Verein 29.11.2023 - 12:20 Uhr
"Meckern kann jeder - Zeige, dass du es besser kannst"
Rund um das Heimspiel gegen Freiburg steht das Schiedsrichterwesen im Mittelpunkt. Der stellvertretende Kreis-Schiedsrichter-Obmann Dr. Patrick Amrhein spricht darüber, wie man dem Trend der abnehmenden Zahl an Unparteiischen entgegenwirken will
Der 13. Spieltag der Bundesliga geht bundesweit in allen Profiligen als Aktion-Spieltag über die Bühne unter dem Motto: "Danke ans Ehrenamt.“ Der 1. FSV Mainz 05 stellt am Sonntag beim Heimspiel in der MEWA ARENA gegen den SC Freiburg (Anpfiff 15.30 Uhr, live auf DAZN & 05ER.fm, Tickets online oder an den Tageskassen) dabei das Schiedsrichterwesen in den Mittelpunkt. Der Verein möchte in Zusammenarbeit mit der Kreis-Schiedsrichtervereinigung Mainz-Bingen mit verschiedenen Aktionen das Werben um neue Schiedsrichter aktiv unterstützen. Neben Aktionen in und um das Stadion stehen beim Einlaufen der Mannschaften Schiedsrichter Spalier. Dr. Patrick Amrhein, Schiedsrichter im Dienst von Mainz 05 und stellvertretender Obmann der Kreis-Schiedsrichtervereinigung Mainz-Bingen, spricht vor der Partie zur Thematik.
Werde Schiedsrichter oder Schiedsrichterin
"Wir kommen im Prinzip von einer Schiedsrichteranzahl von 80.000 und mehr vor ein paar Jahren. Seitdem nimmt die Anzahl der Schiedsrichter ständig ab. Wir sind mittlerweile bei etwa 50.000 Schiedsrichtern angekommen. Das bedeutet in der Praxis, dass teilweise Jugendspiele oder Herrenspiele nicht mehr besetzt werden können. Und das ist ein Zustand, den wir natürlich ändern wollen. Wir wollen den Trend umkehren“, sagt der 52-jährige, promovierte Chemiker, der in der Geschäftsführung eines Chemie-Unternehmens arbeitet und im Nebenjob als Schiedsrichter auch als Beobachter bis zur Oberliga unterwegs ist.
"Wir wollen den Trend umkehren"
"Durch diese und andere solcher Aktionen im Jahr des Schiedsrichters wollen wir darauf aufmerksam machen, dass die Schiedsrichterei nicht so negativ ist, wie sie häufig dargestellt wird. Es macht sehr viel Spaß und man hat auch viele Vorteile als Schiedsrichter“, erklärt Amrhein, der kürzlich im Rahmen der Jahreshauptversammlung von Mainz 05 von seinem Klub für 1.500 absolvierte Spiele als Referee geehrt wurde. "Es geht damit los, dass ich etwas für mich selbst tue, beispielsweise in der Persönlichkeitsfindung. Ich habe ein sicheres Auftreten, kann mich vor Leute hinstellen und moderieren. Das liest sich auch gut im Lebenslauf letzten Endes. Als Schiedsrichter musst du Entscheidungen treffen, musst zu den Entscheidungen stehen, musst auch mal Risiken eingehen.“ Aktiver Schiedsrichter zu sein biete aber noch weitere Vorteile wie freier Eintritt auch zu Bundesligaspielen sowie Aufwandsentschädigungen. "Die Vereine sponsern auch die Ausrüstung in der Regel“, sagt Amrhein. "Mainz 05 tut sich da ja auch hervor, hat eine große Schiedsrichtergruppe. Da kriegst du schon mal einen Trainingsanzug oder wirst zu Spielen eingeladen. Und man macht schließlich Sport. Man geht bei Wind und Wetter raus, man wird gefordert, tut was für die Gesundheit. Da werden sich vielleicht viele wundern: Der Schiedsrichter läuft mehr als mancher Spieler. Der Stümer bleibt vorne stehen, der Schiri läuft jeden Konter mit.
Patrick Amrhein hat 1989 in Baden-Württemberg seine Schiedsrichter-Laufbahn begonnen, war der jüngste Assistent, der in der Oberliga eingesetzt worden ist. 1992 kam er zum Studium nach Mainz und hat hier weitergemacht, musste aber wieder ganz unten anfangen. "Dann Landesliga, Verbandsliga, als Assistent noch bis in die Regionalliga, die damals neu war“, erzählt er. Allerdings habe es oft Unterbrechungen gegeben, "weil ich häufig wegen Studium und Beruf im Ausland war.“
"So kannst du Schiedsrichter werden"
Stichwort Nachwuchssuche. Wie schwer ist die, und was kann man alles tun? "Man muss es differenzieren“, sagt Amrhein. "Wir hier in Mainz sind in einer Universitätsstadt mit großem Einzugsgebiet. Da kriegen wir Leute von überall her, auch aus dem Ausland, die hierher kommen zum Studium. Wir haben hier im Kreis nicht ganz so viele Probleme. Aber Richtung Bad Kreuznach, Birkenfeld und so weiter, da sieht es schon etwas anders aus. Da ist das Interesse oft geringer, die Vereinigungen sind kleiner. Ein Problem ist auch: Wenn ich mich dafür interessiere, Schiedsrichter zu werden, wohin muss ich mich wenden? Ich glaube, das ist ein Hemmnis, weil viele gar nicht wissen, wie werde ich Schiedsrichter? Mit so einer Aktion wie am Sonntag können wir ein entsprechendes Forum schaffen, wo die Leute im Prinzip sagen, wir machen es euch einfach. Wir haben eine Online-Seite kreiert. Beim Bundesligaspiel haben wir viele Besucher aus dem Umland, aus weiteren Regionen. Es ist für Interessenten wichtig zu wissen, zu welchem Landesverband gehören sie. Über diese Internetseite lotsen wir sie direkt auf die Anmeldeseite. Damit ist dann schon mal eine erste Hürde genommen. Wir wollen aufzeigen, so kannst du Schiedsrichter werden."
