Profis 13.04.2022 - 19:00 Uhr
Bell: "Ich finde, es ist jetzt was ganz anderes"
Der 05-Routinier im Interview
Auch Stefan Bell machte aus seiner Frustration nach dem unglücklichen 2:3 in Köln am Wochenende kein Geheimnis. Vor allem punktemäßig sei die Englische Woche nicht zufriedenstellend gewesen, sagt der 30-jährige Routinier rückblickend. Dennoch sieht er den FSV vor den letzten fünf Saisonspielen in einer Situation, auf die man auch stolz sein dürfe.
"Wir haben uns diese Konstellation erarbeitet. Davon hätten wir in den letzten Jahren häufig geträumt, muss man ehrlich sagen. Damit müssen wir richtig umgehen", sagt das Eigengewächs und spricht im Interview zudem über die noch anstehenden Prüfungen, seinen im Sommer 2023 auslaufenden Vertrag sowie das Verhältnis zum Cheftrainer.
Der Frust saß tief nach der Niederlage in Köln: Wie fühlt es sich heute mit ein paar Tagen Abstand an?
Bell: Vor allem punktemäßig war die Woche sehr frustrierend und hat uns ein Stück weit den Schwung genommen, oben dranzubleiben. Mit ein paar Tagen Abstand kann man die Leistung etwas besser einordnen und sagen, dass in allen Spielen wirklich gute Phasen dabei waren. Mit ein bisschen Matchglück und besserem Verteidigen von Standards hätten es sicher auch sechs Punkte sein können.
Es war eine Mischung aus 'nicht belohnt und für kleine Fehler bestraft' worden. Wie fällt die Analyse aus?
Bell: Als Mainz 05 wird man Gegner nur selten über 90 Minuten dominieren, das ist einfach so. Es gibt immer Phasen, in denen der Gegner besser ist, so wie in Gladbach oder Köln. Fehler wie bei den Standards sind es, die uns vor allem ärgern, da waren wir zu schwach. Das sind Situationen, die Spiele entscheiden, auch wenn wir viel gut gemacht haben und gegen Köln aus dem Spiel fast nichts zugelassen haben. Es waren Kleinigkeiten, in einer besseren Phase der Saison wäre sicher mehr dabei herausgesprungen. Enge Spiele, die auf der Kippe stehen, können wir im Moment gerade auswärts aber eben nicht für uns entscheiden.
Die aktuelle Schwäche bei Standards wirkt ungewöhnlich...
Bell: Das ist richtig. Taktisch machen wir das Gleiche wie in der Hinrunde, in der wir lange keine Gegentore bekommen haben. In den letzten Spielen haben wir nun ähnliche Muster gesehen, was die angespielten Räume betrifft. Dort geht es einfach darum, sich im Eins-gegen-eins durchzusetzen und den Gegner nicht so frei laufen zu lassen, wie wir es gemacht haben. Das Positive: Man kann das relativ schnell abstellen. Sowas ist einfacher als irgendwelche inhaltlich-taktischen Dinge, die man lange trainieren muss. Klar ist aber, dass richtig gute Kopfballspieler auch immer wieder ihre Tore machen werden.
Haben wir uns in Köln vor dem Ausgleich vielleicht zudem ein Stück zu sicher gefühlt?
Bell: Zu sicher weiß ich nicht, aber man hatte auf dem Platz schon das Gefühl, dass das Spiel relativ unspektakulär im Mittelfeld stattfindet. Durch den Dreifach-Wechsel kam bei Köln mehr Schwung rein, und vielleicht sind uns irgendwann ein wenig die Körner ausgegangen nach den drei Spielen. Das kann zu kleinen Unkonzentriertheiten führen. Die Art und Weise, wie das 2:2 fällt, war zudem sehr unglücklich.
Hätten wir auf die Kölner Wechsel womöglich früher reagieren können?
Bell: Mit Sicherheit gab es diese Überlegung, aber wir haben nach dem 1:2 stabil gewirkt, das hat sicher dazu beigetragen, dass wir zunächst so weiter gespielt haben. Wenn etwas funktioniert, möchte man das nicht sprengen. Deswegen war es vielleicht die Überlegung des Trainerteams, das laufen zu lassen, weil Köln nicht wirklich gefährlich wurde.
Wie kann aus einer sehr ordentlichen Saison noch eine gute werden in den letzten Spielen?
Bell: Wir müssen und werden mit der gleichen Energie und Power weiterspielen, wie wir es die ganze Saison gemacht haben, und wollen jetzt natürlich gerade zuhause weiter unsere Punkte holen. Diese Saison war fast jedes Heimspiel Spektakel und gute Unterhaltung. Das wollen wir unseren Fans auch weiter bieten. Die Saison austrudeln zu lassen, kann nicht unser Anspruch sein. Auch, weil wir die Verpflichtung der Konkurrenz gegenüber haben. Losgelöst vom Tabellenplatz, geht es darum, unseren Stil durchzuziehen. Das ist die Herausforderung, weil wir eine Spielweise haben, die voraussetzt, dass man körperlich und mental am Limit agiert und sich verausgabt. Das wird in den letzten Spielen die Aufgabe sein, gleichzeitig aber auch ein Anreiz und eine Prüfung. Wir haben uns diese Konstellation erarbeitet, im gesicherten Mittelfeld zu stehen. Davon hätten wir in den letzten Jahren häufig geträumt, muss man ehrlich sagen. Damit müssen wir richtig umgehen.
