Profis 03.05.2020 - 19:30 Uhr
Glaubenssätze für eine ganze Generation
Geprägt und inspiriert vom Lehrmeister: Warum so viele 05-Profis später Trainer geworden sind
Mainz bleibt zu Hause. Die Corona-Krise bietet uns die Zeit, an wichtige und emotionale Ereignisse aus der Klub-Vergangenheit zu erinnern. Zum Beispiel an eine Generation von Profis des 1. FSV Mainz 05, die, geprägt und inspiriert von ihrem einstigen Lehrmeister Wolfgang Frank, nach ihrer aktiven Zeit die Trainer-Laufbahn einschlugen. Der prominenteste darunter ist natürlich 05-Legende Jürgen Klopp, der aktuelle FIFA-Welttrainer des Jahres vom FC Liverpool.
An einem Mittwochabend Mitte Mai 1996 gewann der FSV sein Zweitliga-Auswärtsspiel beim Chemnitzer FC 3:0 und nährte damit die Hoffnungen auf den dann tatsächlich gelungenen Ligaverbleib. Trainer Frank war es gelungen, aus dem Abstiegskandidaten Nummer eins die beste Rückrundenmannschaft zu formen. Die Mainzer Startelf damals: Dimo Wache im Tor; die Viererkette mit Torsten Lieberknecht, Michael Müller, Peter Neustädter und Uwe Stöver. Im Mittelfeld Abderrahim Ouakili, Bruno Akrapovic, Lars Schmidt und Christian Hock. Vorne Sven Demandt und Thomas Ziemer. Das Besondere an dieser Aufstellung: Mit Ausnahme von Ouakili sind alle diese 05-Profis Trainer geworden. Der in der Halbzeit für Stöver eingewechselte Jürgen Klopp sogar einer der weltweit bekanntesten Fußballlehrer überhaupt.
Alle diese Spieler und etliche mehr, die in den 90er Jahren am Bruchweg spielten (Sandro Schwarz, Thomas Zampach, Helgi Kolvidsson, Jürgen Kramny, Zeljko Buvac, Adrian Spyrka, Christian Hock oder Stephan Kuhnert, der aktuelle 05-Torwarttrainer), waren stark geprägt von ihrem Lehrmeister Frank.
"Ich kannte zu diesem Zeitpunkt schon etliche Trainer", erinnerte sich Sven Demandt im Buch Karneval am Bruchweg an die Zeit, als Frank in Mainz erstmals antrat. "Vom rein fußballerischen war Frank der beste, den ich je hatte. Alles, was wir als Trainer machen, wurde stark von ihm beeinflusst. Frank war mein erster Trainer, der wirklich einen Plan hatte, wie die Mannschaft spielen sollte. Im Training hat man schon gesehen: das funktioniert", sagt der Torjäger. Frank, so heißt es in dem Buch, "war Tag und Nacht Trainer, Taktiklehrer, Motivationsmeister. Nachfolgetrainer in Mainz taten kund, sie seien gescheitert am tief verwurzelten Schaffen, an der fest verankerten Denk- und Spielweise Franks. Der Erfolg hielt erstmals wieder Einzug, als Frank-Schüler Jürgen Klopp das Traineramt übernahm."
Der erzählte später oft, dass er in seiner ersten Einheit als Cheftrainer am Bruchweg sofort einen Plan hatte, was zu tun gewesen sei. In seiner ersten Spielersitzung übernahm der vom Spieler zum Coach beförderte Jungtrainer eine komplette Variante von Franks Vorträgen. Frank selbst hat offenbar geahnt, dass Klopp eine große Zukunft als Trainer vor sich hatte. "Kloppo hat Fußball geatmet, er hat schon immer mitgedacht, die Traineranlagen waren früh erkennbar."
