Profis 02.10.2021 - 11:00 Uhr
"Ich wollte einfach gut sein & gewinnen"
200 Mal Bello: Das Eigengewächs steht vor einem Jubiläum, das ihn mit Stolz erfüllt - "Und ich bin auch stolz darauf, sie alle für den Verein absolviert zu haben, der mich ausgebildet hat"
Eigengewächs, Abwehrchef und Identifikationsfigur: Im Heimspiel gegen Union Berlin (Tickets online) steht Stefan Bell vor seinem 200. Bundesliga-Spiel. Absolviert hat er sie allesamt für seinen Ausbildungsverein vom Bruchweg, dabei elf Tore erzielt und seine 05ER jahrelang als Kapitän aufs Feld geführt. Der gebürtige Andernacher ist tief verwurzelt am Rhein, absolvierte sein Abitur in Mainz und hat im vergangenen Sommer einen neuen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben. Vor weniger als einem Jahr hatte auf diese Entwicklung wenig hingedeutet.
Ein Karriereplan hat für den 30-jährigen Innenverteidiger nie eine Rolle gespielt, wie er wenige Tage vor seinem Dienstjubiläum verrät. Ein solcher verursache nur unnötigen Druck, könne Stress auslösen, davon habe er nie etwas gehalten und als Kind auch nie davon geträumt, einmal Profi zu werden.
"Ich wollte einfach gut sein und gewinnen, war ehrgeizig, für meine Mannschaft Leistung zu bringen. Fußball sollte immer Spaß machen und ein Hobby bleiben", erläutert Bell seine Sicht der Dinge. Eine Herangehensweise, mit der er gut gefahren ist, bis zum heutigen Tag und die er wie folgt erläutert: "Der beste Weg aus meiner Sicht war immer, sich die Frage zu stellen: 'Gerade bin ich hier. Was kann ich erreichen?' Ich war bei meinem Heimatverein Vilja Wehr und wollte der Beste sein. Dann bin ich zum TuS Mayen gewechselt, dem nächstgrößeren Verein. Auch dort wollte ich einer der Besten sein und für die Rheinland-Auswahl nominiert werden. 2007 bin ich nach Mainz gekommen, wollte wieder einer der Besten sein und mich für die Südwest-Auswahl anbieten. In der U19 ging es dann um die U-Nationalmannschaft, mal ins Profi-Training reinschnuppern und natürlich irgendwann darum, Einsätze in der Bundesliga zu haben. Dieses Schritt-für-Schritt-denken kann ich nur empfehlen", sagt der 05-Profi.
Debüt mit Svensson, Noveski, Szalai & Co
Weil Einsätze in der Bundesliga zunächst auf sich warten ließen, spielte Bell von 2010 bis Dezember 2011 leihweise für 1860 München und Eintracht Frankfurt, bevor er mit der Erfahrung von 26 Zweitliga-Einsätzen an den Bruchweg zurückkehrte – und blieb. Der erste Bundesliga-Einsatz folgte im Dezember 2012, das damalige Talent wurde spät eingewechselt, um den 2:1-Erfolg gegen Hannover 96 mit abzusichern. In der Innenverteidigung damals: Die beiden Routiniers und 05-Legenden Nikolce Noveski und Bo Svensson.
Letztgenannter ist heute Bells Trainer und hat den FSV in der vergangenen Saison nicht nur sensationell zum Klassenerhalt geführt, sondern ist sich treu, wie der angehende Jubilar verrät: "Bo ist wie damals als Spieler, hat als Trainer aber natürlich viele Erfahrungen sammeln können in den vergangenen Jahren. Er ist authentisch und steht für eine Art von Fußball, die er auch als Spieler eingefordert hat. Es geht ihm um Intensität, in jeder Sekunde, er war und ist total ehrgeizig. Wenn man ihn als Spieler kennengelernt hat, spiegelt er als Trainer das wider, was ich erwartet habe. Gemeinsam mit Martin und Christian verfolgen wir seit Jahresbeginn wieder einen anderen Ansatz, der einen Fußball widerspiegelt, den auch ich immer mit Mainz 05 in Verbindung gebracht habe."
