Profis 01.05.2020 - 19:30 Uhr
"Bis halb neun kein einziges Wort gesprochen"
Fünf Heimniederlagen hintereinander in der Saison 11/12 machten nicht nur den Trainer sprachlos - Zidans Tor-Rekord
Mainz bleibt zu Hause. Die Corona-Krise bietet uns die Zeit, mal wieder an wichtige und emotionale Ereignisse aus der Klub-Vergangenheit zu erinnern. Zum Beispiel an die Saison 2011/12, die Runde nach der erfolgreichsten Bundesligasaison überhaupt. In der Mainz 05 in die heutige OPEL ARENA umzog, einen massiven personellen Umbau bewerkstelligte, ohne etwas mit dem Abstieg zu tun zu haben und ein extrem kurzes Europapokal-Gastspiel gab.
Die 58 Punkte der Vorsaison, Platz fünf und die Europapokal-Teilnahme hatten Begehrlichkeiten geweckt. Vor allem bei der Konkurrenz: André Schürrle, der 15-Tore-Shooting-Star aus dem eigenen Nachwuchs, hatte sich für eine Rekord-Ablöse zu Bayer Leverkusen verabschiedet, Lewis Holtby ging ebenso wie Linksverteidiger Christian Fuchs zu Schalke 04, Miroslav Karhan zog es zurück in seine Heimat. Und weil Ádám Szalai seit der Rückrunde wegen eines Kreuzbandrisses fehlte und die komplette Vorrunde ausfallen würde, fehlten dem Team von Thomas Tuchel schon mal alleine die 23 Treffer des Trios, das als die "Buchweg-Boys" Furore gemacht hatte.
Gewaltiger Kader-Umbau
Julian Baumgartlinger kam unter anderem als Neuzugang aus Wien, Eric Maxim Choupo-Moting vom HSV, Nicolai Müller aus Fürth, Zdenek Pospech aus Kopenhagen, Anthony Ujah aus Norwegen. Etliche Neuzugänge entwickelten sich zu Leistungsträgern, doch alle Verpflichtungen benötigten dafür Zeit.
Presseschau
Es war ein gewaltiger Umbau, den Tuchel bewerkstelligen musste. "Wir werden versuchen diese Umbauten zu bewältigen, um wieder auf ein ähnlich hohes Niveau zu gelangen", sagte der 05-Trainer der Mainzer Rhein-Zeitung. Doch bevor die Saison losgehen konnte, gab es den ersten kräftigen Nackenschlag für die neuformierte Mannschaft. Die Europapokal-Premiere in der Coface Arena, der neuen Heimspielstätte, verlief eher enttäuschend, denn Niko Bungerts Kopfballtor gegen Gaz Metan Medias reichte nicht zum Sieg, die 05ER reisten mit einem dünnen 1:1 nach Rumänien und verabschiedeten sich dort aus dem Wettbewerb, ehe des Europa-League-Abenteuer richtig beginnen konnte. 1:1 nach Verlängerung und 3:4 im Elfmeterschießen.
"Da war eine totale Stille und Leere in der Nacht von Medias", berichtete Bungert später. "Und dann hat der Trainer im ersten Training die richtigen Worte gefunden. Da war nur noch Vorfreude auf Leverkusen und Selbstbewusstsein." Der größte Feind sei das Selbstmitleid, hatte Tuchel gepredigt und, dass die erlebte Enttäuschung die Gemeinschaft noch stärker mache. Die Folge: Mainz 05 gab eine "imponierende Antwort auf den Tiefschlag" wie die Rhein-Zeitung titelte, gewann das erste Bundesligaspiel in der neuen Arena mit 2:0 gegen Bayer Leverkusen, lag eine Woche später dank des 2:1-Auswärtserfolgs in Freiburg wieder in der Spur. So schien es jedenfalls.
