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Profis 24.11.2021 - 20:30 Uhr

Busenkell: Türkei-Abenteuer "ein wunderschönes Erlebnis"

Seit Herbst ist der 05-Reha- und Atlethiktrainner Teil des Trainerteams der türkischen Nationalmannschaft & spricht im Interview über Spaß bei der Arbeit, Stefan Kuntz, Bo Svensson, eine Dienstreise nach Rotterdam sowie die Herausforderung Jonny Burkardt

Busenkell mit Stefan Kuntz auf dem Weg zum Training (Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung der Türkiye Futbol Federasyonu).

Seit über 20 Jahren ist Axel Busenkell beim FSV mittlerweile im Athletik- und Rehabereich tätig und genießt die Arbeit am Bruchweg wie am ersten Tag. Seinen "Nebenjob" bei der U21 des DFB (mit der er im vergangenen Sommer - nicht als einziger 05ER - den EM-Titel feiern durfte) hingegen hat er im Herbst aufgegeben und folgte dem Lockruf von Stefan Kuntz, um das Trainerteam bei der türkischen Nationalmannschaft zu verstärken.

Im Interview spricht der 49-Jährige über den Reiz an der neuen Aufgabe, neue Regeln im Umfeld der Nationalmannschaft, aber auch über seinen Besuch bei Jeremiah St. Juste in Rotterdam und den Weg, Jonny Burkardt gemeinsam mit dem Athletik- und Reha-Team der 05ER körperlich auf das nächste Level gehoben zu haben.

Axel, du bist gerade auf dem Weg nach Holland zu Jeremiah: Was steht dort an in den kommenden Tagen?

Busenkell: Ich fahre hin, um zu schauen, wie der Stand der Dinge ist. Er macht seine Reha in Rotterdam. Ich will ihm natürlich auch das Gefühl vermitteln, dass wir uns kümmern, sehen, was er macht, was er machen kann und wie weit er ist. Ich werde mir eine Therapie-Einheit anschauen und dann zurück nach Mainz fahren. Der Heilungsverlauf ist gut, dennoch müssen wir Jer auch hier und da bremsen, weil er natürlich so schnell wie möglich wieder auf dem Platz stehen möchte.

Auch in der Länderspielpause warst du international unterwegs, bist seit Herbst Teil des Trainerteams von Stefan Kuntz bei der türkischen Nationalmannschaft. Das klingt nach Abenteuer. Wie seid ihr aufgenommen worden?

Busenkell: Es ist schon ein bisschen abenteuerlich, weil es etwas völlig Neues ist. Ich bin bislang sehr angenehm überrascht. Wir wurden super freundlich und herzlich aufgenommen von allen Beteiligten. Zuvor ist nicht alles so rund gelaufen. Und wer Stefan kennt, oder zumindest aus den Medien kennt, weiß, dass er total herzlich und offen ist. Das wird geschätzt und sehr positiv gesehen. Es macht Spaß, alles ist gut organisiert und wird von erfahrenen Mitarbeitern gemanagt, die bereits in anderen Verbänden tätig waren und sehr weltoffen sind. Bei den Strukturen gibt es sicher Verbesserungsbedarf, insbesondere, was den U-Bereich, die Spieler- und Trainerausbildung angeht. Das wird noch ein langer Prozess.

Jetzt ging es aber zunächst um kurzfristige Ziele…

Busenkell: …ganz genau. Primär ging es darum zu schauen, ob noch eine Qualifikation für die Weltmeisterschaft möglich ist. Da blieb wenig Zeit, um über Strukturen nachzudenken.

Platz zwei habt ihr nun noch vor Norwegen erreichen können und nehmt im Frühjahr an den Playoffs teil.

Busenkell: Ja, und ich denke, wir dürfen zurecht stolz sein. Als wir kamen, war der türkische Fußball an einem Tiefpunkt angelangt, den es in der Form in der jüngeren Vergangenheit nicht gegeben hatte. Die Mannschaft, aber auch alle Mitarbeiter und Fans, waren sehr niedergeschlagen. Man hat eine extreme Verunsicherung gespürt und, dass die Zeit für etwas Neues gekommen war. Das hat Stefan in den ersten Tagen sehr gut hinbekommen. Ihm ging es zunächst darum zu vermitteln, dass wir Spaß am Fußball haben wollen. Mit dem Spaß kommt auch wieder mehr Motivation und letztendlich Erfolg. Das hat Vertrauen aufgebaut, in ihn, aber auch die Spieler glauben wieder mehr an sich selbst. Alle wurden und werden miteinbezogen, sind enger zusammengerückt. Das ist schon vergleichbar mit der Situation unter Bo in Mainz. Das war ein ähnlicher Effekt, alles gemeinsam zu versuchen. Die Wertschätzung kam bei jedem, allen voran den Spielern, gut an. Es war schön mit anzusehen, dass sich was entwickelt. Und dann hatten wir das Glück, dass wir in Lettland in der Nachspielzeit das 2:1 erzielt haben, was uns die Chance überhaupt noch offengehalten hat. Das war eine Bestätigung dafür, dass sich auszahlt, was wir investiert haben - eine hochintensive Zeit. Wenn man dann etwas zurückbekommt, ist das ein wunderschönes Erlebnis.

