Profis 10.04.2020 - 19:30 Uhr
"Wir waren darauf vorbereitet, dass es so kommt"
Trotz furioser Rückrunde und 13 Zidan-Toren gab’s 2007 den bisher einzigen Bundesliga-Abstieg - Klopp: "Das unglaublichste Publikum der Welt"
Mainz bleibt zu Hause. Zeit genug also, mal wieder an wichtige und emotionale Ereignisse aus der Klub-Vergangenheit zu erinnern. Beispielsweise an die Saison 2006/07, an deren Ende der bisher einzige Abstieg des 1. FSV Mainz 05 aus der Bundesliga stand.
Für Jürgen Klopp war jener Freitagabend Anfang August 2006 der erste Kontakt mit dem Klub, mit dem er als Trainer später die Champions League gewinnen sollte und aktuell die Tabelle der Premier League anführt. Die 05ER feierten ein Fußballfest gegen diesen FC Liverpool in der Vorbereitung auf ihre dritte Bundesliga-Saison. 5:0 gewann Klopps Team das Testspiel gegen die Engländer. Die 05-Fans am Bruchweg sangen begeistert "Football's coming home".
Ernüchterung nach dem Fußballfest
Doch es dauerte nicht lange, bis Ernüchterung einkehrte, bis mehr und mehr klar wurde, dass die Hoffnungen, Klopp könne den gewaltigen Umbruch im Kader mit der schnellen Ausbildung von Talenten auffangen, im Ligabetrieb zerplatzten. Von den fünf Torschützen gegen den LFC entwickelte sich lediglich der vom 1. FC Köln gekommene Markus Feulner nach einer gewissen Anlaufzeit zum Stammspieler. Die übrigen, Tobias Damm und Fatmir Pupalovic aus dem eigenen Nachwuchs, Chadli Amri, der aus Saarbrücken kam sowie Ranisav Jovanovic, spielten im Laufe der Saison nur eine untergeordnete Rolle.
Die Mainzer starteten noch verheißungsvoll, schlugen im ersten Spiel den VfL Bochum mit 2:1, holten danach einen Punkt in Dortmund (1:1), genauso wie gegen Eintracht Frankfurt. Doch dem Auftaktsieg sollte bis zur Winterpause kein einziger Dreier mehr folgen. Klopp versuchte alles, verabschiedete sich vom in den Vorjahren etablierten 4-2-3-1, spielte mit der Raute und ging dann zurück zum flachen 4-4-2, verschob den ganzen Laden nach hinten. Das brachte nochmal Punktgewinne, doch nach dem 0:4 zum Vorrundenende gegen den FC Bayern musste Christian Heidel das konstatieren, was der Mainzer Rhein-Zeitung als Schlagzeile diente: "Die Mainzer Philosophie ist gescheitert."
Wenn man nach 17 Spielen Tabellenletzter sei und sechs Punkte Rückstand habe, müsse man feststellen, dass die Mannschaft in dieser Zusammensetzung und mit dieser Leistung nicht bundesligataiglich sei, erklärte der damalige Manager. Heidel gestand, die Einkaufspolitik sei falsch gewesen. "Wir haben nicht den Weg gewählt mit teuren ausländischen Spielern, müssen aber jetzt erkennen, dass wir damit keine Chance haben", sagte Heidel. "Wir kriegen die notwendige Qualität nicht auf den Platz."
Verlust der Top-Spieler
Mit Abstand das größte Problem lag im Angriff. Elf Tore in der Vorrunde, damit lagen die 05er weit hinter der Konkurrenz. Im Sommer hatte Heidel den Vertrag von Benjamin Auer nicht verlängert, Michael Thurk war nach Frankfurt gewechselt, Mohammed Zidan zu Werder Bremen, Niklas Weiland hatte seine Karriere beendet, die Offensivleute Antonia da Silva und Dennis Weiland den Klub verlassen. Allesamt Top-Leute auf gutem Bundesliga-Niveau. Die Nachfolger, Spieler wie Damm, Jovanovic, Bakary Diakaté, Edu oder Claudius Weber waren nicht in der Lage das aufzufangen.
