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Verein 14.01.2025 - 12:40 Uhr

"Nicht schweigen. Widersprechen!“

Auftaktveranstaltung zum Erinnerungstag im deutschen Fußball in der MEWA ARENA

Zeitzeugin Eva Szepesi berichtete am Montagabend von ihrer bewegenden Lebensgeschichte (li. Peter Frey, r. Serge Salomon).

Was kann der Fußball dazu beitragen, dass sich die Gräueltaten und Morde der Nationalsozialisten nicht wiederholen? Die Initiative !Nie wieder hat sich diese Frage im Jahr 2004 zu eigen gemacht und den Erinnerungstag im deutschen Fußball etabliert, mit dem Vereine und Verbände seitdem anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ein Zeichen gegen Antisemitismus und Diskriminierung setzen. Am 27. Januar jährt sich dieses Datum zum 80. Mal. Der 1. FSV Mainz 05 war am Dienstagabend in der MEWA ARENA Gastgeber für die Auftaktveranstaltung zu den Erinnerungswochen. Ein denkwürdiger und berührender Abend.

Eva Szepesi kann berichten, sie hat den Schrecken persönlich erlebt. Als 12-Jährige war die gebürtige Budapesterin ins Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert worden. Den systematischen Massenmord hat sie durch glückliche Umstände überlebt. Nach jahrzehntelangem Schweigen tritt die heute in Frankfurt lebende 92-Jährige als Zeitzeugin auch öffentlich auf, sie erinnert, sie mahnt, sie versöhnt. Ihr Wort hat Gewicht, ihr wird voller Ehrfurcht zugehört. Auch im Rahmen der Veranstaltung zum Erinnerungstag.

Jeder Mensch trägt Verantwortung

"Ohne Erinnerung kann es keine Zukunft geben. Die heutige Generation kann nichts dafür, was damals passiert ist. Aber sie trägt Verantwortung, dass die Erinnerung bleibt. Viele Menschen wurden ausgelöscht, sie können heute nicht mehr darüber reden. Der Fußball kann so viele Menschen erreichen, er kann bei dieser Erinnerung helfen“, sagte Szepesi vor den etwa 150 geladenen Gästen aus Sport, Gesellschaft und Politik. Es liege jedoch vor allem in den Händen jedes einzelnen Menschen, dass sich die Geschichte nicht wiederhole. "Jeder muss aufpassen. Niemand darf schweigen, wenn er Ungerechtigkeiten bemerkt. Man muss aufstehen und widersprechen!“ mahnte Szepesi eindringlich.

Stefan Hofmann, Vereins- und Vorstandsvorsitzender des 1. FSV Mainz 05 betonte in seiner Begrüßungsrede: "Den Zeitzeugen zuzuhören, wann immer wir es können, ist unsere Pflicht. Ihre Botschaft aufzunehmen und weiterzutragen, eine andere, die wir alle erfüllen können. Gerade auch wir Fußballclubs. Unser Geschäft ist der Sport, die Show, das Stadionerlebnis, die Ablenkung vom Alltag. Doch es gibt sie auch bei uns, die stillen Momente des Gedenkens und Erinnerns, in denen man auch uns zuhört. So wie beim Erinnerungstag des deutschen Fußballs. Der Fußball kann aber noch viel mehr sein, ein Vorbild für viele Menschen und vor allem Kinder und Jugendliche. Mainz 05 engagiert sich hierfür beispielsweise umfangreich in Bildungsprojekten sowie bei karitativen und sozialen Aktionen.“

Heimspiel als mahnende Erinnerungsstütze

Am 25. Januar nutzt Mainz 05 das Heimspiel gegen den VfB Stuttgart zur Erinnerung an die dunkle deutsche und auch die eigene Vergangenheit. Hofmann weiter: "Erinnerung kann dabei aber auch nur funktionieren, wenn wir unsere Werte im Hier und Jetzt betonen und aktiv vorleben. Das war nie wichtiger als heute, das sehen und erleben wir jeden Tag, wenn wir auf die Konflikte der heutigen Zeit schauen, die Kriege, die Ereignisse im Nahen Osten und natürlich in Israel, aber auch den Alltag in unseren Städten und Gemeinden, auf unseren Schulhöfen und auch auf den Fußballplätzen.“

Die Bedeutung, zu erinnern, Haltung zu zeigen, aber auch aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden statt übereinander, betonten die Teilnehmer der durch den ehemaligen ZDF-Chefredakteur Dr. Peter Frey moderierten Podiumsdiskussion mit der ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Luis Engelhardt, dem Projektleiter einer Initiative des Vereins Makkabi Frankfurt für Integration und gegen Antisemitismus sowie Felix Tamsut, einem in Deutschland lebenden jüdischen Journalisten und Kenner der Fanlandschaften. Gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens antidemokratischer Kräfte und der anstehenden Bundestagswahl gelte es für die gemeinsamen Werte aktiv einzustehen.

Dass sich dabei und in der Erinnerungsarbeit viele Fanszenen im Fußball engagierten und dies oft von ihnen sogar initiiert werde, sei ein in der Öffentlichkeit häufig verkannter Aspekt, mahnte beispielsweise Tamsut. Auch Hofmann verwies auf konkrete Aktionen der Mainzer Fans, beispielsweise bei Bildungsreisen zu Gedenkstätten oder bei der Initiative zur Benennung der Stadionadresse nach Eugen Salomon, einem der jüdischen Vereinsmitbegründer und ersten Vorsitzenden von Mainz 05. 

Salomon: Leid auf nachfolgende Generationen übertragen

Dessen Enkel Serge gehörte ebenfalls zu den Gästen des Abends. "Ich haben meinen Großvater nie persönlich kennengelernt. Meine Familie wurde von den Informationen, die die Fans recherchiert haben, überrascht“, sagte Salomon. "In meiner Familie wurde wenig über die Vergangenheit gesprochen. Zu wenig. Erst später ist mir bewusst geworden, wieviel vom Leid unserer Vorfahren auf die nächsten Generationen weitergegeben wurde.“

Serge Salomon steht dabei ebenfalls sinnbildlich für den Wert der Erinnerungsarbeit und für Versöhnung. "Der Sport und die Vereine spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Gemeinschaft zu erleben und auf die Gemeinschaft zu achten. Auch wenn sie oft auf das reagieren müssen, was an derer Stelle in der Gesellschaft versäumt wurde“, sagte Salomon. Zum Verein seines Großvaters hat Serge Salomon inzwischen ein sehr enges Verhältnis. "Der Verein bedeutet für mich neue Freunde, Familie. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“