Verein 13.04.2022 - 18:30 Uhr
Baas: "Bruchweg-Atmosphäre für mich als Kind prägend"
Heute vor 100 Jahren wurde Heinz Baas geboren, später trainierte er den FSV über sechs Jahre lang äußerst erfolgreich. Anlässlich seines Geburtstags haben wir mit seinem Sohn Volker, heute 05-Aufsichtsratsvorsitzender, über damals und heute gesprochen.
Heute vor 100 Jahren wurde Heinz Baas, der eigentlich in einem Atemzug mit anderen Mainzer Spitzentrainern genannt werden müsste, geboren. Das Einzige, was den Innovator der frühen 1960er von Wolfgang Frank, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel unterscheidet: Nach seiner Ära kam jahrelang keine ähnliche mehr.
Baas, zuvor Torjäger bei Eintracht Frankfurt und den Offenbacher Kickers, wurde am Bruchweg 1959 Nachfolger von Josef Kretschmann. Baas war ein Reformer, ein Revolutionär, in Mainz seiner Zeit deutlich voraus. Er führte ein modernes, lateinamerikanisch geprägtes 4-2-4-System ein, hielt seine Mannschaft damit aus dem Abstiegskampf der Oberliga Südwest heraus. Und machte sie in der 1963 gegründeten Regionalliga zu einem Spitzenteam, dem jedoch die Krönung versagt blieb: Beste Platzierung war der dritte Rang 1965/66, zwei Punkte hinter dem Qualifikationsplatz zur Bundesliga-Aufstiegsrunde. Im Pokal hingegen brachte Baas die 05ER mit Siegen gegen Werder Bremen und den TSV 1860 München erstmals (und bis 1999 zum einzigen Mal) ins Viertelfinale. Vor der Bruchweg-Rekordkulisse von 24.000 Zuschauern – ermöglicht durch eine Zusatztribüne in der Südkurve – unterlagen die Gastgeber dem 1. FC Nürnberg 0:3. Seine weiteren Trainer-Stationen waren der FSV Frankfurt (1966 bis 1968), der SV Wiesbaden (1968/69, 1974/75), Hessen Kassel (1969 bis 1971, 1973/74), der Karlsruher SC (1971 bis 1973), später noch der SC Freiburg (1978/79).
Sein Sohn, Dr. Volker Baas, der Aufsichtsratsvorsitzende des 1. FSV Mainz 05, war als Kind hautnah dran am sportlichen Geschehen, das von seinem Vater als Trainer bestimmt wurde und erzählt gerne von diesen Zeiten, in denen der Fußball längst nicht so schnelllebig war wie heutzutage.
"Es war familiär so, dass ich einfach häufig dabei war, auch als Kleinkind schon. Ich saß zum ersten Mal auf diesem kleinen Sonderteil der alten Bruchwegtribüne beim ersten Heimspiel im August 59. Daran habe ich aber keine genauen Erinnerungen mehr."
Erinnerung an Charly Tripps Siegtor
Woran sich Baas jedoch noch sehr gut erinnert "sind diese Pokalspiele 1965. Ich durfte als Viertklässler auch beim Auswärtsspiel bei 1860 München, die ja dann Deutscher Meister geworden sind, mit dabei sein und weiß noch genau, dass wir morgens um fünf wieder mit dem Zug in Frankfurt angekommen sind. Das war ein tolles Erlebnis. Ich sehe heute noch das Grünwalder Stadion und den Schneeboden vor mir. Und Charly Tripp, der das 2:1 schießt", erzählt der 66-Jährige.
Die Mainzer gewannen das Wiederholungsspiel im Achtelfinale des DFB-Pokals beim großen Favoriten sensationell mit 2:1 nach einem 2:2 am Bruchweg. "So etwas ist prägend. Ich durfte auch häufig mit zum Training. Das sind schöne Erinnerungen. Es war eine viel bodenständigere Zeit. Die Spieler waren alles Vertragsspieler, sind aber noch voll ihrer Berufstätigkeit nachgegangen."
