Profis 02.12.2021 - 08:00 Uhr
Schlaflos in Rotterdam
"Es war ein kleiner Schock": Jeremiah St. Juste über seine Schulter-OP, seine Reha in der Heimat & das Wiedersehen mit "meinen Jungs" am Wochenende
Immer wieder die Schulter: Seit Jahren schon bereitet die Körperstelle Jeremiah St. Juste Beschwerden, mehrfach hatte er sie ausgekugelt und entschied sich nach dem Sturz und der folgenden Auswechslung im Duell mit Union Berlin Anfang Oktober zwangsläufig für den bereits zweiten Angriff an gleicher Stelle. Eine schwere, aber alternativlose Entscheidung, wie er berichtet – und nun seit Wochen für sein Comeback im Jahr 2022 schuftet. Bereits am kommenden Wochenende sieht er seine Teamkameraden erstmals wieder.
Der derzeitige Lockdown in Rotterdam hat keine Auswirkungen auf den Tagesablauf von "Jer", wie er in Mainz gerufen wird. Wenn die Läden und Restaurants ab 18 Uhr alle geschlossen sind, hat er sein Tagespensum längst hinter sich, genießt die Zeit mit der Familie, bei der er mit seiner Freundin und knapp zweijährigen Tochter bis auf Weiteres lebt. "Ich sehe meine Familie und auch einige Freunde viel mehr als in den vergangenen Jahren. Für mich bedeutet die Situation, Zeit mit ihnen zu verbringen, gut zu essen und zu schlafen" – und natürlich zu trainieren.
Zurück zu "meinen Jungs"
Das ist die angenehme Seite einer Phase, die St. Juste dennoch nervt. Der 05-Profi will zurück auf den Platz, zurück nach Mainz, zurück zu "meinen Jungs", wie er betont. Da trifft es sich gut, dass ein – zumindest kurzes – Wiedersehen bevorsteht. Gegen Wolfsburg möchte er im Stadion dabei sein, sein Team von der Tribüne aus unterstützen und wird in den folgenden Tagen einige Einheiten mit dem Reha-Team um Axel Busenkell absolvieren, bevor es zurück in die niederländische Heimat geht.
Wegweisende Computertomografie
Dort steht in Kürze ein wichtiger Termin an, eine Computertomografie, die Aufschluss darüber geben soll, wie gut der Knochen sich erholt hat. Der weitere Verlauf seiner Reha-Maßnahmen hängt auch davon ab. So sehr er zurück auf den Platz drängt, so bewusst ist ihm, dass es Geduld braucht, falscher Ehrgeiz der völlig falsche Ratgeber wäre: "Ich kann aktuell nur hart arbeiten. Sich Druck auszusetzen, wäre jetzt der falsche Weg, weil ich physisch erst wieder zu 100 Prozent bereit und natürlich fit sein muss nach dieser OP", so der 25-Jährige. Bedeutet: "Wenn ich aufstehe, mache ich schon vor dem Frühstück ein paar Übungen für die Schulter. Training ist dann jeden Nachmittag mit einem Reha-Trainer, den ich sehr gut kenne – natürlich alles in Absprache mit dem Trainer- und Athletikteam in Mainz. So läuft es im Moment jeden Tag, ungefähr 3,5 Stunden täglich", wie der derzeit schnellste Spieler der Bundesliga berichtet.
Aufgestellt hatte er diesen Rekord unmittelbar vor dem folgenschweren Sturz gegen Union nach einem Luftduell im Mittelfeld, hatte an eine Operation wegen der erneut ausgekugelten Schulter aber zunächst gar nicht gedacht. "Das Problem habe ich schon eine Weile. Aber nach dem Spiel dachte ich nicht, dass es so schlimm sein würde. Es war schon ein kleiner Schock. Ich habe mit vier, fünf Spezialisten gesprochen, die mir alle gesagt haben, dass ich operiert werden muss. Nach dem Austausch mit den Mannschaftsärzten war der Weg insofern relativ schnell klar. Und, dass ich mich darauf konzentrieren würde, so stark wie möglich zurückzukommen."
Schwerer als der Eingriff wogen für den dynamischen Innenverteidiger dann allerdings vor allem die ersten Tage danach, so sagt einer, der den täglichen Trainingsreiz gewohnt ist: "Nach der Operation durfte ich erstmal nichts machen, habe kaum geschlafen, nur ein paar Stunden jede Nacht", sagt er über die fehlende Belastung. "Das war härter, als jedes Spiel, auf das ich mich jemals vorbereiten musste." Insofern sei die mentale Herausforderung enorm. "Wir sind es als Profis gewohnt, uns auf mindestens ein Highlight in jeder Woche vorzubereiten, bei dem wir performen müssen."
Es wieder tun zu dürfen, darauf arbeitet er hin, analysierte in den vergangenen Wochen jedes Spiel vor dem Fernseher und kann es kaum erwarten, die Teamkollegen wiederzusehen: "Ich verfolge natürlich alles genau und bin im Kopf jede Sekunde dabei, auch hier in Rotterdam. Deswegen ist es mir auch wichtig, am Wochenende da zu sein und alle zu sehen, um zu fühlen, was sie fühlen. Wir sind ein Team", betont er. Ein Team, an das er glaubt und auch gegen Wolfsburg nach der Niederlage in Stuttgart eine Top-Leistung zutraut. "Wolfsburg hat eine gute Mannschaft, ist aber auch verwundbar. Wenn wir die Energie auf den Platz bringen, die uns auszeichnet, haben wir eine gute Chance, zu 100 Prozent. Es wird nicht einfach, ich erwarte ein sehr interessantes Spiel. Aber eines weiß ich: Diese Mannschaft von Mainz 05 steckt nie auf, ich bin sehr zuversichtlich."
Geduld bleibt gefragt
Zuversichtlich ist St. Juste indes auch in Sachen Heilungsverlauf und seiner Rückkehr auf den Platz. Auf den Rasen hofft er bereits in der kommenden Woche erstmals zurückkehren und erste (kleine) Gehversuche ohne Ball unternehmen zu können. Das Allerwichtigste sei derzeit die Beweglichkeit, Mobilität und Stabilität der Schulter. Schritt für Schritt tastet er sich heran, um spätestens im Februar 2022 wieder Bundesliga-Luft schnuppern zu können. "Die Ärzte sagen, ich sei weiter als prognostiziert. Dennoch weiß ich, dass ich Geduld brauche, nichts überstürzen darf nach dieser Geschichte. Natürlich hoffe ich, dass es schneller geht, aber das kann im Moment niemand sagen." Fakt ist: St. Juste brennt wie eh und je, kann es kaum erwarten, den gegnerischen Stürmern wieder schlaflose Nächte zu bereiten. Bei ihm selbst klappt es mit der Nachtruhe mit fortschreitendem Reha-Verlauf hingegen schon wieder viel besser.