Der Saisonverlauf in Presseberichten
Und Heidel handelte. Nach langen Verhandlungen holte er Zidan für die damalige Rekordablöse von 2,8 Millionen Euro zurück. "Als der Anruf meines Beraters kam, alles sei klar, habe ich richtig heftig geweint", erzählte der kleine Ägypter, der in Bremen kaum gespielt hatte, der MRZ. "Jetzt bin ich wieder zu Hause." In Bremen schnappte sich der Manager zudem Leon Andreasen, einen torgefährlichen Mittelfeldkämpfer. Zudem kam in dieser Rückrunde Elkin Soto neu dazu, der zwar drei starke Leistungen ablieferte, sich dann aber schwer verletzte und lange ausfiel.
Die besten 05 im Video
"Wir haben uns die perfekte Ausgangsposition geschaffen", sagte Klopp vor dem Rückrundenstart. "Eine außergewöhnlich dreckige Situation. Mit ganz geringen Erwartungen. Vielleicht können wir jetzt alles raushauen." Andreasen führte die 05ER als Leader zum 1:0-Auswärtssieg in Bochum, den Marco Rose mit seinem Treffer sicherstellte. Der Däne schoss dann das Siegtor im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (1:0). Es folgte das 0:0 im Derby in Frankfurt, ehe die Mainzer einen legendären Auftritt in Cottbus hinlegten, bei dem Soto Regie führte, Andreasen das Team in Führung brachte, und der kleine Ägypter die übrigen drei Treffer erzielte.
Die Konkurrenzfähigkeit war wieder hergestellt. Klopps Team rückte in der Tabelle, in der alle Mannschaften hinter den Europapokalplätzen abstiegsgefährdet waren, zwischenzeitlich sogar auf Platz zehn vor. Doch danach folgten wieder zu viele Niederlagen. Nach dem 3:0-Sieg am Bruchweg gegen Mitabsteiger und Schlusslicht Mönchengladbach war der Abstieg besiegelt. Am Ende der Saison fehlte ein Sieg. Trotz der unfassbaren 13 Tore, die Zidan in 14 absolvierten Rückrundenspielen erzielte.
Enttäuschung & Aufbruchsstimmung
Abschied mit feiernden Fans
"Wir waren darauf vorbereitet, dass es so kommt", sagte der Manager nach der Gladbach-Partie. "Wir haben noch auf ein Wunder gehofft, das nicht eingetreten ist. Wenn wir schon absteigen müssen, dann so wie jetzt hier: Es waren drei richtig tolle, geile Jahre für diesen Verein. Wir waren bestimmt eine Bereicherung für die Liga und wir werden versuchen, wieder zurückzukehren."
Die Anhänger bejubelten den Absteiger, überschütteten die Mannschaft mit Sympathiekundgebungen. 34 Spieltage lang hatten die 05-Fans ihr Team mit aller Leidenschaft und Emotion gestützt. Das Bruchwegstadion war immer mit 20.300 Zuschauern prall gefüllt und ausverkauft. Und immer ein Hexenkessel. Und Jürgen Klopp schaffte es, die Emotionen in Worte zu fassen, trotz brüchiger Stimmbänder. "Uns war heute nur wichtig, Euch zu zeigen, wie unglaublich fantastisch es ist, wie überragend es ist, das Ganze für Euch machen zu dürfen. Ihr seid das unglaublichste Publikum der Welt." Die Mainzer Rhein-Zeitung schrieb anschließend: "Auch diese Mainzer Abstiegsstunde wird in die Klub-Annalen eingehen. Als ein würdiger Moment. Sentimental, nicht rührselig. Diese Atmosphäre am Bruchweg weist in die Zukunft."