Baas fällt natürlich auch die Geschichte ein vom kaputten Tor im Pokalspiel gegen Bremen: "Während des Spiels in der ersten Hauptrunde ist tatsächlich der Pfosten gebrochen. Das Spiel wurde unterbrochen, der Pfosten musste notdürftig repariert werden, so dass die Partie fortgesetzt werden konnte." Er habe von den Regionalligaspielen bis 1966 fast alle Heimspiele und viele Auswärtsspiele gesehen", erinnert sich der Jurist.
Der Verein war ein zweites Zuhause
"Wenn mein Vater gefahren ist, saß ich mit im Auto. Deshalb habe ich da sehr lebhafte Erinnerungen. Vor allem an die Atmosphäre am alten Bruchweg und an die Holzbaracke hinter der Tribüne, früher eine Gaststätte. "Da gab es einen abgetrennten Bereich, da kam die Mannschaft nach dem Spiel hin und hat gegessen. Und ich musste warten, bis mein Vater fertig war. Es war aus meiner Sicht im Stadion damals auch nicht so trostlos, wie diese Zeit hin und wieder dargestellt worden ist. Es gab da schon stimmungsvolle Spiele. Ich erinnere mich daran, dass oberhalb der alten Stehtribüne gegenüber, die Leute noch aus den Wohnblocks aus dem vierten Stock zuschauten. Es war anders, es war einfacher, aber es waren schöne Erlebnisse, und es gab immer auch ein paar Highlights. Die Bruchweg-Atmosphäre war nicht so wie Anfang der 2000er Jahre, aber für mich als Kind war sie prägend. Ich habe es miterlebt. Bei den späteren Trainerstationen war ich selten noch dabei. Für mich gab es nur Mainz. So ist meine Verbindung zum FSV gewachsen. Zwischen dem vierten und elften Lebensjahr war der Verein einfach ein zweites Zuhause. Das war vertraute Erde."
Sein Vater, der 05-Trainer Heinz Baas, war im Hauptberuf Lehrer. "Er hat Ende der 40er Jahre in Frankfurt an der Uni Sport studiert, als er noch ein Aktiver war. Und zwar neben der Fußballlehrer-Lizenz, die er Anfang der 50er Jahre erworben hat." Die Familie der Mutter stammte aus Frankfurt, die Eltern von Volker Baas haben sich beim Sportstudium in Frankfurt kennengelernt.
"Er hat die Verbindung geschaffen zwischen dem reinen 'Fußballlehrertum' und dem sportwissenschaftlichen Hintergrundwissen", sagt der Sohn. Interessante Parallele: Jürgen klopp studierte später ebenfalls in Frankfurt Diplomsport.
Ein historisches Schriftstück
Heinz Baas hatte in Solingen seine ersten Schritte als Fußballspieler gemacht. "Ich habe einen alten Koffer gefunden, da habe ich einen Briefwechsel gesehen mit Toni Turek. Die beiden müssen in Auswahlmannschaften zusammengespielt haben", vermutet der Sohn. Turek, der "Fußballgott", wie Herbert Zimmermann den WM-Torhüter bezeichnete in der zur Legende gewordenen Übertragung des 54er Endspiels von Bern, in dem die deutsche Nationalmannschaft die Ungarn schlug und erstmals Weltmeister geworden war.
Akribische Vorbereitung
Hat der Sohn den Vater als Reformer wahrgenommen? "Ich weiß, dass er sich für damalige Verhältnisse sehr viel mit Spielsystemen beschäftigt hat, mit neuen Entwicklungen. Inhaltlich kann ich das natürlich nicht nachvollziehen. Als Sechs- oder Siebenjähriger, da hat man sich gefreut, wenn die Mannschaft den Ball hatte, oder ein Tor geschossen hat", so Baas lachend. "Ich sehe ihn aber vor mir an seinem Schreibtisch, der Teil des Esszimmers war. Da hat er sehr akribisch die Trainingseinheiten vorbereitet. Und ich weiß, dass er sich viel mit der einschlägigen Literatur beschäftigt hat. Wahrscheinlich war er tatsächlich ein bisschen seiner Zeit voraus."
