Profis 23.12.2021 - 10:00 Uhr
Das maximale Kontrastprogramm
Dem Tiefpunkt folgen Paukenschläge: Zwischen den beiden letzten Jahresabschluss-Duellen vor heimischem Publikum mit Bochum und Hertha BSC lagen weniger als zwölf Monate, zwischen den Gefühlswelten hingegen Lichtjahre.
Leere Ränge, leere Gesichter, wenig Hoffnung: Nach dem letzten Heimspiel des Jahres 2020, einem uninspirierten Pokal-Aus komplett verunsicherter 05-Profis gegen Zweitligist Bochum, war ein Tiefpunkt erreicht. Ein Halbjahr zum Vergessen lag hinter dem FSV: Nur sechs Zähler aus 13 Liga-Spielen bedeuteten zu diesem Zeitpunkt nur die Spitze eines robusten Eisbergs randvoll gepackt mit Problemen. Dass die Atmosphäre rund um den Klub, die sportliche Situation und so vieles mehr in weniger als zwölf Monaten ins komplette Gegenteil verkehrt werden konnten, erscheint paradox. Doch der konsequente wie auch alternativlose Umkehrschwung auf allen Ebenen seit diesem 23. Dezember 2020 hat den FSV zurück in die Spur und auf den ureigenen Mainzer Weg gebracht.
Christian Heidel verfolgte das Drama als Tribünengast, steckte noch mitten in einem Abwägungsprozess hinsichtlich seiner im Raum stehenden Rückkehr: Trotz einer 2:0-Führung gegen den VfL Bochum und Überzahl in der Verlängerung schieden die 05ER in der zweiten Pokalrunde aus – keiner der drei Elfmeter der Mainzer hatte dabei den Weg ins Tor finden wollen. "Dass es so kommt, wie es kommt, spiegelt die Saison und das Halbjahr wider", sagte der Vereins- und Vorstandsvorsitzende, der nach dem Abschied Rouven Schröders tags zuvor zudem interimsweise als Sportdirektor fungierte, Stefan Hofmann anschließend.
Heidels Appell
Doch genug der Pleiten, Pech und Pannen - denn nur wenige Tage später kehrte Heidel als Vorstand für Strategie, Sport & Kommunikation zurück auf die Kommandobrücke. Mit im Gepäck hatte er zudem den ehemaligen 05-Trainer Martin Schmidt, der künftig als Sportdirektor fungieren sollte. "Wir müssen alle zeigen, dass wir wirklich Mainzer sind. Dann haben wir eine Chance. Alle sagen, wir sind schon abgestiegen. Aber wir werden uns wehren und das muss heute anfangen. Das ist der Appell an alle, denen Mainz wichtig ist", formulierte Heidel anlässlich seines neuerlichen Amtsantritts klare Voraussetzungen.
Mit Svensson in die Geschichtsbücher
Zu Beginn dieses Jahres wurde aus dem Duo dann schließlich ein Trio, als Bo Svensson zum Chefcoach ernannt wurde und die sportliche Führung als Ex-FSV-Profi und Jugendtrainer gleichfalls mit allerlei 05-DNA bereicherte. Das Orchester war damit bestellt, die ersten Paukenschläge ließen nicht lange auf sich warten. Der Klassenerhalt gelang bekanntlich in historischer und im europäischen Profifußball seinesgleichen suchender Manier.
Mehr noch: Der Schwung der geschichtsträchtigen Rückrunde wurde mitgenommen in die neue Saison, in der auch die Fans auf die Ränge der MEWA ARENA zurückkehrten – und dem FSV dazu verhalfen, das rot-weiße Wohnzimmer in eine wieder (fast) uneinnehmbare Festung zu verwandeln. Fußballfeste gegen Leipzig, Augsburg, Mönchengladbach oder Wolfsburg untermauerten diesen Eindruck im Hinrunden-Verlauf. Nur gegen Union Berlin gab es eine vermeidbare 1:2-Niederlage vor heimischer Kulisse. "Ich hoffe, dass wir öfter viele Zuschauer im Stadion haben können. Unsere Heimbilanz sieht nicht so schlecht aus, das hat auch damit zu tun. Um die Spiele herum habe ich die Freude und die Lust gespürt, uns zu unterstützen. Das ist in großen Teilen das, was Mainz 05 ausmacht", erkannte Svensson kürzlich einen der Gründe für die neue Heimstärke seiner Elf, die in neun Partien 18 Treffer (hinzu kommen vier weiße Westen) erzielte. Und damit schon jetzt zwei mehr als in der gesamten vergangenen Saison.
Gemeinsam feiern zum Jahresabschluss in der MEWA ARENA
Nicht zuletzt auch dank des Spiels, dass ein Jahr nach dem Tiefpunkt gegen Bochum zum Jahresabschluss in der heimischen Arena werden sollte. Eine wahre Fiesta am Rhein – zurecht euphorisch bejubelt auf dem Platz und auf den Rängen. Ein in wirklich allen Belangen überzeugender Sieg über Hertha BSC, den die 05ER sich mit Pauken und Trompeten erarbeiteten und erspielten. Ein 4:0, das gut und gerne ein 6:0 oder 7:0 hätte sein können. Bochum war vergessen, und gleichzeitig die endgültige Erfüllung von Heidels Wunsch aus dem Vorjahr. Denn nach dem Sieg im letzten Heimspiel des Jahres 2021 war der Vorstand voll des Lobes: "Für mich war es das beste Spiel in diesem Jahr. Ich dachte ja, das Spiel gegen Wolfsburg war schon das Highlight, aber das haben die Jungs heute noch mal getoppt. Wir werden oft über die Themen Leidenschaft und Spiel gegen den Ball definiert, aber die Mannschaft hat wieder gezeigt, wie gut sie Fußball spielen kann. Die Jungs haben Riesenbock. Und mich hat begeistert, wie sie auch noch in der 86./87. Minute um jeden Ball gefightet haben. Das ist, was wir sehen wollen. So stelle ich mir Mainz 05 vor.“ Und auch der für Übertreibungen nicht gerade berüchtigte Cheftrainer seiner Wahl spielte den Pass des Chefs zurück, als er sagte: "Kompliment an meine Mannschaft. Es war eine sehr gute Leistung. Alles in allem war es ein gelungener Abend. Ich habe mich gefreut, dass 10.000 Leute an einem langweiligen Dienstagabend den Weg ins Stadion gefunden haben, um die Mannschaft unterstützen", so Svensson nicht ohne Stolz.
"Am Ende sind wir nur da wegen der Fans", hatte der Däne zum Ende der ohne Publikum ausgetragenen vergangenen Saison konstatiert. "Ohne sie ist es von der Theorie immer noch Fußball, aber in der Praxis findet er ohne Gefühle statt." Und so sind die großen Gefühle zurückgekehrt am Rhein, innerhalb eines denkwürdigen Jahres, in dem ein spürbarer Ruck durch Stadt und Verein gegangen ist. Auftritte wie der gegen die Hertha sollen auch künftig ein, nie selbstverständlicher, Maßstab sein für Mainz-05-Fußball der Gegenwart und Zukunft. Dafür stehen die Protagonisten auf und abseits des Rasens mit ihren Namen.