, der wuchtige und torgefährliche Mittelstürmer, folgte "dem Lockruf des Geldes" (Rhein-Zeitung) und wechselte nach Dubai. Ádám Szalai, nun fest verpflichtet von Real Madrid, Sami Allagui, der aus Fürth gekommen war, mussten also die Geschichte im Angriff regeln. Zusammen mit Andreas Ivanschitz und natürlich André Schürrle, der vom A-Jugend-Spieler zum Leistungsträger herangereift war. Marcel Risse (Leverkusen) und Lewis Holtby (Schalke) kamen für die Offensive hinzu. Für die Abwehr zog Heidel Christian Fuchs, den Linksverteidiger aus Bochum an Land, Marco Caligiuri als Allrounder aus Fürth.
Und dann ging so richtig die Post ab: 2:0 gegen Stuttgart, 4:3 in Wolfsburg, 2:1 gegen Kaiserslautern, 2:0 in Bremen, 2:0 gegen Köln, 2:1 beim FC Bayern und 4:2 gegen Hoffenheim. Bundesliga-Startrekord eingestellt. Sieben Siege, 21 Punkte, Tabellenführung, drei Zähler vor dem BVB. Die Übertragungswagen diverser TV-Sender, überregional arbeitende Sportjournalisten waren plötzlich Stammgäste beim Training am Bruchweg. Die 05ER waren überall angesagt und boten Gesprächsstoff wie sonst nur die Top-Klubs.
Die besten 05
"Die Festspielwochen im Theater der Träume haben ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die jüngste Inszenierung eines Märchens über dessen Fortsetzung und Ausgang ein ganzes Land rätselt, versetzt eine Stadt in kollektive Verzückung. Der altehrwürdige Bruchweg erlebt in seiner letzten Spielzeit die endgültige Verwandlung zur Kultstätte einer grandiosen Epoche, zur Schaubühne, auf der ein fantastisches Ensemble eine Erfolgsstory zelebriert, die fast zu schön ist, um sie schon zu begreifen", schrieb die Rhein-Zeitung begeistert.
Ein besonderes 4:3
Der 05-Trainer hatte nahtlos angeknüpft an die Saison zuvor, seinen von Lauf- und Kampfbereitschaft, von Leidenschaft beseelte Vollgasveranstaltungen, in denen die Profis des FSV bis an ihre körperlichen Grenzen gingen in ihrem Zweikampfverhalten, zusätzlich einen überaus vernünftigen Ballbesitz eingeimpft. Defensiv bestens organisiert, spielte die Mannschaft Kombinationsfußball mit allen Ausprägungen, taktisch stets optimal vorbereitet, sicher in allen Grundordnungen und Spielsystemen. Gestärkt durch diese sinnstiftenden Momente, wie das 4:3 in Wolfsburg, das die Mannschaft zusammenschweißte. Dieses Selbstvertrauen, das sich durch solche Auftritte in den Köpfen aller Spieler im Kader festsetzte, trieb die Mannschaft in variierenden Besetzungen zu Höchstleistungen.
Presseschau
In Wolfsburg, einem Team gespickt mit Top-Stars wie Dzeko oder Mandzukic, lag Mainz 05 nach einer halben Stunde mit 0:3 hinten, ehe Neuzugang Morten Rasmussen der Anschlusstreffer gelang, Elkin Soto, Schürrle und Szalai nach der Pause einen unfassbaren Auswärtssieg hinzauberten. Und dann kam jener 25. September, an dem die 05ER ihren ersten Sieg beim großen FC Bayern feierten. "Ein David mit List und Leidenschaft", titelte die Rhein-Zeitung anschließend.
Die 90 Minuten in der prallgefüllten Allianz Arena waren ein atemberaubender Schlagabtausch der Taktikmeister Tuchel und Louis Van Gaal, in dem die größere Leidenschaft und die positiv fanatische Konsequenz in der Umsetzung der taktischen Vorgaben am Ende den Ausschlag für die Gäste gaben. Ein Paradebeispiel aggressiver Vorwärts-Verteidigung, gepaart mit Effizienz. Allagui traf per Hacke zur 1:0-Führung, die Bo Svensson mit einem kuriosen Kopfball-Eigentor ausglich. Szalai war es, der schließlich mit einem Drehschuss nach Schürrle-Vorarbeit den Sieg sicherstellte. "Das war eine taktische Meisterleistung der Mainzer", sagte Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge. Und das ZDF-Sportstudio feierte die "Bruchweg-Boys" als kongeniale Musik-Combo (Den Auftritt von Szalai, Schürrle und Holtby könnt ihr euch übrigens hier noch einmal ansehen).
Den alleinigen Startrekord mit acht Siegen in Folge aufzustellen, gelang dem Team allerdings nicht. Im Heimspiel gegen den HSV erwischte es die Mannschaft erstmals. 0:1 hieß es am Ende einer hochklassigen Partie. Doch eine Woche später gab's den nächsten Auswärtssieg im Spitzenspiel in Leverkusen. Durch ein Jokertor von Ivanschitz. "Entweder gut eingewechselt oder von Anfang an falsch aufgestellt", sagte Tuchel nachher lässig.
33 Punkte standen zu Buche nach der Vorrunde, in der es dann auch etliche Rückschläge gab, einigen Spielern die Form verloren ging. Ein Winter-Trainingslager in der Erlebniswelt des FC Barcelona sollte wieder mehr Frische in Köpfe und Beine bringen. Sowie neue Ideen, inspiriert von Pep Guardiolas Barcelona.
Bilder der Saison
Empfang der Eurohelden
Nach zwei Auftaktniederlagen sicherte Holtby den 1:0-Sieg im Derby in Kaiserslautern. Doch die Rückrunde blieb ein Auf und Ab mit Höhepunkten wie den Auswärtserfolgen in Hoffenheim und Hamburg, dem Unentschieden beim Spitzenreiter BVB, aber auch Schwächephasen. Immerhin hielt die Mannschaft den Vorsprung auf den 1. FC Nürnberg im Kampf um die Europa. Das 3:0 gegen Eintracht Frankfurt und das 3:1 beim Champions-League-Halbfinalisten auf Schalke sicherten schließlich die erste Europapokal-Teilnahme aus eigener Kraft. "Der Empfang war eines Meisters würdig. Mainz begrüßte seine Eurohelden mit bengalischem Licht, mit Feuerwerk und Jubelgesängen", schrieb die Rhein-Zeitung. 1500 Fans bereiteten der Mannschaft am Bruchweg eine stimmungsvolle Willkommensparty nach der Rückkehr aus Gelsenkirchen.
Die Rekordsaison endete mit einem 2:1-Erfolg gegen den FC St. Pauli. Und auf einem nie erwarteten sportlichen Höhepunkt nahmen der Verein, die Spieler und die Fans endgültig Abschied von ihrer traditionsreichen Spielstätte. Ein emotionaler Abschied. Aber wie die Rhein-Zeitung schrieb, auch "ein Aufbruch zu neuen Ufern". Seit der Saison 2011/12 spielen die 05ER in der neuen Arena. Der Bruchweg ist als Trainings- und Nachwuchs-Leistungs-Zentrum das Herz des Vereins geblieben.