Gibt es weitere Parallelen zwischen Bo und Stefan Kuntz?

Busenkell: Jeder wird mit ins Boot genommen, soll sich im Rahmen seiner Möglichkeiten einbringen. Letztendlich geht es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der sich jeder wohl fühlt, um unter dem Strich die bestmögliche Leistung abrufen zu können. Beide sind grundverschiedene Typen, haben aber das große Ganze im Blick, sind, jeder auf die eigene Art und Weise, für einen Spaß zu haben. Das Grundprinzip ist vergleichbar, auch wenn jeder seine individuelle Herangehensweise hat.

Muss man eine andere Ansprache wählen gegenüber der Arbeit mit jungen Talenten beim DFB?

Busenkell: Ich finde nicht, dass Stefan in der Ansprache völlig anders vorgeht. Die Nationalmannschaft ist im Schnitt sehr jung. Auch wenn wir ein paar ältere Spieler dabeihaben, wie den Kapitän Burak Yilmaz, der schon 36 ist. Auch so einem Spieler versucht er durch seine offene, freundschaftliche Art Nähe zu zeigen. Die Spieler sollen keine Rolle spielen, sondern Verantwortung übernehmen und authentisch bleiben.

Was hat er noch verändert?

Busenkell: Er hat beispielsweise banale Regeln aufgestellt, die während der Abstellungsperioden gelten. Vorher gab es keine Vorgaben, was das Miteinander betrifft. Wenn das Training für 17 Uhr angesetzt war, mussten die Spieler nicht einmal zum Mittagessen erscheinen. Jetzt ist das Frühstück verpflichtend, das Mittagessen wird gemeinsam begonnen – der Kapitän gibt den Startschuss. Das gibt einen Rahmen vor, durch den ein Miteinander entsteht. Die Spieler bleiben sitzen und tauschen sich aus. Das erleichtert vieles im Sinne des Teams.

Und das wird alles widerspruchslos angenommen?

Busenkell: Aus meiner Sicht, ja. Wir haben den Eindruck, dass ein bisschen Struktur den Jungs gut tut. Wir bieten auch vormittags ein bisschen was an, wie Krafttraining. Die Spieler sind sehr offen für die neuen Ansätze, viele sind auch in den großen europäischen Ligen aktiv und kennen es aus ihren Klubs nicht anders.

Ist es für dich persönlich ein Traum, bei einer Weltmeisterschaft dabei zu sein?

Busenkell: Es ist definitiv ein Ziel, nochmal etwas völlig anderes zu erreichen und zu erleben. Es ist aber aktuell noch weit weg. Wenn es mit der WM funktioniert, wäre es als Sportler durchaus ein Traum, dabei zu sein, so wie auch Olympia ein Traum war. Wir arbeiten darauf hin, fokussieren uns aber zunächst auf zwei hoffentlich erfolgreiche Playoff-Spiele, das ist genug Arbeit. Perspektivisch haben wir natürlich auch jetzt schon die Europameisterschaft in Deutschland 2024 im Blick.

Hast du die gleichen Aufgaben wie bei der U21 zuvor?

Busenkell: Ich mache alles, Athletik, Reha, Animateur, laufe mit einem Dauergrinsen rum und versuche alle bei Laune zu halten (lacht). Aber im Ernst: Es ist anstrengend, macht aber gleichzeitig einen Riesenspaß, weil wir viel von den Jungs zurückbekommen. Sie sind alle sehr motiviert und schätzen es, den Spaß bei der Arbeit nicht zu kurz kommen zu lassen. Einige Übungsformen im Bereich des Krafttrainings, aber vor allem der Neuro-Athletik, sind zudem komplett neu. Da stehen die Spieler auch schon mal mit staunenden Augen vor dir, haben aber Lust dazu zu lernen. Die Zeit ist eigentlich immer viel zu kurz, zumal das Interesse von Seiten des Teams total groß ist. Für einen Teil der Mannschaft, insbesondere Spieler aus der Süper League, schreibe ich auch Programme für die Zeit zwischen den Abstellungsperioden. Dort ist das Niveau anders, weniger von Intensität geprägt, der Fokus liegt mehr auf der Technik. Das kann auf internationalem Level zum Problem werden.

