Profis 23.04.2022 - 12:30 Uhr
"Nichts mit dem zu tun, was wir uns sonst auf die Fahne schreiben"
Erste Halbzeit mit fünf Gegentoren in Wolfsburg bedarf gründlicher interner Aufarbeitung
Als Harm Osmers zurück kam von der Seitenlinie, wo er sich der Schiedsrichter die Bilder der fraglichen Szene am Monitor angeschaut hatte, dann mit den Händen das Zeichen für den Videobeweis in die Luft schrieb, Niklas Tauer die Rote Karte Zeigte und das 05-Eigengewächs vom Platz schickte, war klar, dass es an diesem Abend in der Volkswagen Arena sehr schwer werden würde für den 1. FSV Mainz und das Vorhaben, die Auswärtsbilanz aufzubessern. Dass es aber so knüppeldick kommen würde für die Mannschaft von Bo Svensson, daran dachte niemand, auch nicht der Cheftrainer, der am Ende die höchste Niederlage seiner Amtszeit beim FSV erklären musste und besonders wegen der Abreibung, die seine Profis bis zur Pause vom VfL Wolfsburg bezogen hatten, sauer war und dringenden Redebedarf mit seinen Spielern anmeldete.
Der Däne fand deutliche Worte für den Auftritt seiner Mannschaft in der ersten Hälfte, für die fünf Gegentore, für die Abwehrleistung. "Das hat nichts mit Bundesliga-Fußball, mit Bundesliga-Niveau zu tun. Nichts mit dem, was wir uns sonst auf die Fahne schreiben bei Mainz 05. Das ist sehr, sehr bitter. Das müssen wir schon deutlich intern besprechen." Einen solchen Auftritt seines Teams bei den bis zu diesem Freitagabend noch im Abstiegskampf steckenden Wolfsburgern hatte sich der 42-Jährige nicht vorstellen können. "Deshalb gibt es viel zu reden." Das Gefühl, das dies aufgearbeitet werden muss, hatten einige seiner Spieler ebenfalls. Nach der Elfmeter-Szene mit der Roten Karte, dem "doppelten Nackenschlag", wie Silvan Widmer es bezeichnete, "haben wir uns ein Stück weit verloren auf dem Platz, gefühlt, jede Wolfsburger Chance war ein Tor. Das war katastrophal, was wir defensiv gezeigt haben in diesen 15 bis 20 Minuten. 5:0 zur Pause: Da blutet das Herz jedes Mainz-Fans und jedes Spielers. Der Verein und die Fans, die uns hier im Stadion bis zum Schluss angefeuert haben, verdienen so ein Resultat nicht", sagte der Schweizer Rechtsverteidiger.
Schmidt: Verheerende zehn Minuten
Das Foul von Tauer, der den von links in den Strafraum und zum Tor drängenden Lukas Nmecha mit einem Griff von hinten ans Trikot am Abschluss hinderte, ahndete der Schiri mit dem Elfmeterpfiff und zog Gelb. Nach der Überprüfung am Monitor und mit dem Hinweis aus dem Kölner Keller korrigierte Osmers sich, wertete Tauers Aktion als klare Verhinderung einer Torchance und entschied auf Rot. Die Mainzer waren nur noch zu zehnt, Max Kruse, der Nmecha mit einem Pass bedient hatte, schickte Robin Zentner in die falsche Ecke und verwandelte den Strafstoß zum 2:0. Das Spiel war damit quasi entschieden, doch das Unheil für die Mainzer nahm erst noch seinen Lauf. "Bei der Elfmeter-Situation war die Doppelbestrafung mit der Roten Karte sehr hart, aber regeltechnisch irgendwo vertretbar", sagte Martin Schmidt. "Ab da war das Spiel im Eimer, dann kamen diese verheerenden zehn Minuten vor der Pause, in denen wir drei Tore kassieren. Das 5:0 nach der ersten Halbzeit war eine riesige Klatsche", betonte der 05-Sportdirektor. Drei Tore von Kruse, zwei Treffer von Jonas Wind in einer Halbzeit.
"Wir waren 20 Minuten gar nicht anwesend. Wenn man so früh in Unterzahl gerät, muss man es einfach cleverer machen, bis zur Pause sich bisschen tiefer stellen und sauber weg verteidigen. Wir aber kriegen in der Nachspielzeit nochmal einen Konter, weil wir uns rauslocken lassen", sagte Stefan Bell, der selbstkritisch eingestand: "Die erste Halbzeit war peinlich für Mainz 05." Robin Zentner ergänzte: "Wir kamen gar nicht in die Zweikämpfe, haben uns wenig gewehrt."
Burkardt scheitert an Casteels
Vielleicht wäre die Partie ganz anders verlaufen, hätte Jonathan Burkardt mit der ersten Schlüsselszene des Spiels den 1:1-Ausgleich erzielt und die Wolfsburger, die zuletzt 1:6 in Dortmund verloren hatten, verunsichert und ins Grübeln gebracht. Burkardt schnappte sich nach einer Viertelstunde nach intensivem Anlaufen energisch den Ball von Sebastiaan Bornauw, lief allein auf Koen Casteels zu, scheiterte aber an einer herausragenden Fußabwehr des Torhüters. Trotz des frühen 0:1, bei dem die 05er sowohl die Spielverlagerung nach rechtsaußen als auch die Flanke des Ex-Kollegen Ridle Baku nicht gut verteidigten, waren die 05er trotzdem halbwegs im Spiel, hatten "von der Intensität her keine Probleme reinzukommen, sondern waren griffig", wie Bell anmerkte.
Probleme hatten die Mainzer allerdings auf beiden Außenbahnen, und nach dem 0:2 ging jegliche Struktur verloren. In der Halbzeitpause habe Svensson eine ruhige, klare Ansprache gehalten, an die Ehre appelliert und viermal gewechselt, verriet der 05-Sportdirektor später. Viel habe der Trainer gar nicht sagen müssen, es sei allen klar gewesen, dass es jetzt um die Ehre gehen werde, erklärte Widmer. "Wir haben uns dann geschworen, dass wir die zweite Halbzeit zu null spielen. Das ist gelungen, Wolfsburg hat aber natürlich auch einen Gang zurückgeschaltet", fügte der 05-Torhüter hinzu. Und der Kapitän ergänzte: "Was wir in der zweiten Halbzeit gezeigt haben, ist das Minimum, um uns selbst, dem Klub und den Fans Respekt zu zollen. Wir brauchten eine Reaktion und haben anschließend keine Gegentore mehr kassiert, was sehr wichtig war: Fünf waren genug", sagte Moussa Niakhaté.
Die zwölfte Auswärtsniederlage wird noch etwas nachwirken, auch wenn das Ergebnis am gesicherten Klassenverbleib nichts mehr ändert. "Nach so einem Spiel ist natürlich klar, dass man vieles ansprechen und die Partie analysieren muss. Wie arbeiten wir das auf? Das funktioniert am besten, wenn wir im nächsten Spiel wieder ein ganz anderes Gesicht zeigen – ich bin überzeugt, dass die Mannschaft das in Zusammenarbeit mit dem Trainerteam hinbekommen wird", erklärte Schmidt. Der Gegner, gegen den die Mannschaft am Samstag (15:30 Uhr, live auf SKY und 05ER.fm) in der MEWA ARENA Rehabilitation betreiben kann, ist der FC Bayern München.