Profis 10.04.2022 - 13:20 Uhr
"Darüber müssen wir sprechen"
Schlecht verteidigte Ecken bringen FSV um den Lohn in Köln nach starker Stunde und klarer Führung - Svensson: "Bitter, wie die ganze Woche"
Als Marcus Ingvartsen in der Nachspielzeit im Fünfmeterraum der Ball vor die Füße fiel, nachdem der Kölner Torhüter einen Schuss von Kevin Stöger reflexartig abgewehrt hatte und der dänische Mittelstürmer die Kugel vollspann übers leere Tor drosch, war klar, dass der 1. FSV Mainz auch im dritten Auswärtsspiel dieser Englischen Woche keinen Sieg mit nach Hause nehmen und sich nicht für eine lange Zeit sehr starke Vorstellung belohnen würde. Eine Verkettung von Fehlern bei Standardsituationen brachte den scheinbar geschlagenen 1. FC Köln zurück ins Spiel, und die Gastgeber, unterstützt von fast 50.000 euphorischen Zuschauern, drehten noch eine Partie, in der sie gut eine Stunde lang deutlich unterlegen waren und fügten der schon so lange andauernden Auswärtsgeschichte des Teams von Bo Svensson ein weiteres unschönes Kapitel hinzu. "Wenn wir auswärts 2:0 führen, kann es einfach nicht sein, dass wir noch 2:3 verlieren", brachte es Anton Stach auf den Punkt. Der Nationalspieler war sichtlich konsterniert, genauso wie seine Mitspieler. "Das Ist sehr bitter für uns. Bitter, wie die ganze Woche", bestätigte auch der 05-Cheftrainer die Gefühlslage aller Mainzer. "Ich fand, dass in allen drei Spielen viel mehr drin war", erklärte der 42-Jährige.
Doch von den neun möglichen Punkten schafften sich die Mainzer am Ende der Woche nur einen einzigen auf ihr Konto mit dem Unentschieden bei Borussia Mönchengladbach. Eine nicht zufriedenstellende Bilanz, vor allem deshalb, weil die 05ER an den beiden Niederlagen einen zu großen Eigenanteil hatten. "Das ist nicht schön", sagte Stach zerknirscht.
Und damit war lange Zeit in dieser Begegnung auch wirklich nicht zu rechnen. Denn anders als beim 1:1 in Gladbach, wo sie erst zur zweiten Halbzeit so auftraten wie sie sich das vorgenommen hatten, dann aber aus ihrer Dominanz nicht genug Kapital schlugen und dem ähnlich späten Leistungsunterschied in Augsburg, zeigten die Mainzer Profis in Köln von Beginn an die komplette Bereitschaft. Sie kontrollierten sofort das Geschehen, setzten den Gegner im eigenen Stadion schon an dessen Strafraum unter Druck, ließen den FC nicht ins Spiel, gewannen die Zweikämpfe, eroberten permanent Bälle und gingen schon früh in Führung durch Jonathan Burkardts Treffer, den der an die Kölner ausgeliehene Luca Kilian noch unhaltbar abfälschte. Nach einer Großchance von Jean-Paul Boëtius, der nach Kopfballvorlage von Onisiwo aus spitzem Winkel scheiterte, sprach zehn Minuten nach der Pause alles für einen Mainzer Erfolg: Onisiwo hämmerte den Ball nach Zuspiel von Dominik Kohr hoch in den linken Winkel zum 2:0.
Fuß reinbekommen und das Spiel übernommen
Doch der fünfte Treffer des Österreichers war nicht die Vorentscheidung, denn FC-Trainer Steffen Baumgart wechselte dreimal, was sich als entscheidender Schachzug erweisen sollte. Und das Unheil nahm seinen Lauf. "60 Minuten lang war es ein sehr gutes Auswärtsspiel von uns. Wir haben klar geführt, verdientermaßen", sagte Martin Schmidt nachher. "Vielleicht waren wir uns da etwas zu sicher, der Gegner war eigentlich platt", vermutete der Sportdirektor. "Dann kommt aus heiterem Himmel diese Ecke und das 2:1. Das hat sie wieder ins Leben gebracht. Ab da waren sie im Spiel. Der Rückenwind war dann da durch die Zuschauer. Wir mussten klein beigeben. Sehr, sehr schade für die erste, gute Stunde von uns. Sie hatten im Zentrum dann das Übergewicht, da hat man gemerkt, dass sie den Fuß reinbekommen und das Spiel übernommen haben. Das hat die gepusht und uns zum Überlegen gebracht", erläuterte der Schweizer.