Darüber, wer Lust habe, Referee zu werden, gebe es kein klares Bild. "Das ist ein richtiger Mischmasch. Zum einen müssen alle, die einen Trainerschein machen wollen, die Schiedsrichter-Prüfung ablegen, müssen drei Spiele gepfiffen haben. Häufig zeigen Freunde und Verwandte von Schiedsrichtern ebenfalls Interesse“, so der 52-Jährige. "Bei mir war es so, dass ich mich früher einfach wahnsinnig über schlechte Schiedsrichter aufgeregt und gesagt habe: 'das kannst du besser‘. Dann habe ich den Kurs gemacht. Das ist eine gute Motivation. Meckern kann jeder. Aber zeige doch mal, dass du es besser kannst! Für mich war das der Antrieb.“
Der Fußballplatz als Spiegelbild der Gesellschaft
Dass es schwieriger geworden sei für die Schiedsrichter, glaubt Amrhein nicht. "Man kann das nicht pauschalisieren“, sagt er. "Ich glaube aber, dass die Toleranzgrenze insgesamt gesunken ist. Quer durch die Gesellschaft. Der Fußballplatz ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, man findet alle Charaktere, die es im richtigen Leben gibt, wieder. Was man jedoch sagen muss, es wird mehr berichtet, sensibler berichtet. Wenn es einen Vorfall gab, stürzen sich alle drauf. Medien, soziale Medien. Die einzelnen Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, finden sich auf dem Platz. Die Schiedsrichter sind zudem aufgefordert, zum Beispiel Fälle von Rassismus direkt zu melden.“ Social Media sei heute sehr wesentlich. "Wo immer etwas vorfällt, ist irgendwo jemand da mit dem Handy, filmt es und stellt die Geschichte ins Netz. So breitet sich das in einer rasanten Geschwindigkeit aus. Auf der anderen Seite nutzen viele Spieler, aber auch Schiedsrichter, das Medium, um ihre Erlebnisse zu teilen. Oft ist es aber bei Vorfällen so, dass derjenige, der es als erster meldet, geglaubt wird. Da fehlt oft das Nachhaken, auch die andere Seite zu hören und das Ganze einzuordnen. Oft ist es einfach so, wie es früher auch war: Die Mannschaft, die verloren hat, hat meistens was auszusetzen, die Sieger finden den Schiri gut.“
Patrick Amrhein könnte nach 1500 Spielen stundenlang erzählen von Begegnungen und Erlebnissen. Positiven, wie negativen. "Es hängt aber viel davon ab, wie man es selbst auffasst. Für den einen ist es schon ein Weltuntergang, wenn ein Vater von der Außenlinie was reinschreit. Damit kann er vielleicht nicht umgehen, oft gerade als jüngerer Schiri. "Es gab aber schon tolle Situationen, besondere Spiele. Ich durfte mal an der Linie sein bei einem Spiel von Dynamo Kiew, die seinerzeit eine Rundreise machten. Oder bei einem Frauenspiel, das vor einer Partie von Bayern München gegen Inter Mailand stattfand. Das ist schon großartig, wenn man dann mal vor einer solchen Kulisse auflaufen darf. Es gibt viele positive Sachen, die in Erinnerung geblieben sind. Ich selbst bin nie geschlagen oder richtig bedroht worden, bin immer gut durchgekommen.“
Liebe zum Fußball als Motivation
Es ist die Liebe zum Fußball die immer als Motivation dienen sollte. "Wenn jemand Spaß daran hat, sollte er es auf jeden Fall probieren, sollte aber auch wissen, dass es nicht immer von Anfang an glatt läuft und ein Lernprozess ist. Man macht als Anfänger sehr viele Fehler, daraus muss man lernen und die Konsequenzen zu ziehen. Dadurch kann man sich verbessern und auch seine Persönlichkeit entwickeln. Ich kann nur sagen, probiert es aus.“ Auch Mädchen und junge Frauen sollten das tun.
Was die Erwartungen an den Sonntag betrifft, sagt Amrhein, "gehen wir sehr demütig an die Geschichte heran. Ziel wäre es schon, wenn es gelingt, dass diese Aktion in den Medien dargestellt würde, um Aufmerksamkeit zu genieren. Und wenn am Ende des Tages wir auch sehen, dass sich die Leute anmelden oder sagen können, ich weiß jetzt, wo ich mich hinwenden muss, um mich anzumelden. Das Beste aus meiner Sicht wäre natürlich, wenn das ein solches Echo bekäme, dass der DFB sagt, das machen wir verpflichtend und es zu einem Konzept führt, das sich verbreitet und nachgemacht wird. Das Ziel heißt nachhaltig neue Schiedsrichter gewinnen. Schiedsrichter kann man offiziell ab dem Alter von zwölf Jahren werden. Wir suchen aber nicht nur Zwölfjährige, sondern den Querschnitt. Egal, welchen Alters.“