Wir haben eine Basis geschaffen, gefestigt und mit früher Planungssicherheit in die neue Saison zu gehen. Wie wertvoll ist diese neue Ausgangsituation?
Bell: Planungssicherheit ist definitiv wichtig. Das geht bei den Gesprächen mit Neuzugängen los, jeder weiß, was ihn hier erwartet. Wir müssen uns nicht in die Sommerpause retten und uns dann neu erfinden, das ist sehr wertvoll. Wir treten als Kader wieder genauso nach außen auf, wie es als Mainz 05 sein muss. Gerade die Heimspiele haben Lust auf mehr gemacht.
Die Fans sind zurück in den Stadien, am Ostersamstagkommt Stuttgart in die MEWA ARENA, für die es um alles geht. Beste Voraussetzungen für ein weiteres Spektakel, oder?
Bell: Das ist so. Stuttgart hängt unten drin und muss punkten. Sie verfolgen einen spielerischen Ansatz, und ich bin gespannt, ob sie das jetzt im Abstiegskampf weiter durchziehen. Für uns wird die Aufgabe sein, zu zeigen, dass es mutig ist, es gegen uns von hinten raus fußballerisch lösen zu wollen. Das kann für uns die Chance bedeuten, Ballgewinne häufiger in der gegnerischen Hälfte zu haben.
Auch eine Aufgabe für Jonny und Karim: Was macht sie als Sturmduo besonders, und weshalb passen sie so gut zum von dir beschriebenen Spielstil?
Bell: Gute Frage. Was ich gut finde, ist, dass beide im Spiel gegen den Ball voll dabei sind und sich reinhauen. Keiner hat das Gefühl, er müsse für den Anderen mitlaufen. Sie können sich aufeinander verlassen. Auf dieser Basis findet das Zusammenspiel auf einer sehr ehrlichen Ebene statt. Zudem ergänzen sie sich als Spielertypen sehr gut: Jonny geht ein bisschen mehr in die Halbräume, während Karim mehr Zweikämpfer und Tiefensprinter ist. In der Kombination ist das schon echt undankbar zu verteidigen.
Noch kurz zu dir persönlich: Nach deiner langen Verletzungspause hast du seit Januar 2021 fast jedes Spiel absolviert. Spielt der Körper zu 100 Prozent mit?
Bell: Die Saison läuft körperlich wirklich gut, auch wenn die Englische Woche hart war. Da zwickt es mal an der einen oder anderen Stelle, was sich aber auch wieder legen wird. Ich bin sehr glücklich, dass es so gut funktioniert und ich Teil einer Defensive sein darf, die, trotz vieler Personalwechsel, gut funktioniert. Jeder kennt seine Aufgaben und unsere Prinzipien ganz genau.
Dein Vertrag läuft im Sommer 2023 aus. Ist die Situation nun mit Anfang 30 eine andere als noch vor einigen Jahren?
Bell: Ich finde, es ist jetzt was ganz anderes. Man merkt bei jüngeren Spielern häufig, dass 1,5 Jahre vor Vertragsende alle Seiten nervös werden, weil es um verlängern oder verkaufen geht. Die Situation ist bei mir ein bisschen anders, denn die Fragen stellen sich aktuell nicht. Je älter man wird, desto später spricht man über Vertragsverlängerungen. Da können wir irgendwann in der neuen Saison drüber reden, weil man nie weiß, wie sich alles entwickelt. Hinzu kommen viele weitere Faktoren: Wie entwickelt sich die Konkurrenz im Kader? Wie sind meine Situation und Leistungen? Spielt der Körper mit? Man muss nicht fünf Jahre vorausschauen.
Bo hat häufig darüber gesprochen, wie sehr er den Austausch mit dir schätzt und kann sich vorstellen, dass du auch nach der Karriere eine Rolle bei Mainz 05 einnimmst. Wie nimmst du euer Verhältnis wahr?
Bell: Dass die Wertschätzung von Seiten des Trainers so hoch ist, freut mich. Wir haben hier zusammen eine Vergangenheit. Es ist schon besonders, sich dann nach so vielen Jahren in einer neuen Konstellation wieder zu sehen. Und das Vertrauensverhältnis ist sicher ein anderes, als bei Spielern, die er erst kennenlernen muss. Wir kennen Mainz beide aus vielen Jahren und verschiedenen Perspektiven. Da tauschen wir uns zu gewissen Themen schon intensiver aus. Er kennt das NLZ, ich auch. Wir denken über viele Dinge ähnlich, und wenn es mal nicht der Fall ist, ist das auch kein Problem. (lacht)