Der Erfolgscoach, der die 05ER erstmals in die Bundesliga führte, gab später, wie es bei Karneval am Bruchweg heißt, offen zu, dass er sich als Spieler schon habe vorstellen können, Mainz 05 zu trainieren. "Daran gedacht habe ich öfter. So nach dem Motto: das kann ich auch. Ich habe das nie zu Ende gedacht, aber ich hatte immer eine Vorstellung davon, was schief lief und wie man es abstellen könnte." Als Spieler, hat Kopp einmal erzählt, sei er immer froh gewesen, wenn er aufgestellt worden sei und habe immer das Gefühl gehabt, es könnte bald vorbei sein. "Beim Trainerberuf habe ich immer gedacht: Das kann ich richtig."
Neben Klopp sind Schwarz, Marco Rose, Lieberknecht und David Wagner Cheftrainer in der Bundesliga geworden. Ebenso Kramny, der in Mainz unter anderem die U19 trainierte, beim VfB Stuttgart das Drittliga- und dann das Bundesligateam. "Aus dieser Mainzer Riege damals sind extrem viele hervorgegangen, die viel gelernt haben. Wir mussten uns wirklich jeden Tag mit Fußball beschäftigen, ob in der Praxis oder in der Theorie. Das verfestigt sich natürlich auch im eigenen Denken. Wir mussten viel lernen, was man als Trainer auch sehr gut anwenden kann", sagt der gebürtige Schwabe. "Das Grundprinzip der Viererkette haben wir bis zum Sankt-Nimmerleinstag trainiert. Wir haben Videoschulungen gemacht, extrem viele Geschichten mit der Taktiktafel. Ständige Wiederholungen. Das hat Frank immer gepredigt."
Schwarz, bis Ende vergangenen Jahres 05-Cheftrainer, hat den 2013 verstorbenen Frank als seinen ersten großen Lehrmeister bezeichnet, aber auch immer darauf hingewiesen, wie stark ihn Klopp und Thomas Tuchel geprägt hatten. "Ich habe schon mit Anfang 20 gedacht, dass das mal was für mich wäre. Michael Thurk, mit dem ich damals immer auf dem Zimmer war, hat sich immer gewundert, was ich mir aufschreibe. Ich habe mir schon damals Notizen gemacht. Immer, wenn meine Frau und ich umgezogen sind in den vergangenen Jahren, habe ich das Buch in die Hand bekommen und drin rumgeblättert. Von den Prinzipien stimmt da immer noch fast alles mit heute überein", hat Schwarz einmal in einem FAZ-Interview erzählt. Frank könne er sowieso nie vergessen. "Er hat uns Glaubenssätze eingehämmert, die werde ich bis zum Lebensende nicht mehr vergessen." Sätze wie "Glaube führt zur Tat, Konzentration führt zum Erfolg, Wiederholung führt zur Meisterschaft."
Klopps ganzes Fußballwissen
Schwarz bildete in Mainz einst eine Wohngemeinschaft mit Marco Rose, dem aktuellen Gladbach-Trainer. Diskussionen darüber, wie Fußball funktioniert, waren alltäglich. Auch Rose ist beeinflusst von Klopp und Tuchel, ging vorher schon durch die Schule von Ralf Rangnick bei Hannover 96, von wo Rose später nach Mainz wechselte.
David Wagner, bis 1995 am Bruchweg aktiv und aktuell Trainer von Schalke 04, hat die Frank-Schule nicht durchlaufen, pflegt aber seit langem eine sehr innige Freundschaft zu Klopp und hat als Trainer im englischen Huddersfield dem Sender BBC erzählt, wie er als U23-Coach beim BVB von seinem Lehrmeister Klopp profitiert habe. "Ich durfte immer bei Klopps Training dabei sein, er war ein offenes Buch für mich und hat mir sein ganzes Fußballwissen vermittelt. Wir lieben den gleichen Fußballstil: Hohe Intensität, Leidenschaft, Verlangen." Es sind die Bausteine einer Philosophie, die sich der FSV bis zum heutigen Tag auf die Fahnen geschrieben hat.