Mit Jan-Moritz Lichte ist ein weiteres bekanntes Mainzer Gesicht Teil des Trainerteams…

Busenkell: Ich habe mich schon in Mainz immer sehr gut mit ihm verstanden. Wir haben uns auch im Vorfeld ausgetauscht, bevor wir zugesagt haben. Ihm macht es Riesenspaß, vor allem auch, Stefan kennenzulernen. Immer, wenn ich zuvor von der U21 an den Bruchweg zurückkam, habe ich den Spruch gehört: 'Ey, ihr habt wieder nur Spaß gehabt und irgendwelche Spielchen gemacht.' Jetzt kann er erleben, wie positiv sich das auf ein Team auswirken kann, und er macht auch selbst gerne bei dem einen oder anderen Spaß mit. Es ist schön, wieder mit ihm zu arbeiten.

Kommen wir zurück nach Mainz: Im Sommer hast du gesagt, dass du eine solche Saison in über 20 Jahren Mainz 05 noch nicht erlebt hast. Wie gut tut der Blick auf den Status quo im Vergleich zum selben Zeitpunkt des Vorjahres?

Busenkell: Es ist natürlich ein angenehmes Gefühl. Noch viel wichtiger ist aber: Niemand vermittelt den Eindruck, sich zurücklehnen zu wollen. Es geht immer weiter vorwärts und darum, unser Spiel weiter zu optimieren. Nicht zuletzt das Duell mit Köln hat gezeigt, dass wir dranbleiben müssen, um Erfolge zu feiern. Die Entwicklung und die Ergebnisse sind top und wichtig, aber man darf nie abschalten. Sich in Sicherheit wähnen, wäre der komplett falsche Ansatz. Das Trainerteam sorgt dafür aber in jeder Woche und ist enorm ehrgeizig.

Ein Sinnbild für die Entwicklung ist Jonny Burkardt, der Stammspieler beim FSV und mittlerweile Kapitän der U21-Auswahl ist. Wie siehst du, der ihn schon lange begleitet, seine Entwicklung? Er scheint die Belastung körperlich viel besser wegzustecken als in den Vorjahren.

Busenkell: Ich glaube, ich habe Jonny das erste Mal bei seiner Verletzung mit 15, 16 Jahren betreut. Das war eine sehr komplizierte Geschichte und eine große Herausforderung für ihn und uns. Die Entwicklung von ihm zu sehen, wie er motiviert ist, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, gerade körperlich, ist klasse. Bei ihm muss man sich keine Gedanken machen, dass er irgendwann mal die Zügel schleifen lässt, weil er weiß, dass ohne harte Arbeit nichts geht bei ihm. Das ist super mit anzusehen, und er kann körperlich noch mehr aus sich rausholen. Ich habe schon häufiger erleben dürfen, wie sich Spieler im Alter zwischen 18 und 22, 23 Jahren entwickeln. Das ist schon Wahnsinn, was da passiert und eine ganz wichtige Phase, in der viele Veränderungen stattfinden. Das kann sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung gehen. Aber bei ihm geht es nur bergauf, weil er wirklich täglich hart an sich arbeitet und sich nie zufriedengibt.

Axel & Jonny 2018 im Sommertraininsglager in Bad Häring.

Woran habt ihr in den vergangenen Jahren in erster Linie arbeiten müssen, um ihn physisch auf dieses Niveau zu heben?

Busenkell: Es ging für uns im Athletik- und Reha-Team darum, ihm kontrolliert Reize zu geben, damit sich sein Körper an die Belastung anpasst. Er hat sozusagen einen großen Motor gehabt, aber kein gutes Fahrwerk. Bildlich gesprochen: Pack ich einen Porsche-Motor in eine Ente, kann es nicht rund laufen. Bei ihm ging es um das Zusammenspiel von Füßen, Knien, Hüfte. Die Muskulatur war da, hat aber nie so richtig zusammengepasst. Das stabilisiert sich im Moment immer mehr. Zu Beginn seiner Profi-Zeit war es schwer für ihn, zwei Spiele über 90 Minuten hintereinander zu absolvieren. Das verkraftet er jetzt viel besser, weil sein ganzer Körper bereit und widerstandsfähiger ist. Der Prozess ist noch nicht zu Ende, aber zumindest hat er muskulär schon länger keine Beschwerden mehr gehabt. Der eingeschlagene Weg ist sehr positiv, was sich in seinen Leistungen niederschlägt.

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