Zwangspause & Nicht-Berücksichtigung
Dass Bell selbst nochmal mittendrin sein würde und Teil dieses Fußballs ist rückblickend alles andere als selbstverständlich. Zum einen hatte ihn eine komplizierte Knöchelverletzung, erlitten im DFB-Pokal-Spiel in Kaiserslautern im August 2019, zu zwei Operationen und einer langen Reha-Phase gezwungen. Zum anderen blieb er auch im Anschluss außen vor, stand unter Achim Beierlorzer und Jan-Moritz Lichte meist nicht einmal im Spieltagskader. Lehrreiche Erfahrungen, wie der Innenverteidiger rückblickend findet:
"Ich hatte das Glück, fast nie verletzt gewesen zu sein, habe jahrelang immer gespielt, wenn ich fit war. Das weiß man ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu schätzen, das ist mir klar geworden und insofern durchaus ein positiver Aspekt. Man merkt, zum Beispiel in der Reha, dass es doch etwas Besonderes ist, jedes Wochenende auf dem Platz stehen zu dürfen. Das hat meine Wahrnehmung definitiv geschärft und ist ein Perspektivwechsel gewesen." Bis zur Rückkehr ins Team hatte er sich aber lange gedulden müssen. Fitness war im Sommer, Herbst und Winter 2020 nicht mehr gleichbedeutend mit dem Status des Stammspielers. Ein Abschied vom FSV schien nicht ausgeschlossen, wie der Routinier zugibt: "Es sah natürlich schlecht aus, sportlich, auch die Stimmung war am Boden. Zudem habe ich keine Rolle gespielt. Da gab es schon die eine oder andere Überlegung: Denn ohne Veränderungen im Winter hätte sich für die Mannschaft und wohl auch mich wenig verändert. Ich war mir sicher, dass wir abgestiegen wären. Und ohne einen Einsatz im letzten Vertragsjahr abzusteigen? Da hatte ich keinen Bock drauf."
2007-2021
Rückkehr als Abwehrchef: "...unfassbar, dass wir noch Bundesliga spielen"
Bekanntlich kam es anders – und weitaus besser, als man sich erträumen durfte. Eine historische starke Ausbeute von 32 Punkten manövrierte den FSV zum letztlich gar noch souveränen Klassenerhalt. Bell agierte als Turm diverser Abwehrschlachten, das "Bellwerk" aus Rheinhessen ließ in 17 Rückrunden-Partien nur 20 Gegentreffer zu (weniger nur Leipzig, Wolfsburg & die Bayern).
Kein Wunder, dass die Erfahrung einen der Spitzenplätze unter seinen prägendsten Erlebnissen als 05-Profi belegt: "Es ist unfassbar, dass wir noch Bundesliga spielen", sagt Bell rückblickend. Und doch toppt ein anderes Erlebnis diese Erfahrung:
"Der krasseste Moment für mich war das Spiel gegen Eintracht Frankfurt im Mai 2017. Wir mussten gewinnen, lagen kurz nach der Pause 0:2 zurück, haben das Drecksspiel mit vier Toren in einer Halbzeit aber noch für uns entschieden. Ich erinnere mich an jede einzelne Szene." Zumal es so richtig dramatisch erst nach dem Schlusspfiff geworden war - die Partie zwischen Wolfsburg und Mönchengladbach war unterbrochen. Eine halbe Stunde mussten die Profis in der Mainzer Arena gemeinsam mit mehr als 30.000 Fans warten, bis der erlösende Schlusspfiff auch dort ertönte und der Klassenerhalt fix war. Denn Wolfsburg hatte trotz bester Chancen nicht mehr getroffen. "Dieses Gesamtpaket ist unvergesslich: Derbysieg nach einer so schlechten ersten Halbzeit, das Unwetter in Wolfsburg, der Klassenerhalt."
Leistungssteigerung gegen Union - Bell setzt auf Unterstützung von den Rängen
Weitere unvergessliche Momente in der MEWA ARENA sollen folgen. Allein die Rückkehr der Zuschauer zu Saisonbeginn hat Bell beeindruckt: "Gerade gegen Leipzig war es unheimlich wichtig, dass sie da waren. Sonst wäre es vielleicht anders ausgegangen. Dieses Feedback von den Rängen kann dich insbesondere in komplizierten Phasen tragen." Gegen Union (Alle Infos zum Stadionbesuch hier), dem Jubiläumsauftritt des Deutschen U19-Meisters von 2009, wird die Kapazität nun gar auf 25.000 erhöht. "Ein weiterer Schritt Richtung Normalität", wie Bell findet. "Ich hoffe auf ein volles Stadion gegen einen interessanten Gegner mit guten Einzelspielern. Wir wollen gegenüber dem Spiel gegen Freiburg überall einen Tick drauf packen und natürlich vor allem offensiv wieder mehr reißen."
Ein Heimsieg vor vollem Haus im 200. Bundesliga-Spiel wäre wohl das i-Tüpfelchen für Bell, den dieser Meilenstein aber schon vorab mit Stolz erfüllt. "Das ist wirklich eine schöne Sache, auch vor dem Hintergrund, dass es im Herbst letzten Jahres nicht unbedingt danach aussah, als würden noch Spiele dazu kommen. Insofern freue ich mich umso mehr, weil es durchaus unerwartet kam, jetzt wieder regelmäßig auf dem Platz stehen und der Mannschaft helfen zu dürfen. Die 200er Marke zu knacken ist etwas Besonderes. Und ich bin auch stolz darauf, sie alle für den Verein absolviert zu haben, der mich ausgebildet hat. Ich denke, das kommt nicht allzu oft vor", so das Eigengewächs mehr als 14 Jahr nach seinem ersten Aufschlag am Bruchweg.