Den Gegner zurückgebracht
"Bis zum 2:1 hatten wir das Spiel sehr gut im Griff", sagte auch Svensson. "Mit dem dreifachen Kölner Wechsel und dem Standard, den wir natürlich sehr schlecht verteidigen, bringen wir den Gegner zurück ins Spiel." Müdigkeit nach drei schweren Auswärtsspielen? "Das würde ich nicht sagen", so der 05-Chefcoach. "Wir verlieren einfach die Duelle wie beim ersten Tor, sind nicht körperlich genug und verlieren den Gegner am zweiten Pfosten aus den Augen. Das liegt nicht an der Kraft. Da müssen wir drüber sprechen", sagte Svensson. "Es ist einfach schade, denn Köln hat aus dem Spiel heraus nicht viel kreiert. Doch Standards sind ein wesentlicher Teil des Spiels, und die haben wir leider wieder nicht verteidigt."
Wie schon am Mittwoch beim 1:2 in Augsburg. "Wir haben dort zwei Tore nach Ecken geschnappt, da wurde eins von aberkannt. Jetzt wieder zwei Eckentore. Das darf uns nicht passieren. Vier Standardgegentore in zwei Spielen, das ist zu viel, da müssen wir über die Bücher gehen", betonte Schmidt. Das sah der Trainer genauso. "Schlecht verteidigte Standards hatten wir nicht nur in diesen letzten zwei Spielen, es war auch Dortmund, Freiburg, wo es wegen des schlechten Verhaltens bei Standard-Situationen nicht zu möglichen Unentschieden oder Siegen gereicht hat", betonte Svensson.
Zwei Gegentore nach Ecken
Zwei Tore fing der FSV, der in der zweiten Hälfte ohne den langen Abwehr-Mittelmann Alexander Hack auskommen musste, der wegen einer Sprunggelenkverletzung in der Kabine blieb, nach Ecken. Beim ersten setzte sich Anthony Modeste im Kopfballduell mit Stefan Bell durch, der Ball wäre am langen Pfosten vorbeigeflogen, doch im Rücken von Dominik Kohr setzte sich Ellyes Skhiri ab und köpfte die Kugel ins Netz. Das Siegtor erzielte ausgerechnet Leihspieler Kilian. Vorangegangen waren erneut eine Ecke, ein Özcan-Kopfballaufsetzer aus sechs Metern Entfernung und eine Glanzparade Zentners. Kilian staubte aus zwei Metern zum 3:2 ab. Nur das 2:2 erzielten die Kölner aus dem Spiel heraus. Marc Uth dribbelte sich an Bell vorbei und in Moussa Niakhaté hinein, spitzelte aber den Ball noch in den Strafraum, wo Ljubicic aus vollem Lauf abzog. Zentner kam nicht dran. "Köln hatte nach dem 2:1 nicht viele Chancen. Wir verteidigen es nicht gut. Beim 2:2 sind es Kleinigkeiten", betonte Svensson.
Der Anschlusstreffer war aber der Auslöser dafür, dass die Mainzer am Ende nicht den Lohn erhielten, den sie sich mit der beherzten Leistung und dem Aufwand der ersten Stunde eigentlich redlich erarbeitet hatten. Der Aufwind, den der Anschlusstreffer den Gastgebern gab, war überall zu spüren. "Die Kölner hatten jetzt im Zentrum Übergewicht, die Zuschauer haben sie gepusht, und wir haben uns niederrennen lassen“, konstatierte der 05-Sportdirektor.