Und welche Art Trainer war Heinz Baas? "Ich glaube, er war eher die Vaterfigur, die persönlich immer ein gutes Verhältnis zu seinen Spielern hatte. Es war damals noch nicht üblich, aber ich weiß, dass er immer viele Einzelgespräche geführt hat. Und er hat die Rolle des Kapitäns immer als eine sehr aktive, verantwortungsvolle interpretiert: Er hat auch zu allen seinen Kapitänen Kontakt gehalten. Zu seinem 50. und 60. Geburtstag wurden sie dann eingeladen. Er war jemand, der gerne mit jüngeren Menschen gearbeitet hat und auf guten persönlichen Kontakt und gute Trainingsmethoden gesetzt hat", sagt Volker Baas.
Mainz 05 war die erste Trainerstation von Heinz Baas. "In der ganzen Zeit habe Mainz 05 in der Familie eindeutig im Vordergrund gestanden und sei prägend gewesen. Wenn ich sage, ich war in den sieben Jahren bei fast allein Heimspielen, dann war meine Mutter auch immer dabei", erinnert sich Volker Baas.
Den 100. Geburtstag wird der Sohn mit einem Besuch am Grab des Vaters begehen. "Wir haben lange Jahre woanders gewohnt, auch im Ausland. Jetzt wohnen wir wieder zufällig dort, wo das Grab ist. Der Geburtstag ist eine gute Gelegenheit, bestimmte Ereignisse Revue passieren zu lassen."
Volker Baas, der sich beruflich als Jurist in einer Kanzlei mit den Schwerpunkten Bankaufsichtsrecht und Compliance beschäftigt, kandidierte seinerzeit für den 05-Aufsichtsrat in einer unruhigen Phase des Vereins, um seine Erfahrungen einzubringen, quasi als neutraler Sachwalter, der von außerhalb kam, nicht Teil der Mainzer Gesellschaft war und deshalb nicht in diverse Interessensgruppen verwickelt war.
"Wir stehen gut da"
"Ich war der Überzeugung, dass ich inhaltlich etwas mitbringen kann und war dann freudig überrascht über die Stimmen, die ich bekommen habe. Mein Interesse ist es nicht, mich persönlich in den Vordergrund zu spielen", betont der 66-Jährige. "Der Aufsichtsrat hat eine Ratgeber- und kontroll-Rolle, die er im positiven Sinne im Hintergrund ausübt. Diejenigen, die operativ verantwortlich sind, die stehen Im Vordergrund. Das sind der Vorstandsvorsitzende, die sportliche Leitung, allen voran Christian Heidel sowie die kaufmännische Seite, die sehr gut funktioniert. In einer Zeit ohne Transfererlöse stehen wir gut da. Ich darf das Jahresergebnis nicht verkünden, aber es wird weitaus besser sein als erwartet. Für mich ist wichtig, dass der Verein nach außen gut auftritt, so solide bleibt, wie er ist und sich an dem Leitbild orientiert. Dieses Leitbild sollte den Weg des Vereins weiter bestimmen. Ich sehe auch, dass die Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sehr gut läuft in einer konstruktiven Atmosphäre. Das gilt auch für die gute Zusammenarbeit mit dem Vorstand. Informationsfluss und Tonlage stimmen. Das passt alles gut zu Mainz 05."
Volker Baas empfindet zudem die sportliche Situation als sehr positiv: „Der Dreiklang Heidel, Martin Schmidt, Bo Svensson plus dessen Trainerteam sind ein Glücksfall. Ich glaube, da haben wir die Idealbesetzung für diesen Verein gefunden. Und ich glaube, dass die nächsten Jahre da noch eine Entwicklung ins Positive bringen. Ich denke, den Zuschauern macht es Spaß, diese Mannschaft spielen zu sehen. Auch wenn die letzte Woche jetzt mal nicht so erfolgreich war. Sportlich nehmen wir eine sehr gute Entwicklung, die bei weitem noch nicht abgeschlossen ist", sagt der Sohn des Trainers Heinz Baas.