Doch es kam heftig: Neun Spiele ohne Sieg, fünf Heimniederlagen in Folge, Absturz auf Platz 15, punktgleich (9 Zähler) mit dem HSV auf dem Relegationsplatz. Frust allenthalben. "Ich bin um halb sieben aus dem Stadion raus und habe bis halb neun kein einziges Wort gesprochen", so Tuchel nach dem 0:1 gegen Augsburg. Der Trainer, wenige Monate zuvor noch gefeiert und wie der Klub plötzlich im bundesweiten Fokus, stand nun heftig in der Kritik.
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Doch die akribische Arbeit begann dennoch langsam Früchte zu tragen. System- und Personal-Umstellungen griffen irgendwann, das Team fand zueinander. Die Wende kam am zwölften Spieltag mit dem famosen Heimsieg gegen den VfB Stuttgart. Wie in den ganzen Wochen zuvor, sah es manierlich aus, was die Mannschaft anbot, doch der Gegner ging erneut in Führung. Diesmal antworteten die Mainzer jedoch umgehend. Anthony Ujah nutzte seine Chance, erzielte den Ausgleich und nach dem Führungstreffer in der zweiten Halbzeit (Andreas Ivanschitz) setzte der Stürmer noch einen drauf, sichert in Unterzahl (Eugen Polanski hatte Rot kassiert) den vielumjubelten 3:1-Erfolg. Und im nachfolgenden Auftritt vor eigenem Publikum zeigte sich das Potenzial des Teams, das seinen insgesamt dritten Sensationssieg gegen den FC Bayern feierte, den Spitzenreiter mit einem 3:2 nach einem Klassespiel stürzte.
18 Punkte und Platz 14 nach der Vorrunde entsprach sicher nicht den Vorstellungen, die Rhein-Zeitung sprach von einer "Wellenbewegung" mit beachtlichen Höhen, aber auch tiefen Ausschlägen nach unten. Dennoch kam die Zeitung zu dem Ergebnis, dass trotz der großen Umbauarbeiten im Kader, "die Spielqualität insgesamt höher anzusiedeln ist als der Tabellenplatz und die Punktausbeute". Spätestens ab der Heimniederlage gegen Meister BVB habe sich die Mannschaft als eine in hohem Maße wettbewerbsfähige Einheit präsentiert. "Was auch dokumentiert wird durch lediglich zwei Auswärtsniederlagen. Kein Gegner war den Mainzern ab dem achten Spieltag noch überlegen." Das Manko allerdings: die fehlerhafte Chancenvorbereitung und die Abschlussqualität, die etliche Punkte kosteten.
Abstand zur Gefahrenzone
"Wir brauchen Geduld, auch wenn uns das allen schwerfällt", appellierte Tuchel an die 05-Fans. "Das Talent dieser Mannschaft war immer da und ist da." Doch man werde abwarten müssen, wie sich das in der Rückrunde darstelle. Zumindest was die Torausbeute anging, passierte so einiges. Manager Christian Heidel holte Mohamed Zidan aus Dortmund zum zweiten Mal zurück an den Bruchweg. Und der Ägypter stellte prompt einen Rekord auf, traf in sechs Spielen hintereinander, kam am Ende auf sieben Tore. Szalai feierte sein Comeback und kam noch auf drei Treffer. Die Mannschaft geriet im zweiten Saisonabschnitt nie richtig in Abstiegsnöte. Immer dann, wenn es eng hätte werden können, gelangen veritable Siege. So, wie der 3:1-Erfolg gegen Freiburg oder ein 3:0 in Bremen. Unentschieden auf Schalke, in Hoffenheim, bei den Bayern und in Hamburg sorgten am Ende dafür, dass der Abstand zur Gefahrenzone doch sichere acht Punkte betrug.
Die enttäuschende Final-Pleite gegen Gladbach (0:3) ließ den 05-Trainer aber erstmals zweifeln, "ob die Qualität wirklich ausreicht, um den Anspruch, sich zu einer Mittelfeldmannschaft entwickelt zu haben, aufrechtzuerhalten", wie die Rhein-Zeitung schrieb. Die folgenden Jahre mit durchweg guten Mittelfeldplatzierungen zeigten, dass es gelingen sollte, diese Sorgen zu zerstreuen.